Jessamine Davis drückt auf ihr Smartphone, dort erscheint ein Herz. Das Herz markiert das Café, aus dem sie gerade kommt, als „Soli-Ort“ in einer App. Die Angestellten haben sich bereit erklärt, eine Unterschriftenliste für das Volksbegehren „Berlin 2030 klimaneutral“ im Laden auszulegen. Das Ziel dieses neusten Volksbegehrens in der Stadt: Berlin soll schon bis 2030 klimaneutral werden. Der Senat plant derzeit noch mit dem Jahr 2045.
Davis ist an diesem Nachmittag mit vier weiteren ehrenamtlichen Helfern für das Volksbegehren in Kreuzberg unterwegs, sie wollen Geschäfte als Unterstützer gewinnen. Eben noch hat es geregnet, oft kommt das in diesem Sommer nicht vor, aber Davis freut sich auch darüber, dass es wieder trocken ist. „Der Regen ist im Moment so gut für die Natur, aber nicht zum Sammeln“, sagt die 32-Jährige.
Es wird heißer auf der Erde. Die Folgen sind schon jetzt spürbar. In Brandenburg brennt der von Dürrejahren geschwächte Wald, in der vergangenen Woche wurden aus sechs Bundesländern neue Hitzerekorde gemeldet. Davis spricht von katastrophalen Folgen, wenn die Erderwärmung das Ziel von 1,5 Grad überschreitet.
Die Initiative „Klimaneustart“ braucht bis zum 15. November 175.000 Unterschriften, um einen Volksentscheid auf den Weg zu bringen. Am 15. Juli haben sie begonnen zu sammeln, die ersten 3500 Unterschriften sind bereits zur Überprüfung beim Abgeordnetenhaus. Übung beim Sammeln hat „Klimaneustart“ schon: Bereits zwei Volksinitiativen waren erfolgreich, Berlin hat daraufhin den Klimanotstand ausgerufen und einen „Klimabürger:innenrat “ gegründet. „Sie haben den Klimanotstand ausgerufen, aber sie handeln nicht danach“, sagt Davis und meint die Politiker.
95 Prozent weniger Emissionen als 1990
Über das Ziel, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen, soll deshalb nun in einem bindenden Volksentscheid abgestimmt werden. Das Volksbegehren mit rund 40.000 Unterschriften, fast doppelt so viele wie nötig, wurde vom Abgeordnetenhaus abgelehnt. Deshalb dürfen Davis und ihre Mitstreiter in der zweiten Sammelphase nun einen Volksentscheid erzwingen. Wenn sie die nötigen Stimmen zusammenbekommen. Klimaneutral, das bedeutet 95 Prozent weniger Ausstoß von CO₂ und anderen schädlichen Treibhausgasen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990.
Dieses Ziel sei notwendig, wenn man von einem „fairen“ Emissionsbudget weltweit ausgehe, sagt Davis. Staaten, die bisher am meisten CO₂ ausgestoßen haben, müssen demnach Vorreiter sein. „Die Kluft zwischen dem 1,5-Grad-Pfad und dem Berliner Koalitionsvertrag ist unbestreitbar. 2045 ist deutlich zu spät, um dieses selbst gesetzte Ziel zu erreichen“, sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin.

Die Inhaberin des Buchladens Leseglück weiß sofort Bescheid, als die Truppe in ihren Laden marschiert. Die fünf haben rote Westen an und Klemmbretter unter dem Arm. „Ich habe die Plakate gesehen und mich schon gefragt, wann jemand vorbeikommt“, begrüßt Eleni Efthimiou die Sammlerinnen und Sammler. Sie deutet auf einen kleinen Tisch. „Ihr könnt die Listen dort auslegen. Danke für euer Engagement!“
In der ganzen Stadt haben die Freiwilligen Plakate aufgehängt: „Es ist nicht zu spät“, steht dort in Rot auf grünem Grund. Laura Wagner bewältigt durch das Sammeln ihre Angst wegen der Klimakrise. „Man kommt nach Hause und hat einen Unterschied gemacht“, sagt sie. Die Gruppe teilt sich nach einer halben Stunde auf, um noch effektiver zu sammeln.
Wir schaffen das, weil wir es müssen
Die Initiative schreibt die Maßnahmen, um ein klimaneutrales Berlin zu erreichen, nicht vor, doch wenn die Emissionen um 95 Prozent reduziert werden sollen, ist klar, dass sich viel verändern müsste. Solaranlagen auf allen Berliner Dächern und keine Verbrennermotoren in der Stadt sind Ideen der Mitglieder. Die Kosten für Umbaumaßnahmen sollen nicht auf den Mieter umgelegt werden können, meint Davis. Sie geht davon aus, dass sich Menschen eher ums Klima kümmern, wenn ihre Grundbedürfnisse gesichert sind. Dabei gehe es nur um die Existenzsicherung, mit Wohlstand steige der CO₂-Ausstoß pro Kopf wiederum.
„Klimaneustart“ ist gut vernetzt mit anderen Initiativen: Expedition Grundeinkommen sammelt zurzeit ebenfalls für einen Volksentscheid, die Mitglieder teilen ihr Netzwerk. Sie unterstützen einander bei Pressekonferenzen, legen Listen an denselben Orten aus und bitten in Warteschlangen von Veranstaltungen teilweise gleich um zwei Unterschriften: die für Klimaneutralität und die für einen Testlauf beim Grundeinkommen. Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat die „Berliner Sammelapp“ entwickelt und zur Verfügung gestellt.




