Zur Bluttat von Friedrichsfelde, bei der eine 27-jährige Frau starb, kommen immer neue schauerliche Details ans Licht. In einer Wohnung in einem Hochhaus an der Löwenberger Straße hatte ein 23-jähriger Kosovo-Albaner am Sonntagmorgen eine 27-jährige Ukrainerin brutal getötet.
Die Spuren davon sind auf dem langen Flur im neunten Stock des Hauses sichtbar. Überall ist Blut, das schwallartig ausgetreten sein muss: an den Wänden und an acht nebeneinanderliegenden Wohnungstüren.
Inzwischen weiß die Polizei, dass der Mann als Tatwaffe ein Fleischerbeil benutzte. Immer wieder hackte er mit der scharfen Klinge auf die Frau ein. Als zwei alarmierte Polizisten hintereinander in die enge Ein-Zimmer-Wohnung eindrangen, ging der Mann nach Angaben der Polizei mit dem Beil auf den ersten der beiden Beamten los. Dieser schoss zweimal und tötete den Angreifer.
Aber was war der Auslöser dieser Tat? „Die Erkenntnisse dazu sind bisher sehr vage“, sagt Sebastian Büchner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Polizeiliche Vorerkenntnisse zu dem Täter gebe es nicht. Auch die Nachbarn machen über das, was sich am Sonntag während der dramatischen Minuten abspielte, unterschiedliche Angaben.
„Ich bin gegen sieben aufgewacht“, sagt Yesa M., der zwei Türen weiter wohnt. Der 36-jährige Friseur wollte eigentlich zur Arbeit gehen, als er aus dem offenen Fenster der Wohnung laute Stimmen und Schreie hörte. „Dann hörte es sich so an, als wenn jemand in der Wohnung alles zerschlägt. Die Frau kam kurz auf den Balkon, rief um Hilfe und wurde von ihm zurückgezogen. Ich habe dann dumpfe Schläge gehört, und dann war Ruhe. Er ist dann raus und hat an die Türen der Nachbaren gehauen.“ Yesa M. öffnete nicht und verzog sich in den hinteren Teil seiner Wohnung. Der Friseur hat sich jetzt krankschreiben lassen. An Arbeit kann er nicht denken.
Die Bekanntschaft sei „sehr kurz“ gewesen
Was sich genau abspielte, muss die Mordkommission rekonstruieren. Etwa ob das viele Blut an den Wänden von dem Mann stammt oder von der Frau, die eventuell zu flüchten versuchte. Oder ob der Täter selbst eine stark blutende Wunde hatte.
Beide Leichen wurden am Montag obduziert. Aus Ermittlerkreisen heißt es, dass die Bekanntschaft zwischen beiden „sehr kurz“ gewesen sei. Einer der Verdachtsmomente ist, dass es sich bei der getöteten Ukrainerin um eine Prostituierte gehandelt haben könnte und bei dem Mann um einen ihrer Kunden. Dass die Wohnung auf den Namen ihres Zuhälters lief.
Unstrittig scheint für die Ermittler, dass beide exzessiv Drogen konsumiert haben. Genaueres soll ein toxikologisches Gutachten der Rechtsmedizin erbringen.

Nicht nur Blut ist überall im Flur verteilt, sondern auch Trümmer. In seinem Wahn prügelte der 23-Jährige gegen die Türen auf der Etage. Er riss die Deckenverkleidung heraus, rannte hoch in den zehnten Stock und zertrümmerte eine Fensterscheibe. Er schlug das Thermostat der Heizung ab, sodass sich ein Wasserschwall durch Flur, Wohnungen und Treppenhaus ergoss und die Hauselektrik beschädigte.
Deshalb waren auch am Montagmittag noch 119 Wohnungen ohne Strom und die Fahrstühle ausgefallen. Elektriker im Auftrag der Hausverwaltung konnten am Mittag wenigstens das Flurlicht wiederherstellen. „Der wollte wohl auch hier oben überall rein“, sagt der Elektriker kopfschüttelnd und zeigt auf die Spuren an den Wohnungstüren. Während der Täter in dem Haus wütete und auf die Türen eindrosch, rief ein Anwohner um 7.35 Uhr die Polizei.
„Eine sehr normale, freundliche Frau“
Offenbar muss sich der Täter dann wieder in die Wohnung verzogen haben. An die Rufe der Polizisten – „Runter! Runter!“ – kann sich Francisco, der gegenüber wohnt, gut erinnern. Der 30-jährige Argentinier, der an einer Rezeption arbeitet, wohnt seit Februar gegenüber in einem Zwei-Zimmer-Apartment.
Die Frau sei „eine sehr normale Frau gewesen, und auch freundlich“, sagt er. Vor etwa einem Monat sei sie hier eingezogen. Ob sie mit den Flüchtlingen aus der Ukraine kam – unklar. Man konnte sie und den Täter schnell identifizieren, weil die Ermittler von der Bundespolizeistation am nahe gelegenen Bahnhof Lichtenberg Beamte mit Fast-ID-Scannern zu Hilfe holten, mit denen die Identitätsfeststellung per Fingerabdruck möglich ist.
Klarheit über die Wohnverhältnisse der getöteten Frau und des Mannes herrscht dennoch nicht. Weder die Frau noch der Mann waren in der Wohnung gemeldet. Es soll die Aufenthaltswohnung des Mannes gewesen sein, sagt Sebastian Büchner von der Staatsanwaltschaft.
Überall im Haus liegt Müll herum, jeder kann hier rein
Den 23-Jährigen kennt hingegen niemand der Nachbarn. Allerdings: „Hier im Haus weiß niemand etwas über den anderen. Ständig ziehen hier Leute aus und ein“, sagt einer von ihnen. „Dieses Haus ist ein Schandfleck. Sie lassen jeden hier wohnen“, sagt ein weiterer Bewohner, der vor den leblosen dunklen Fahrstühlen steht.
Tatsächlich liegt hier überall Müll und Sperrmüll herum. In den Fluren und im Treppenhaus liegen Matratzen, auf denen Obdachlose campieren, weil die Türen unten nie abgeschlossen werden.

Aber vergleichsweise günstig sind die Wohnungen – zumindest für Berliner Verhältnisse. 300 bis 400 Euro warm für eine Ein-Zimmer-Wohnung, sagen die Bewohner.
Das Haus wird von der Adler Group, einem großen Immobilienunternehmen, verwaltet. Matteo Twerenbold, „Head of Corporate Communication“, zu deutsch: Pressesprecher, teilte auf Anfrage der Berliner Zeitung mit: „Wir sind zutiefst erschüttert von der schrecklichen Tat. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und allen weiteren Betroffenen.“ Eine Antwort, warum das Haus so verwahrlost ist, blieb er allerdings schuldig. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir derzeit von einer weiteren Kommentierung absehen. Wir werden die von Ihnen erwähnten Punkte im Hinblick auf die Situation in den Fluren prüfen.“
Gegen den Polizeibeamten, der geschossen hat, führt die Mordkommission jetzt von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren. Das ist immer so, wenn Polizisten geschossen haben.


