Berlin-In Lichtenberg hat ein 23 Jahre alter Mann aus dem Kosovo am Sonntag eine 27 Jahre alte Ukrainerin mit einer Axt oder einem anderen Schlagwerkzeug getötet. Er ließ auch nicht von ihr ab, als Polizisten eintrafen. Diese sahen sich gezwungen, den Täter zu erschießen. Die Frau ist tot. Die Tat geschah in einer Wohnung, in der beide nicht gemeldet waren. In welcher Beziehung Opfer und Täter standen, ist noch unklar. Ein Interview mit dem Kriminalpsychologen Steffen Dauer darüber, was die Tatwaffe über den Täter sagt, warum die meisten Morde von Männern begangen werden und warum Frauen besser Konflikte lösen können.
Berliner Zeitung: Herr Dauer, wir wollen und können nicht über diesen konkreten Fall sprechen, weil dafür noch zu wenige Ermittlungsergebnisse der Kripo bekannt sind. Aber es ist möglich, über diese Art von extrem brutalen Gewalttaten im Allgemeinen zu sprechen. Erst einmal ist das doch eine sehr männliche Tat. Gemeint ist: Frauen morden doch wohl eher selten, indem sie mit einer Axt immer und immer wieder auf ihr Opfer einschlagen, oder?
Steffen Dauer: Solche Handlungen bei Frauen kommen äußerst selten vor. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass Frauen bei einer überstarken affektiven Erregung in einem Konfliktfall auch Gegenstände verwenden, die als Waffen dienen können. Das sind meist Gegenstände in Griffweite der Frauen. Es kann auch ein Messer sein. Aber eine Axt hat normalerweise niemand griffbereit in der Wohnung. Es stimmt schon: Die Tat steht eher für eine männliche Handlungsweise.
Was könnte es im Allgemeinen besagen, wenn Täter zu einer Axt oder einem anderen Schlagwerkzeug greifen?
Wenn solche Gegenstände verwendet werden, ist beim Täter durchaus ein Vernichtungswille zu unterstellen, weil er doch ganz klar abschätzen kann, dass die Verletzungen, die er mit einer Axt herbeiführt, höchstwahrscheinlich tödlich enden werden.

Die Türen der Nachbarwohnungen waren mit Blut beschmiert oder mit der Axt beschädigt. Die Frau schrie sehr lange und sehr laut. Es war für sie eine lange andauernde Tortur. Auch als die Polizei eintraf, schlug der Täter noch auf das Opfer ein. Es war eine Gewaltorgie. Das klingt nach einer sogenannten Übertötung. Was bedeutet dieser Fachbegriff?
Ob es sich um eine Übertötung handelt, kann aus der Ferne nicht gesagt werden. Das wird die Obduktion zeigen. Grundsätzlich zeichnet sich eine Übertötung dadurch aus, dass der Täter seine Handlungen am Opfer immer weiter ausführt, dass sie auch nach dem erkennbaren Tod des Opfers einfach kein Ende finden. Oft gibt es Übertötungen mit einem Messer. In dem Berliner Fall hat der Täter seine Handlungen auch noch fortgeführt, als die Polizisten eintrafen und dem Mann doch klar sein musste, dass sie versuchen werden, ihn vom Opfer zu trennen.
Bislang ist nicht bekannt, in welchem Verhältnis Täter und Opfer zueinander standen. Aber eine solche brutale und lang andauernde Tat spricht doch dafür, dass da sehr viele Gefühle – in diesem Fall wohl Hass – und eine Beziehung im Spiel waren. Oder ist das falsch?
Die Art und Weise der Tötung kann auf eine besondere Wut und Aggressivität hinweisen, die sich aus einer persönlichen Beziehung ergibt. Aber eine Beziehung von Oper und Täter ist nicht zwingend notwendig. Es kann auch sein, dass das Opfer für den Täter eine Art Symbol darstellte. Wie etwa bei einem Femizid, wo Männer Frauen ermorden, nur weil sie Frauen sind. Deshalb muss ermittelt werden, ob es zwischen beiden eine Beziehung gab. Da muss das Umfeld des Opfers und des Täters überprüft werden. Das ist auch wichtig, um zu ermitteln, ob es vor der Tat Anzeichen dafür gab, dass der Mann zum Täter wird.

Bei der Gruppe der Täter ist das Geschlechterverhältnis sehr eindeutig und seit Ewigkeiten konstant: Etwa 80 Prozent aller registrierten Körperverletzungen werden von Männern begangen, fast 90 Prozent der Morde, 99 Prozent der Vergewaltigungen. Warum ist Kriminalität so männlichkeitsgeprägt, oder anders gefragt: Warum sind Männer so gefährlich?
Grundsätzlich gibt es eine Komplexität von Ursachen, aber die Biologie hat durchaus einen entscheidenden Anteil daran, dass es bei Männern und Frauen Unterschiede gibt im Ausleben von Aggressivität. Gemeint ist der Hormonhaushalt der Männer, der höhere Anteil von Testosteron. Der sorgt auch dafür, dass bei Männern die Bereitschaft zum Ausleben von Aggressionen größer ist. Sie sind eher bereit, sich verbal als auch aktional aggressiv zu verhalten. Dazu kommen soziale Aspekte, also erlernte oder übliche Verhaltensweisen in einer Gesellschaft. Das männliche Verhalten ist sehr auf Aktion, Reaktion und die Überzeugung der eigenen Stärke eingestellt.
Und Frauen?
Bei Frauen ist die Fähigkeit zur Aggressionshemmung viel stärker ausgeprägt. Sie sind wissentlich und willentlich viel stärker in der Lage, ihre Aggressionen zu bremsen. Dazu kommen wieder die sozialen Aspekte. Die Forschungen zeigen, dass Jungen und Mädchen sich in ihrer Entwicklung dadurch unterscheiden, dass bestimmte Verhaltensweisen geschlechterspezifisch ausgebildet werden. Aber es gibt da inzwischen durchaus eine Annäherung: Bei allen Gewalttaten von Jugendlichen nimmt heute der Anteil der Gewalthandlungen von Mädchen einen größeren Teil ein als noch vor 50 Jahren. Das liegt wohl an sozialen Effekten. Gemeint ist, dass sich Mädchen stärker dem Verhalten von Jungen angleichen.
Warum schrecken Frauen eher davor zurück, jemanden umzubringen?
Das hat vor allem etwas mit den erlernten Reaktionsweisen auf Konflikte zu tun. Männer sind da oft eher etwas eindimensionaler, während Frauen meist versuchen, einen Konflikt mit mehr Möglichkeiten zu lösen als mit einem rein aggressiven Verhalten. Frauen sind flexibler in ihren Reaktionsweisen.
Gibt es Erkenntnisse, welche Rolle bestimmte Drogen auf die Brutalität der Täter haben?
Psychoaktive Substanzen – vom Alkohol bis zu Drogen – haben durchaus einen Einfluss auf die Bereitschaft, Gewalthandlungen zu begehen.
Opfer und Täter sind tot, wird da noch ermittelt?
Auch wenn Täter und Opfer tot sind, muss in diesem Fall ermittelt werden, ob der Täter möglicherweise eine akute psychische Erkrankung hatte. Dann gelten all jene Aspekte nicht, die wir zur Übertötung genannt haben. Bei psychisch kranken Tätern ist die Wahrnehmung gestört und auch das Denken. Und deshalb unterliegen solche Tötungsdelikte einer anderen Handlungsdynamik. Aber die übergroße Mehrheit aller Tötungsdelikte wird nun mal nicht von psychisch kranken Menschen begangen.
