Mobilität

So soll die autofreie Friedrichstraße aussehen – und das sind die Reaktionen

Ein Teil wird am Montag wieder zur Fußgängerzone, diesmal dauerhaft. Die Regierende Bürgermeisterin Giffey lehnt das ab, eine Anrainerin droht eine Klage an.

Pflanzkübel und Sitzgelegenheiten, wo bisher Autos fuhren: So stellen sich die Planer die autofreie Friedrichstraße in Mitte nach der erneuten provisorischen Umgestaltung vor.
Pflanzkübel und Sitzgelegenheiten, wo bisher Autos fuhren: So stellen sich die Planer die autofreie Friedrichstraße in Mitte nach der erneuten provisorischen Umgestaltung vor.Visualisierung: Senatsverwaltung für Umewelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Seit November sind auf dem Mittelteil der Friedrichstraße wieder Autos unterwegs. Doch nicht mehr lange: Am Montag wird der Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße erneut für Kraftfahrzeuge gesperrt – und diesmal soll er dauerhaft Fußgängerbereich bleiben, kündigte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Mittwoch während einer eilends einberufenen Pressekonferenz an.

„Vom 30. Januar an ist das Teilstück endgültig autofrei“, sagte sie. Danach soll der knapp 600 Meter lange Abschnitt zum zweiten Mal provisorisch umgestaltet werden. Dabei wird die Straße nicht nur für Fußgänger geöffnet, anders als bislang gesagt, soll Fahrradverkehr weiter möglich sein, teilte die Senatorin überraschend mit. Damit lebt eine heftige Debatte wieder auf, und wieder droht eine Klage. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete die Maßnahme, die kurz vor der Wiederholungswahl ohne Abstimmung im Senat vollzogen wurde, als „falsch“.

Manches in Berlin dauert gern mal etwas länger, aber mit der Umwidmung des Straßenbereichs rund um das Warenhaus Galeries Lafayette und das Russische Haus Berlin haben sich die Verantwortlichen beeilt. Nun ist es so weit. Das war schon seit Längerem in Arbeit, jetzt fällt die Maßnahme in die heiße Wahlkampfphase.

Am Freitag soll im Berliner Amtsblatt verkündet werden, dass der Abschnitt für den Kraftfahrzeugverkehr eingezogen wird. Für den Montag steht dann der Sofortvollzug auf dem Plan, bekräftigte Almut Neumann, zuständige Stadträtin aus Mitte.

So soll die autofreie Friedrichstraße in Mitte aussehen – bis nach einem weiteren Verfahren in einigen Jahren die endgültige Gestaltung feststeht. Hohe Bäume sind nicht möglich, weil dicht unter der Straße die U6 fährt.
So soll die autofreie Friedrichstraße in Mitte aussehen – bis nach einem weiteren Verfahren in einigen Jahren die endgültige Gestaltung feststeht. Hohe Bäume sind nicht möglich, weil dicht unter der Straße die U6 fährt.Visualisierung: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Wann genau die Barrieren aufgestellt werden, konnte sie am Mittwoch noch nicht sagen. Wahrscheinlich werde es am Morgen oder Vormittag so weit sein, sagte die Grünen-Politikerin vage. So oder so werden in diesen Stunden Fotografen und Kamerateams auf der Friedrichstraße warten, um den historischen Moment zu dokumentieren. Erstmals seit vielen Jahren wird in Berlin ein längeres Stück Straße vom Autoverkehrsnetz abgeklemmt und Fußgängern übergeben.

Doch es geht um mehr, um den grundsätzlichen Kurs der Mobilitätspolitik in Berlin – und hier ist dieser Abschnitt eine Art Ground Zero. Das Thema autofreie Friedrichstraße sei „symbolisch aufgeladen“, sagte die Senatorin. Damit hat sie recht.

CDU: „Berlin ist für alle da. Auch für Autofahrer“

Oppositionsparteien und Anlieger stellten die Sperrung am Mittwoch als erneuten Sündenfall dar. „Welches Politikverständnis muss man haben, wenn man wie Bettina Jarasch nach einer Klatsche durch ein Gericht und dem lautstarken Protest der Menschen vor Ort jetzt mit einem neuen Taschenspielertrick die Friedrichstraße dicht macht? So jemand darf nichts ins Rote Rathaus!“, twitterte Sebastian Czaja von der FDP. „Berlin ist für alle da. Auch für Autofahrer“, so der CDU-Politiker Stefan Evers.

Anja Schröder, Weinhändlerin aus der benachbarten Charlottenstraße, schloss ein weiteres Gerichtsverfahren nicht aus. Sie hatte mit einer Klage erreicht, dass der seit August 2020 autofreie Abschnitt der Friedrichstraße vor knapp 70 Tagen im November 2022 wieder für Kraftfahrzeuge geöffnet wurde – und die damalige „Flaniermeile“ abgebaut werden musste.

Und jetzt steht plötzlich ein Schild auf der Friedrichstraße, das die Sperrung ab Montag ankündigt. „Wir sind von dieser Aktion so überrumpelt wie wohl der Rest der Stadt“, sagte Anja Schröder der Berliner Zeitung am Mittwoch. „Wir waren in engem Kontakt mit Frau Jarasch. Sie hatte uns versprochen, uns bei weiteren Entscheidungen zu informieren. Anders als sie bei der Pressekonferenz behauptet hat, hat sie mit keinen Anrainern oder unserem Aktionsbündnis gesprochen.“ 

Am ersten Tag nach der Aufhebung der Sperrung: Die Friedrichstraße in Mitte durfte ab November 2022 wieder durchgängig von Autos befahren werden. Nun sollen die Kraftfahrzeuge wieder ausgesperrt werden - dauerhaft.
Am ersten Tag nach der Aufhebung der Sperrung: Die Friedrichstraße in Mitte durfte ab November 2022 wieder durchgängig von Autos befahren werden. Nun sollen die Kraftfahrzeuge wieder ausgesperrt werden - dauerhaft.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Schröder verwies darauf, dass die Situation aktuell genau dieselbe sei wie im November: Es gebe immer noch kein Konzept, erst jetzt mache man sich an die Ausschreibungen. „Unser Vorschlag war und ist: Erst planen, dann schließen.“ Dennoch sei ihr klar gewesen, dass der Erfolg ihrer Klage im November nur ein Etappensieg war: „Wir sind diesen Weg nicht gegangen, um jetzt aufzugeben. Und es ist doch erstaunlich, wie stark die Friedrichstraße zum Wahlkampfthema geworden ist. Der bittere Kampf um Wählerstimmen bekommt auf die letzten Tage noch ordentlich Gschmäckle.“ Jetzt arbeiteten sie und das Aktionsbündnis auf Hochtouren, man wolle alle Rechtsmittel prüfen. Klagen seien zwar möglich, entgegnete die Senatorin. Eine aufschiebende Wirkung werden sie aber wegen des angeordneten Sofortvollzugs nicht entfalten.

Eine weitere Computersimulation zur geplanten vorläufigen Umgestaltung
Eine weitere Computersimulation zur geplanten vorläufigen UmgestaltungVisualisierung: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Senatschefin Giffey bezog am Mittwochmorgen bei Radio eins ebenfalls Stellung. Die SPD-Politikerin lehnte die Sperrung zum jetzigen Zeitpunkt ab. Erst sperren, dann planen sei kein gutes Konzept. „Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die Friedrichstraße“, forderte die Regierende Bürgermeisterin. Der Abschnitt soll eine „schöne Flaniermeile“ werden, aber dabei müssten auch die Gewerbetreibenden einbezogen werden. In Berlin sollten alle gut leben können. Giffey äußerte sich nicht zum ersten Mal kritisch zu Aktionen der Grünen-Mobilitätssenatorin.

Vonseiten der Anrainer kam am Mittwoch Unterstützung für sie. „Wir sind der Meinung: Es muss erst ein Gesamtkonzept her“, so Conrad Rausch, Sprecher des Vereins „Die Mitte“, zur Berliner Zeitung. „Die jetzige Hoppla-Hopp Maßnahme ist enttäuschend und hat etwas von ‚Täglich grüßt das Murmeltier – Politik Edition‘.“

Auch die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) äußern sich kritisch. Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck sagt, dass die Sperrung für die Unternehmen rund um die Friedrichstraße ein falsches Signal sei. „Die Verkehrsverwaltung setzt weiter auf schlichte Symbole statt auf kluge Konzepte“, sagt er. Knapp 600 Meter Straße zu sperren, bringe die Verkehrspolitik kein Stück voran. Die Berliner Innenstadt brauche eine Verkehrsstrategie, die auf alle Beteiligten Rücksicht nimmt. „Hektische Manöver wie dieses vertiefen die Gräben in der Stadtgesellschaft und kosten Vertrauen.“ 

Umwelthilfe: „Die Friedrichstraße kann nur der Anfang sein“

Es gab aber auch positive Reaktionen. „Berlin muss innerhalb des S-Bahn-Rings Schritt für Schritt für den Durchgangsverkehr geschlossen und dort wo möglich autofrei werden. Die Friedrichstraße kann dabei nur der Anfang sein“, twitterte Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass der Hackesche Markt und sein Umfeld ebenfalls Fußgängerbereich wird.

Heinrich Strößenreuther, Verkehrs-Aktivist aus Berlin, forderte am Mittwoch, die „ideologische Debatte“ um die Friedrichstraße zu beenden. Daten aus anderen Ländern zeigten, dass auf wichtigen Einkaufsstraßen rund 80 Prozent der Umsätze von Menschen kommen, die zu Fuß, mit dem Rad, per Bus oder Bahn zum Shopping kommen.

„Wir haben in der Koalition verabredet, dass wir die historische Mitte zu einem modernen Stadtraum umgestalten“, entgegnete Grünen-Politikerin Jarasch. Wenn Franziska Giffey das jetzt nicht mehr so sehe, „wundert mich das“. Im Übrigen seien die organisierten Gegner der autofreien Friedrichstraße nicht die einzigen, die bei diesem Thema zu berücksichtigen seien. „Wir stellen das Gemeinwohl ins Zentrum.“

Erst einmal wieder Baustellenoptik in der Friedrichstraße

Die Senatorin stellte am Mittwoch den weiteren Zeitplan vor. Die Fahrbahn rund um das Warenhaus Galeries Lafayette und das Russische Haus Berlin werde nicht sofort vom 30. Januar an auf ganzer Breite begehbar sein, sagte sie. „In der ersten Woche wird der Bereich umgebaut, dann wird es dort noch einmal Baustellenoptik geben.“

Dann soll damit begonnen werden, zunächst 20 „hochwertige Sitzmöbel“ aufzustellen, hieß es weiter. Ein großer Teil von ihnen stand dort bereits auf der Fahrbahn, als der Abschnitt während eines Modellversuchs zur „Flaniermeile“ wurde. Am Nord- und Südende sollen die Holzkonstruktionen als Barriere dienen, damit auch wirklich kein Auto mehr in den Bereich hineinfahren kann. Rund 800.000 Euro stünden im Bezirk für die Möblierung bereit. Im Frühjahr sollen die Sitzgelegenheiten begrünt werden. Nach und nach kommen weitere Stadtmöbel hinzu. Auf Vitrinen werde aber verzichtet.

Cafés, Kunst, Kultur, Feste auf der früheren Fahrbahn – und wieder Radfahrer

„Von der 2. Februar-Woche an steht die Straße dann den Menschen zur Verfügung“, so die Senatorin. Stadträtin Neumann kündigte an, dass das Bezirksamt Anträge von Gastronomen, Tische und Stühle auf die stillgelegte Fahrbahn zu stellen, rasch und unkompliziert genehmigen werde. Antje Osterburg, die als Projektkoordinatorin engagiert wurde, kündigte kulturelle Nutzungen an. „Wir wollen Ideen von Anrainern bündeln, um Kunst auf die Straße zu bekommen.“ Feste könnte es ebenfalls geben.

Rettungsfahrzeuge, Fahrzeuge der Polizei, Straßenunterhaltung, der Ver- und Entsorgung werden das Teilstück weiterhin befahren dürfen, hieß es am Mittwoch. Auch Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge wie E-Scooter dürfen dort unterwegs sein, ergänzte die Senatorin. „Aber nur in Schrittgeschwindigkeit“, sagte sie. Schließlich sei die Charlottenstraße nebenan zu einer Fahrradstraße umgestaltet worden. Falls sich herausstellt, dass die Erlaubnis missbraucht wird, werde reagiert. „Dann geht gar nichts mehr“ für diese Verkehrsarten – so war es zuletzt auch versprochen worden. Lieferverkehr darf den Abschnitt den ganzen Tag auf allen vier Querstraßen in Schrittgeschwindigkeit queren, damit gefährliche Rückwärtsfahrten vermieden werden.

Senatorin Jarasch: „Ja, es gibt Aufregung“

Nach der Wiederholungswahl soll zusammen mit der Senatsbauverwaltung entschieden werden, in welcher Form die endgültige Gestaltung des Abschnitts festgelegt wird – in einem Gestaltungswettbewerb oder einem partizipativen Gestaltungsverfahren. Klar sei, dass noch „einige Jahre“ vergehen werden, bis der autofreie Abschnitt der Friedrichstraße endgültig umgestaltet worden sei. „Für 2026 und 2027 sind zunächst jeweils 1,5 Millionen Euro in der Investitionsplanung eingestellt“, sagte Jaraschs Sprecherin Sara Lühmann. Die Senatorin stellt sich das Teilstück künftig als „Piazza“ vor, auf einer Ebene ohne störende Bordsteinkanten. Springbrunnen seien technisch möglich, große Bäume aber nicht – dicht unter der Oberfläche verlaufen Leitungen und der Tunnel der U-Bahn-Linie 6.

„Metropolen auf der ganzen Welt setzen Konzepte für Verkehrsberuhigung und autofreie Innenstädte um, von New York über London, Paris, Madrid und Brüssel bis nach Singapur“, erklärte Bettina Jarasch. „Auch Berlin denkt seine historische Mitte neu: Die Friedrichstraße als dauerhafte Fußgängerzone ist ein wichtiger Baustein im Kontext der Verkehrswende-Projekte zwischen Rathausforum, Checkpoint Charlie und Unter den Linden. Wir führen diese Maßnahmen zusammen, um den alten Kern der Hauptstadt dauerhaft lebenswert, klimarobust und attraktiv für die Berlinerinnen und Berliner und ihre Gäste zu gestalten.“ Die Friedrichstraße brauche einen Neustart und Entschleunigung, so Almut Neumann.

„Ja, es gibt Aufregung“, kommentierte die Senatorin die ersten Reaktionen. Die habe es in ähnlicher Form auch gegeben, als das Brandenburger Tor 2002 für Kraftfahrzeuge gesperrt wurde. „Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, dort Autos durchfahren zu lassen. So ändern sich die Zeiten.“ Auch bei der Friedrichstraße werde „diese Art der Debatte“ schließlich irgendwann einmal enden.

Mitarbeit: Jenni Roth, Chiara Leister.