Berlin-Im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn (DB) zeichnet sich weiterhin keine Lösung ab – und dabei werde es aller Voraussicht nach vorerst bleiben, sagte der Bahnexperte Christian Böttger der Berliner Zeitung. „Der nächste Warnstreik ist programmiert. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass er an einem Freitag stattfinden wird – wenn besonders viele Menschen mit der Bahn verreisen wollen“, so der Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, der sich seit Jahren mit dem Schienenverkehr befasst. „Wenn sich die Deutsche Bahn weiterhin so verhält, wie sie sich bisher verhalten hat, müssen die Fahrgäste schon bald mit weiteren Arbeitsniederlegungen rechnen.“
Böttger sieht keine Bewegung in dem Konflikt zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der DB, der in der vergangenen Woche bereits zu einem ersten Warnstreik geführt hat – nachdem die GDL seit 2015 auf Arbeitskämpfe verzichtet hatte. „Meine Einschätzung ist, dass die Bahn zunächst weiterhin versuchen wird, den Tarifstreit auszusitzen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie sich in absehbarer Zeit auf die GDL zubewegen und ein substanziell verbessertes Angebot vorlegen wird“, sagte er.
„Für die DB geht es um einiges“ - die EVG wäre blamiert
Dabei sei die Forderung der GDL, die Bezahlung in zwei Stufen um insgesamt 3,2 Prozent zu verbessern, keineswegs maßlos. „Sie orientiert sich an den Einkommensverbesserungen, die für den öffentlichen Dienst erzielt wurden“, so Böttger. Die Höhe der Forderung sei auch nicht strittig, sondern die Laufzeit des Tarifvertrags: Bisher verlangte die GDL 28 Monate, während die DB zuletzt 40 Monate anbot. Die Gewerkschaft fordert zudem, eine Coronaprämie zu zahlen und auf die angekündigte Kürzung der Betriebsrenten von 150 auf 100 Euro monatlich zu verzichten.

Wenn die Deutsche Bahn jetzt einem Kompromiss zustimmen würde, wäre die GDL-Konkurrenz EVG blamiert, sagte Christian Böttger. „Das kann sich die Bahn nicht leisten, denn sie braucht diese Gewerkschaft noch – vor allem für den Fall, dass, wie zu erwarten, die Debatte über eine neue Bahnreform nach der Bundestagswahl wieder aufflammt. Die EVG ist ein wichtiger Verbündeter, wenn es darum geht, Forderungen nach strukturellen Veränderungen abzuwehren.“ Während die DB und die EVG zum Beispiel dagegen sind, Netz und Betrieb voneinander zu trennen, habe die GDL erst kürzlich wieder eine entsprechende Initiative unterstützt, so der Wirtschaftsprofessor aus Berlin. „Für die DB geht es um einiges, und deshalb versucht sie in dem jetzigen Konflikt mit der GDL auch so vehement, die Macht und die Meinungshoheit zu behaupten“, erklärte Böttger.
Die GDL nutze einen Fehler der EVG aus: Die Konkurrenzgewerkschaft habe im vergangenen Jahr eingewilligt, dass die Löhne und Gehälter der Eisenbahner wegen der Coronakrise nur sehr moderat erhöht werden. „Diese Zurückhaltung fällt der EVG nun auf die Füße“, so Böttger. Hinzu komme, dass EVG-Gewerkschafter in Aufsichtsräten zum Teil großzügigen Bonuszahlungen an Bahnmanager zugestimmt hätten – und zwar auch solchen variablen Vergütungen, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. GDL-Chef Weselsky bezifferte die jüngsten Zusatzzahlungen auf rund 210 Millionen Euro.
Die Darstellung sei irreführend, entgegnete eine DB-Sprecherin. „Die Zahl 200 Millionen gibt es zwar, aber der Großteil geht an tarifliche Mitarbeiter“, sagte sie. „Weit über die Hälfte wird an rund 18.000 tarifliche Führungskräfte gezahlt, also Tarifbeschäftigte, für auch die GDL Jahresleistungen mit vereinbart hat. Plus 2000 außertariflich Beschäftigte, für die Konzern-Betriebsvereinbarungen geschlossen wurden.“
Die Unzufriedenheit an der Basis ist groß
Bahnmitarbeiter berichten, dass der Frust bei den operativen Kräften in der DB groß sei. An der Basis müssten Zugbegleiter, Lokführer und Bordgastronomen täglich erleben, dass der Bahnkonzern die betrieblichen Probleme nicht in den Griff kriege. „Sie sind es, die den Ärger der Reisenden abbekommen, wenn ihr Zug mal wieder verspätet ist oder mit umgekehrter Wagenreihung fährt, wenn er vor dem Ziel umkehrt oder wenn im Speisewagen die Kaffeemaschine nicht funktioniert“, so Christian Böttger.
Auf der anderen Seite erleben die Bahnbeschäftigten mit, wie ein Auslandsengagement der DB nach dem anderen scheitert oder hohe Verluste verursacht. Rund die Hälfte ihres Umsatzes erzielt die Deutsche Bahn im Ausland. „Nach meinem Eindruck liegen die Ursachen der schlechten Performance in der Zentralisierung von Prozessen, mit der die Verantwortlichkeit vor Ort geschwächt wurde“, lautet Böttgers Einschätzung. Im Vorstand der DB sitze kein einziger Ingenieur mehr, nur ein Vorstandsmitglied habe operative Erfahrung, es gebe immer mehr politische Berufungen und Unternehmensberater.
Erneute Schlichtung abgelehnt
Während einer Kundgebung vor dem Bahn-Tower am Potsdamer Platz bekräftigte GDL-Chef Claus Weselsky am Dienstag die hohe Streikbereitschaft der Mitglieder. Das von der Bahn vorgelegte Angebot „ist mit uns nicht zu machen“, sagte er. Unterm Strich würden die Löhne nur um weniger als ein Prozent steigen. Wenn der Konzern dabei bleibe, „dann werden wir dafür sorgen, dass ihm ein Licht aufgeht und die Taschen“, so Weselsky. Wann die Arbeit wieder niederlegt wird, verriet der Gewerkschaftschef nicht. Allerdings: „Ihr wisst, dass wir dieses letzte Mittel wieder zum Einsatz bringen müssen, wenn das Management, unterstützt vom Eigentümer, sich weiter so verhält“ – dem Bund.
Eine Schlichtung, wie sie Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgeschlagen hatte, lehnte Weselsky ab. Mit der Schlichtung im November sei „die letzte Patrone“ bereits verschossen worden. „Was hier stattfindet, ist nicht zu schlichten“, sagte er.
Und so könnte bald bei der Bahn erneut gestreikt werden. „GDL-Chef Weselsky geht sehr straight und knallhart vor“, so Christian Böttger. „Je näher die Bundestagswahl rückt, desto härter wird die GDL streiken. Sie versteht sich auf gutes Timing.“




