Interview

Volksentscheid-Initiative im Interview: „Wir wollen niemandem das Auto wegnehmen“

Auto weg und höhere Mieten in Berlin nach dem Klimavolksentscheid? Laut Stefan Zimmer, Sprecher der Initiative Klimaneustart, muss es nicht dazu kommen.

Stefan Zimmer will der Politik Ziele setzen.
Stefan Zimmer will der Politik Ziele setzen.Benjamin Pritzkuleit

Die Initiative Klimaneustart hat im letzten Jahr genug Unterschriften für einen Volksentscheid gesammelt. Die Berlinerinnen und Berliner stimmen am Sonntag darüber ab, ob ein neues Gesetz in Kraft tritt: Berlin soll demnach bis 2030 klimaneutral werden.

Die bisherigen Ziele sind außerdem als Verpflichtungen formuliert. Eins ist klar: Das wird teuer. Viele Menschen fürchten steigende Kosten und Beschränkungen im Verkehr. Stefan Zimmer, Sprecher der Initiative, erklärt, wie die Klimaneustart-Initiative dazu steht.

Berliner Zeitung: Der Volksentscheid steht kurz bevor. Was erhoffen Sie sich?

Stefan Zimmer: Unsere Gesetzesfassung wird automatisch gültig, wenn wir die Mehrheit bekommen und diese Mehrheit mindestens 608.000 Ja-Stimmen hat. Dann ist der Senat verpflichtet, alles in seiner Macht stehende zu tun, um diese Stadt zu dekarbonisieren, also von der fossilen Abhängigkeit wegkommen. Dadurch würden wir in Berlin die Lebensqualität steigern. Wenn wir den Verkehr anders organisieren, haben wir weniger Schadstoffe in der Luft, mehr Ruhe in den Straßen, wir haben mehr Raum.

Wir denken aber auch, dass dadurch Zukunftsjobs entstehen. Wir müssen die Häuser sanieren, wir müssen PV-Module auf den Dächern installieren, wir müssen Speicherkapazitäten aufbauen, Großwärmepumpen. Wir wollen die Zukunftsfähigkeit der Stadt steigern und ein internationales Signal aussenden. Natürlich muss dann auch viel investiert werden. Berlin wird das allein nicht stemmen können, da muss auf jeden Fall die Bundesregierung mit anpacken. 70 Prozent der Emissionen entstehen in den Städten, deshalb muss die Klimawende dort anfangen. Das können die Kommunen nicht alleine schultern. Dazu gibt es auch EU-Fördertöpfe, die besser ausgenutzt werden müssen. Auf Bundesebene könnte eine CO2-Steuer zusätzliche Gelder einbringen.

Eine Gefahr sehen viele darin, dass die sozial Schwächeren am Ende die Kosten tragen. Gerade bei Sanierungen und Modernisierungen könnten Vermieter Kosten auf die Mieter umlegen.

Das ist tatsächlich der größte Zielkonflikt. Der Senat hat aktuell keine gute Lösung, finde ich. Die Wohnungen müssen bezahlbar bleiben, deshalb haben wir einen Paragrafen (§ 3, Abs. 3, Anm. d. Red.) in das Gesetz eingebaut: Wenn es zu Warmmieterhöhungen auf Grundlage unseres Gesetzes kommt, muss der Senat einen Ausgleich schaffen. Grundsätzlich ist es ja okay, wenn ein Vermieter nach der Sanierung die Nettokaltmiete erhöht, die Mieter aber weniger Heizkosten haben. Dann wäre es ein Nullsummenspiel.

Zur Person
Stefan Zimmer engagiert sich seit der UN-Klimakonferenz 2009 für Klimaschutz. Der 48-Jährige ist Gesellschafter einer Kommunikationsagentur und Pressesprecher der Initiative Klimaneustart.

Leider können wir den Vermietern nur bedingt vorschreiben, wie sie ihre Miete ansetzen, das ist auf Bundesebene geregelt. Wenn Vermieter die Sanierung aber als Vorwand nutzen, um ihre Rendite zu steigern, was in Berlin schon oft passiert ist, dann soll der Senat laut unserem Gesetz einen Ausgleich schaffen. Wir müssen die Stadt sozial gerecht dekarbonisieren – die sozial Schwächsten haben die geringsten CO2-Fußabdrücke und leiden am meisten an der Klimakrise: Im Plattenbau, der sich im Sommer aufheizt und durch die Wohnlage an Straßen.

Viele Wahlberechtigte, die mit Nein abstimmen wollen, fürchten wahrscheinlich um den Individualverkehr.

Das Auto ist des Deutschen heilige Kuh. Das ist tatsächlich das polarisierende Thema, das uns auch immer wieder beim Straßenwahlkampf begegnet. Viele sagen „ich muss Auto fahren“. Wir fordern keine konkreten Maßnahmen und wollen niemandem das Auto wegnehmen. Wir wollen Planungssicherheit für die Menschen: Wenn der Volksentscheid erfolgreich wäre und der Diesel einer Familie 2028 kaputt geht, wüssten sie, dass sie auf ein Elektroauto oder andere Mobilitätsmöglichkeiten umsteigen müssen.

Die Alternativen müssen jetzt natürlich ausgebaut werden, wir brauchen eine höhere Taktung und neue Linien beim ÖPNV, einen Ausbau der Sharing-Konzepte und sichere Fahrradwege. Wir wollen den Autoverkehr einschränken, nicht verbieten. Die Möglichkeit, die Oma zum Arzt zu fahren, wird es weiterhin geben. Die Menschen sollen in Zukunft mehr Auswahlmöglichkeiten haben, je nachdem, wo es hingeht und was sie transportieren müssen.

Haben Sie Sorge, dass eine große Koalition in Berlin die Verpflichtungen nicht umsetzt?

Aufgrund der Klimapolitik der SPD und der CDU in den vergangenen Jahren haben wir keine großen Hoffnungen, dass dieser neue Senat das Gesetz schnell und konsequent umsetzt. Wir gehen aber davon aus, dass sich auch CDU und SPD an Recht und Gesetz halten und alles dafür tun. Beim Straßenwahlkampf bekommen wir mit, dass eine „Jetzt-erst-recht-Stimmung“ bei den Leuten entstanden ist, die sich eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Regierung gewünscht hätten. Viele wollen der neuen Regierung wenigstens ein ambitioniertes Klimagesetz ins Aufgabenbuch schreiben.

Alina Lebherz (r.) und Christian Möstel werben für den Volksentscheid „Klimaneustart“.
Alina Lebherz (r.) und Christian Möstel werben für den Volksentscheid „Klimaneustart“.Benjamin Pritzkuleit

Was würde passieren, wenn das Land Berlin die Verpflichtungen nicht einhalten würde?

Dann passiert erst mal noch nicht so viel. Im Gesetz gibt es keinen Sanktionsmechanismus. Wenn einzelne Sektoren Ziele nicht erreichen, müssen aber Programme aufgelegt werden. Es ist ein Gesetz des Landes Berlin, Berlin muss keine Strafzahlungen an den Bund oder die EU bezahlen. Aber zivilgesellschaftliche Akteure könnten dann vor Gericht gehen und Sofortmaßnahmen einklagen, damit nachgebessert wird.

Hundert Berliner Unternehmer haben sich in einem offenen Brief für die Gesetzesänderung ausgesprochen. Haben noch mehr Menschen die Initiative unverhofft unterstützt?

Es gab außer den „Leaders for Climate Action“ eine zweite Initiative von 15 Unternehmen, die ebenfalls zum Ja-Stimmen aufgerufen haben. Einzelne Experten des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) halten den Umbau durchaus auch für technisch machbar und wollen an der Umsetzung mitarbeiten. Und auch aus der Kulturszene gibt es immer mehr Unterstützung. Das wird auch am Samstag bei unserer großen Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor sichtbar werden.

Das stärkste Argument vom Senat für eine Ablehnung ist, dass die Baumaßnahmen eine längere Planungszeit brauchen. Bis 2030 sei es einfach nicht zu schaffen.

Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel, das ist uns bewusst. Ob Berlin es wirklich schaffen kann, können wir nur herausfinden, wenn wir es jetzt probieren. Die Menschheit wäre auch nicht auf dem Mond gelandet, wenn alle gesagt hätten: „Das ist doch gar nicht möglich.“ Damals gab es ein Moonshot-Thinking. Die USA hat alle Kräfte da reingesteckt und zehn Jahre später stand dann der erste Mann auf dem Mond. Eine ähnliche Herangehensweise brauchen wir jetzt auch.