Dominik Plumettaz hat die Nacht nicht geschlafen. Das erzählt der 27-Jährige, als wir am Mittwochmorgen telefonieren. Stattdessen hat er mit den vier anderen Mitgliedern seiner Band Lauwarm zusammengesessen und darüber gesprochen, wie sie auftreten, was sie aussenden wollen. Sie haben ein Statement erarbeitet, das sie um sechs Uhr früh auf allen Social-Media-Kanälen gepostet haben: „Wir haben als Gruppe Familie, Freunde wie auch Geliebte aus verschiedenen Kulturen, was sich in unserer Musik widerspiegelt“, heißt es dort. „Wir begegnen allen Kulturen mit Respekt. Aber wir stehen auch zu der Musik, die wir spielen und zu unserem Erscheinungsbild.“
— Lauwarm (@Lauwarm_music) July 27, 2022
Was ist passiert? Lauwarm traten am 18. Juli in der Berner Brasserie Lorraine auf. Sie waren kurzfristig für eine andere Band eingesprungen. Zum Repertoire von Lauwarm zählen Indie, World und Pop und vor allem Mundart-Reggae, also Reggae mit Schwyzerdütschen Texten. Nach dem ersten Set hätten die Betreiber sie zu einer Besprechung gebeten. „Uns wurde gesagt, dass sich einzelne Personen unwohl fühlen würden aufgrund unserer Hautfarbe – also weiß –, aufgrund unserer Kleidung aus Gambia und Senegal, aufgrund der Dreadlocks und unserer Musikrichtung“, erzählt Dominik Plumettaz. Der große Vorwurf lautete kulturelle Aneignung, also die Übernahme von Bestandteilen einer Kultur, die dann als Problem empfunden wird, wenn es um die Kultur einer benachteiligten Gruppe geht, in dem Fall der Jamaikaner, die zum großen Teil von verschleppten Sklaven abstammen. Wenn also ein Weißer Dreadlocks trage, entreiße er sie diesem historischen Kontext der Unterdrückung, die er selbst nie erfahren hat.
Das Publikum protestierte laut Bandleader gegen den Abbruch des Konzerts
„Die Betreiber sagten, sie würden sich nicht wohlfühlen, wenn wir weiterspielen, und wir haben uns natürlich auch nicht mehr sehr willkommen gefühlt“, erzählt Plumettaz. Sie hätten dann zusammen entschieden, das Konzert abzubrechen. So stellte es auch die Brasserie Lorraine am Montag auf ihrer Facebook-Seite dar. Die Veranstalterin entschuldigte sich später in einer Erklärung für „Sensibilisierungslücken“. Man hätte das Publikum besser vor dem Auftritt „schützen müssen“. Der Vorfall erinnert an die Absage des Konzerts von Ronja Maltzahn, die von Fridays for Future im März ausgeladen wurde, weil sie als Weiße Dreadlocks trägt.
Das Publikum habe protestiert, erzählt Dominik Plumettaz weiter, aber sie seien dabei geblieben, nicht mehr zu spielen. Stattdessen haben sie noch ein paar Stunden mit den Leuten in der Brasserie diskutiert. „Aber niemand, der mit uns Probleme hat, hat mit uns gesprochen.“
Es ist das erste Mal, dass die Band mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung konfrontiert worden ist, und man spürt bei Dominik Plumettaz die Unsicherheit im Umgang mit diesem Thema. Man merkt es schon daran, dass er nun Journalisten erklärt, er selbst trage nur deshalb keine Dreadlocks, weil er keine Haare mehr auf seinem Kopf habe. Dabei dürfte er nach den Kriterien derjenigen, die diese Haartracht bei Weißen als kulturelle Aneignung kritisieren, sogar welche tragen, denn seine Eltern kommen aus Brasilien und stammen von indigenen Völkern beziehungsweise von Menschen ab, die als Sklaven aus Angola nach Brasilien verschleppt worden seien. Aber das erzählt er nur auf Nachfrage, und es ist ihm eigentlich auch unangenehm, es überhaupt zu thematisieren. Er sei doch in der Schweiz geboren. Er möchte mit seinen Vorfahren nichts rechtfertigen, und er findet es okay, dass zwei aus der Band Dreadlocks tragen. „Einer von ihnen hat einen starken Bezug zu Afrika, dem anderen gefällt es einfach.“ Die afrikanische Kleidung hätten diejenigen getragen, die in Afrobands mitspielen, und ja, da spielten auch schwarze Musiker mit.
Welche Musikrichtung hat schon einen reinen Stammbaum?
Intuitiv erfasst er das Problem, um das es bei der Musik geht. Denn welche Musikrichtung hat schon einen reinen Stammbaum? „Wir stehen zu unserer Musik, wir sind stolz, dass wir uns von einer solch reichen Kultur inspirieren lassen dürfen. Würde man das Verbot kultureller Aneignung konsequent auf die Musik anwenden, könnte man kaum noch etwas spielen.“
Er erzählt dann noch, dass er in den Nullerjahren zum Mundart-Reggae gekommen sei, der damals in der Schweiz ziemlich populär war. „Mich haben die positiven Messages inspiriert, die Werte, die das transportiert hat.“
Ihr nächstes Konzert hat die erst ein Jahr alte Band am 30. August beim Paleggo-Festival in St. Gallen. Die Veranstalter haben sich schon bei ihnen gemeldet und ihnen versichert, dass sie dort spielen dürfen. Ob er fürchtet, dass das nicht alle Veranstalter so sehen werden? „Wir müssen sehen, wie sich das entwickelt. Die Kritik können wir schon verstehen, aber wie sie geäußert wurde und dass keiner mit uns geredet hat – das stört uns.“ Den Dialog würden sie gern aufnehmen und laden dazu in den Sozialen Medien unter dem Hashtag #talklauwarm ein.
