Antirassismus

Kampf gegen Rassismus: „Die Menschen hören nur Verbote, aber es geht um eine Chance“

Tupoka Ogette arbeitet als Antirassismus-Trainerin. Was macht sie in ihren Workshops? Auf welche Widerstände stößt sie? Ein Gespräch.

Tupoka Ogette im Atelier ihres Mannes Stephen Lawson
Tupoka Ogette im Atelier ihres Mannes Stephen LawsonSabine Gudath

Tupoka Ogette ist Antirassismus-Trainerin, Podcasterin und Autorin. Ihr Buch „exit Racism“, bereits 2017 veröffentlicht, wurde 2020 zum Spiegel-Bestseller. Ogette, die in Leipzig geboren wurde und in Berlin lebt, begleitet seit zehn Jahren Unternehmen, Organisationen und Verbände, die Workshops zum Thema Rassismus anbieten.

Eine Anmerkung: „Schwarz“ wird in diesem Interview großgeschrieben und „weiß“ klein. Diese Begriffe markieren nicht die Hautfarbe an sich, sondern die soziopolitische Positionierung der Menschen.

Berliner Zeitung: Sie arbeiten als Antirassismus-Trainerin. Wie sind Sie dazu gekommen?

Tupoka Ogette: Es war eine Verkettung von Momenten. Aber wenn ich zwei nennen sollte, dann ist der eine, dass ich irgendwann gemerkt habe: Meine Kinder machen die gleichen Rassismus-Erfahrungen wie ich. Das hat mich in ein Gefühl der Ohnmacht und Wut getrieben. Und der andere war die Erkenntnis, dass sprechen lernen über Rassismus im Alltag uns hilft. Es hilft uns in unseren Beziehungen. Mit meiner Mutter und meinen Großeltern, im Arbeitsleben, mit Eltern und Kindern, das ist wirklich ein Gewinn.

Wenn ich darauf hingewiesen werde, etwas Rassistisches gesagt oder getan zu haben, wie soll ich darauf reagieren?

Die verbreitete Reaktion ist Abwehr, was auch mit dem falschen Verständnis von Rassismus zu tun hat, das wir in unserer Gesellschaft lernen. Wünschenswert wäre, dass man erst mal einatmet. Und ausatmet. Und dann überlegt, was da passiert ist. Wenn ich Ihnen auf den Fuß trete, dann würde ich ja auch sagen „Tut mir leid“ und nicht: „Stell dich mal nicht so an mit deinem Fuß. Mein Fuß tut auch weh.“ Dann wäre ja die wünschenswerte Reaktion, dass ich nachdenke, mich ehrlich entschuldige und gucke, was ich machen kann, damit es Ihnen wieder gut geht. So wäre es mit Rassismus idealerweise auch, aber es ist leider meistens nicht so.

Manche Menschen sagen, dass es den Rassismus-Begriff verwässert, wenn wir schon kleinste Bemerkungen oder Gesten, sogenannte Mikroaggressionen, als Rassismus bezeichnen.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unseren Rassismus-Begriff erweitern. Wir lernen: Rassismus ist böse und schlecht, es sind die Nazis, die rassistisch sind. Rassismus, das ist Hanau oder George Floyd – und sogar darüber wird manchmal noch debattiert. Und wir haben gelernt: Ich muss Rassismus nur schlecht finden, dann kann ich selbst nicht rassistisch sein. Das ist wahnsinnig verkürzt und falsch. Die Eskalationen sind nur die Spitze eines Eisbergs, so ein rassistisch motivierter Übergriff wie in Hanau passiert nicht von allein, sondern ist Teil eines viel größeren Systems.

Stoßen Sie bei Ihren Workshops auf Widerstand?

Widerstände gehören zum Prozess. Nicht nur Abwehr. Auch Ohnmachtsgefühle, Trauer oder Verunsicherung. Wir haben durch die jahrelange Arbeit Methoden entwickelt, um die Widerstände zu antizipieren und zu begleiten. Ein essenzieller Punkt ist, dass wir fälschlicherweise gelernt haben, etwas Rassistisches sagen oder tun bedeutet immer auch, ein schlechter Mensch zu sein. Aber wir müssen ein anderes Verständnis entwickeln: Wir sind rassistisch sozialisiert, wir alle reproduzieren Rassismus, oft unabhängig davon, ob wir es wollen oder nicht. Und auch unabhängig davon, ob wir gute Menschen sind. Das ist die Basis dafür, dass die Abwehr weichen kann.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Abwehrhaltung dazu führt, dass Leute, die konservativ waren, noch weiter nach rechts rutschen. Glauben Sie, dass es uns zusammenbringt, wenn wir über Rassismus sprechen?

Was ist sonst der Weg? Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon. Aber wir kommen nicht drum herum, anzugucken, was uns als Gesellschaft beschäftigt. Zu erkennen, was da zwischen uns wirkt, was für ein Erbe wir da leben, um es dann konsequent gemeinsam mit möglichst vielen Menschen abzubauen. Die Alternative wäre ja, zu sagen, wir reden nicht mehr über Rassismus. Es gibt auch viele weiße Menschen, die sagen, das wird mir zu viel. Aber welches soziale Problem ist jemals davon weggegangen, dass wir sagen, wir reden nicht mehr darüber? Solange Schwarze Menschen und People of Color Rassismus-Erfahrungen machen, müssen wir auch darüber reden.

Viele weiße Menschen, die ich begleiten durfte, kommen in dem Prozess an einen Punkt, an dem sie sagen: Ich wünschte, ich hätte von klein auf gelernt, Rassismus zu benennen und zu erkennen. Die Menschen hören oft nur Verbote, aber eigentlich geht es um die große Chance, diese Welt gemeinsam besser zu machen.

Sie prägen in Ihrem ersten Buch „exit Racism“ den Begriff Happyland, der einen Zustand bezeichnet, in dem man glaubt, nur wenige schlechte Menschen seien rassistisch. Ich habe selbst lange in Happyland gelebt und weiß nicht, was schmerzhafter ist: Rassismus zu erfahren und nicht benennen zu können oder plötzlich überall Rassismus zu sehen. Warum dürfen wir nicht in Happyland bleiben?

Für uns als Schwarze Menschen ist es ja eine andere Auseinandersetzung als für Weiße. Für uns ist dieses Happyland an vielen Stellen schmerzhaft. Bei mir war es lange so, dass ich dachte, ich sei das Problem. Ich sei vielleicht ein bisschen übersensibel. All das kann Konsequenzen haben, Autoaggressionen, dass man denkt, man selber sei irgendwie komisch. Für viele Schwarze Menschen, die ich kenne, hat die Politisierung einerseits eine Befreiung bedeutet, weil klar war, Rassismus ist das Problem – und nicht ich.

Weiße Menschen haben das Privileg, sich nie wirklich mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen. Damit Rassismus weniger werden kann, braucht es aber weiße Menschen, die sich aktiv entscheiden, rassismuskritisch denken und leben zu lernen.

Das heißt, auch „Schwarz“ und „weiß“ zu benennen, ist wichtig?

Sprache schafft Wirklichkeit. Und Wirklichkeit wiederum Sprache. Natürlich wäre es megacool, wenn ich morgens aufwachen würde und einfach nur Tupoka wäre. Und wir müssten nie mehr über dieses Thema reden. Aber die Realität ist, dass wir in eine Welt hineingeboren sind, in der diese Kategorien seit vielen Jahren unsere Gesellschaft strukturieren. Dafür müssen wir eine Sprache finden. Selbstbezeichnungen wie Schwarz oder People of Color sind der Versuch, über das zu sprechen, was wir in dieser Gesellschaft erleben. Da geht es ja nicht um Hautfarbe.

Sie glauben also nicht, dass die Realität dadurch noch mehr zementiert wird? Sondern dass man nur durch das Benennen der Kategorien dagegen angehen kann?

Das erscheint mir logisch. Wie zum Beispiel beim Sexismus. Solange wir Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche benannt haben, hatten Frauen keine Möglichkeit, das als Verbrechen zu benennen und rechtlich dagegen vorzugehen. Wenn wir keine Sprache für etwas haben, dann ist es nicht real. Die große Vision ist, dass wir das alles irgendwann gar nicht mehr brauchen, weil es keine Diskriminierung mehr gibt.

Wir werden das Ende von strukturellem Rassismus nicht erleben, Ihre Kinder wahrscheinlich auch nicht. Warum setzen Sie sich trotzdem so sehr ein?

Ein großer Motor ist schon mein Muttersein, zu wissen, da sind junge Menschen, die Dinge erleben, die sie nicht erleben müssten, wenn die Gesellschaft weniger rassistisch wäre. Die Frage für mich ist, bleibe ich in dem Gefühl von lähmender Ohnmacht oder nutze ich meine Wut und Frustration, um etwas Positives daraus zu machen? Es ist anstrengend, keine Frage. Aber es ist auch toll, ich treffe viele weiße Menschen, die sich auf diesen Weg machen.

Macht es auch Spaß?

Spaß ist nicht das richtige Wort. Aber es gibt viele berührende Momente, Momente der Begegnung. Das ist ja auch eine emotionale Reise. Ich darf auch viele Menschen kennenlernen, die sich im Alltag gegen Rassismus einsetzen. Es ist eine Arbeit, die sehr inspirierend sein kann.

Die Workshops geben Sie mit Ihrem Mann zusammen. Wie verteilen Sie die Aufgaben?

Ich habe das fünf Jahre vorher allein gemacht. Dadurch hat sich ergeben, dass ich die dominantere Rolle habe und er vor allem auf die Umgebung achtet, er ist Künstler und übernimmt alles, was die Visualisierung betrifft. Wir sind viel in Medien, Kunst und Kultur unterwegs, da ist seine Perspektive superhilfreich. Er macht als Schwarzer Mann natürlich auch andere Erfahrungen und kann diese teilen. Und wir passen gut aufeinander auf, was Trigger und schwierige Momente angeht.

Ist es anstrengend, mit dem Partner zusammenzuarbeiten?

Viele Menschen sagen „Ach, das könnte ich nie“. Wir verbringen gern viel Zeit zusammen. Was uns stark verbindet, ist, dass wir eine gemeinsame Vision für die Gesellschaft haben. Wir funktionieren super zusammen. Das heißt nicht, dass es nicht auch manchmal Momente gibt, wo es schwerfällt, die Trennung zu finden zwischen privat und beruflich.

Das neue Buch „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben“ liest sich ein bisschen wie ein Lehrbuch. Es gibt viele Auflistungen, warum?

Wenn ich im Workshop bin, sagen die Menschen immer „Ich brauch jetzt eine Struktur, etwas Konkretes“. Außerdem sehe ich mich nicht als klassische Schriftstellerin, ich komme vom Workshop, vom Dialog, der Auseinandersetzung. Deswegen lesen sich meine Bücher auch wie ein Workshop.

Verstehen Sie die Verunsicherung von weißen Menschen, die nach dem Lesen des Buchs das Gefühl haben, es einfach nicht richtigmachen zu können?

Alles, was ich mache, ist, Rassismus aufzuzeigen und zu benennen. Natürlich verstehe ich die Verunsicherung. Ich habe die auch. Aber ich glaube, dass diese Verunsicherung eigentlich gut ist. Und dass wir der mehr abgewinnen können. Unsicherheit bedeutet, dass wir gesellschaftlich in Bewegung sind. Natürlich haben wir alle dieses Bedürfnis nach Sicherheit. Gib mir eine Liste von zehn Dingen, die ich lassen muss, und dann ist gut. Aber so funktioniert nun mal Gesellschaft nicht. Rassismus ist ein sehr komplexes Thema. Und deshalb muss die Antwort darauf mindestens genauso komplex sein. Sicherheit bedeutet Stillstand, Sicherheit bedeutet Trump und AfD. Die versprechen Sicherheit.

Was setzen Sie Kritikern der Identitätspolitik entgegen?

Identitätspolitik wird überall gemacht. Im Kontext Rassismus vergessen Menschen, den Anfang zu benennen. Weiße Vorherrschaft ist eine der größten Identitätspolitiken, die es gibt. Sie hat „nichtweiße“ Menschen in Kategorien geteilt, als fremd benannt und marginalisiert. Dass diese Menschen sich vernetzen, ihre Erfahrungen teilen, Teilhabe einfordern, Ungerechtigkeiten benennen, ist doch eine erwartbare Konsequenz.

Die Frage habe ich aus Ihrem Buch, ich fand sie schön: Was würden Sie tun, wenn es keinen Rassismus gäbe?

Ich würde wahrscheinlich viel mehr singen, mich mehr Kunst und Kultur widmen. Ich würde mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen. Ich würde tatsächlich mal quer durch Deutschland reisen im Regionalzug. Ich würde ohne Angst durch das ländliche Sachsen laufen. Ich habe die Frage auf Instagram gestellt, und das Rührende ist, dass die Menschen so alltägliche Sachen geantwortet haben: Ich würde auf der Straße frei laut lachen, ich würde in einen Laden gehen, nichts kaufen und wieder rauslaufen. Ich würde eine Banane im öffentlichen Raum essen. Dinge, die für weiße Menschen wahrscheinlich komplett absurd wirken, aber gerade deswegen zeigen, wie tief Rassismus in unseren Alltag eingreift.

Sind sind in Leipzig geboren. Würden Sie sich als Ostdeutsche bezeichnen?

Kontextual. Man benennt ja nicht immer alle Kategorien, die einen geprägt haben. Aber wenn wir beide uns jetzt austauschen und wir reden über unsere Erfahrungen hier in Deutschland, dann würde natürlich irgendwann auffallen, dass ich im Osten groß geworden bin. Und dann gucken wir auf unterschiedliche Erfahrungen.

Warum sind Sie nach Berlin gezogen? Was macht die Stadt für Sie aus?

Ich mag meinen Kiez in Kreuzberg sehr gern, unsere nette Nachbarschaft, ich mag, dass Berlin so entspannt ist und es viel Grün gibt. Ich kenne hier sehr viele Menschen, es gibt viele politisch engagierte Communitys. Es gibt total viel Kunst und Kulturangebote von und für Schwarze Menschen. Hier hatte ich die Möglichkeit, für meine Kinder eine Schule zu finden, die den Anspruch hat, diskriminierungskritisch zu sein.

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Buchcover
Tupoka Ogette
Die Antirassismus-Trainerin und Autorin hat zuletzt ihr Buch „Und jetzt du. Rassismuskritisch leben“ vorgestellt. Im Dezember veröffentlicht sie ihr drittes Buch „Ein rassismuskritisches Alphabet“. Ursprünglich war dieses Alphabet eine erfolgreiche Serie auf Instagram. Außerdem will Ogette ihren Podcast „Tupodcast“ nach einer Pause weiterführen.