Der Deutsche Bundestag hat 736 Abgeordnete. Jeden Tag bekommen diese Volksvertreter Hassmails oder Hass-Äußerungen über die sozialen Netzwerke. Darunter sind Morddrohungen, Beleidigungen auf sexueller Grundlage und Gewaltfantasien.
Weil der Bundestag sich in Berlin befindet, landen die Verfahren bei der Berliner Polizei – obwohl mehr als 90 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen die Taten in anderen Bundesländern verübt haben. Die Folge: Die Berliner Ermittler kommen nach eigenen Angaben mit der Arbeit nicht mehr hinterher.
In der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Beleidigungen und Drohungen gegen Bundestagsabgeordnete und andere Politiker massiv an. Daraufhin wurde im Februar 2022 beim Bundeskriminalamt (BKA) die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) mit etwa 100 Mitarbeitern eingerichtet. „Dadurch soll einer zunehmenden Verrohung der Kommunikation in sozialen Netzwerken entgegenwirkt und eine effektive Strafverfolgung der dort begangenen Straftaten ermöglicht werden“, heißt es in der Selbstdarstellung des BKA. „Gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern geht das BKA mit der ZMI BKA konsequent gegen Hass und Hetze im Netz vor“, heißt es weiter.
Bundeskriminalamt sieht sich nicht zuständig
Die Arbeit mit den vielen Hasspostings gegen Bundestagsabgeordnete hat allerdings weiterhin das Berliner Landeskriminalamt (LKA). Das dortige Kommissariat für Hasskriminalität, das aus etwa 20 Mitarbeitern besteht, führt die Ermittlungen und gibt nach deren Abschluss die Verfahren an die zuständigen Staatsanwaltschaften in den Bundesländern ab, in denen die Tatverdächtigen sitzen.

Der Arbeitsaufwand ist bei solchen Ermittlungen generell hoch, auch wegen der Korrespondenzen mit den jeweiligen Telekommunikationsanbietern, die nur zögerlich die IP-Adressen herausgeben, von denen die Hassnachrichten verschickt wurden.
Das Berliner Landeskriminalamt versuchte nach Angaben von Ermittlern mehrfach, die Verfahren zu den Hasspostings an das BKA abzugeben. Doch das sieht sich nicht zuständig.
Ermittlungen mit Berlin-Bezug, etwa im Bereich Homophobie, bleiben liegen
Man wolle sich nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen, soll es zur Begründung seitens des BKA unter anderem heißen. Dabei sind alle Parteien im Bundestag von Hassbotschaften betroffen. Zudem habe man wohl auch beim BKA Angst vor Überlastung. Das Bundeskriminalamt äußerte sich auf eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung bislang nicht.
„Wenn wir auf Bundesebene eine zentrale Stelle geschaffen haben, die mit Personal und Finanzmitteln ausgestattet ist, sollte die sich auch um Hasspostings gegen Mitglieder des Bundestages kümmern“, sagt Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei. „Jeder menschenverachtende Post ist einer zu viel, aber es kann nicht sein, dass bundespolitische Entscheidungen Berlins Kommissariat für Hasskriminalität im LKA nahezu lahmlegen und feindliche Aussagen im Netz mit klarem Berlin-Bezug zum Beispiel im Bereich Homophobie nicht bearbeitet werden können.“


