Mobilität

Umfrage: Große Mehrheit will keine Autos auf der Friedrichstraße mehr

Senatorin Jarasch stellt Bericht zum umstrittenen Verkehrsversuch in Mitte vor - und erläutert, wie es dort weitergeht. Anwohner sind weiterhin skeptisch.

Ist das die Friedrichstraße der Zukunft? Diese erste beispielhafte Ideenskizze gibt einen Eindruck davon, wie sich der Senat den Abschnitt rund um das Warenhaus Galeries Lafayette vorstellt.
Ist das die Friedrichstraße der Zukunft? Diese erste beispielhafte Ideenskizze gibt einen Eindruck davon, wie sich der Senat den Abschnitt rund um das Warenhaus Galeries Lafayette vorstellt.Simulation: Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Ein Springbrunnen, Caféstühle und -tische. Dazu kleine Bäume, Blumen, Bänke sowie Liegestühle aus Holz. Keine Bordsteine und keine Fahrbahn mehr, stattdessen ein durchgehendes Pflaster. Nein, das ist noch nicht der endgültige Entwurf für den autofreien Abschnitt der Friedrichstraße in Mitte, heißt es beim Senat. „Wir wollen die Ergebnisse des geplanten Gestaltungswettbewerbs nicht vorwegnehmen“, betonte die Verwaltung von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Doch die am Montag veröffentlichte Ideenskizze zeigt, wohin die Reise nach ihrem Willen gehen soll.

„Meine Wunschvorstellung ist eine Piazza“

Trotz Protesten soll das Teilstück zwischen der Leipziger und der Französischen Straße dauerhaft zu einem Fußgängerbereich werden. Auch wenn nicht jedes der bisherigen provisorischen Gestaltungselemente gefällt und Nachbesserungsbedarf besteht: Die Flaniermeile soll bleiben. Denn sie sei ein Erfolg, bekräftigte die Senatorin. „Meine Wunschvorstellung ist eine Piazza, wie ich sie in Italien kennengelernt habe.“

Am Montagnachmittag stellte Bettina Jarasch die Auswertung des Verkehrsversuchs vor, den Senat und Bezirk Ende August 2020 auf dem rund 500 Meter langen Abschnitt begonnen hatten und der formell bis Ende Oktober 2021 dauerte. Damals wurde in der Mitte der Fahrbahn mit gelbem Klebeband ein vier Meter breiter provisorischer Radfahrstreifen markiert, der auch Einsatzfahrzeugen offensteht. Der Platz links und rechts davon steht den Fußgängern zur Verfügung, die nun deutlich mehr Raum nutzen können als bisher auf den schmalen Gehwegen. Holzkonstruktionen, Parklets genannt, bieten Platz zum Sitzen. In Glasvitrinen können sich Geschäfte und andere Anrainer präsentieren. Die 45 Kaiserlinden und 20 Amber-Bäume, die bis 2021 dort standen, wurden anderswo in Berlin eingepflanzt. Die Wurzeln drohten die Kübel zu sprengen.

Für 566 Anwohner wurde es leiser, für 535 Anwohner lauter

Der Auswertung liegen unter anderem Befragungen, Verkehrszählungen und Videobeobachtungen zugrunde. Der Verkehrsversuch habe gezeigt, dass eine überwiegende Mehrheit der Passanten mit der Aufenthaltsqualität in der autofreien Friedrichstraße sehr zufrieden seien, bilanzierte Bettina Jarasch am Montag.

So wünschen sich vier von fünf Befragten eine dauerhafte Sperrung für den motorisierten Verkehr. „82 Prozent begrüßen eine dauerhaft verkehrsberuhigte Friedrichstraße. Etwa die Hälfte der Befragten sieht in der umgestalteten Friedrichstraße für sich einen Anreiz, diese häufiger aufzusuchen“, sagte die Landespolitikerin. 73 Prozent gaben an, dass ihnen die Flaniermeile gefalle. In drei Wellen waren insgesamt 999 Passanten befragt worden. Gewerbetreibende, die sich online äußern konnten, äußerten sich skeptischer. Diese Befragung zeige ein „zeigt disparates Meinungsbild mit negativer Tendenz“, so Mittes Bezirksbürgermeister Stephan Dassel. Hauptkritikpunkt waren die Verkehrssituation, insbesondere die Erreichbarkeit, und die Gestaltung.

Was den Kraftfahrzeugverkehr anbelangt, so habe dieser in der Friedrichstraße stärker abgenommen als er in den parallel verlaufenden Straßen gestiegen sei, geht aus der Auswertung für den Senat weiter hervor. Auf dem Abschnitt der Charlottenstraße, der im Versuchsgebiet liegt, nahm er um 80 bis 120 Prozent zu. In der Glinkastraße betrug die Zunahme 30 bis 60 Prozent, hieß es. Bei 566 Anwohnern habe die Lärmbelastung abgenommen, für 535 Anwohner seien höhere Lärmbelastungen ermittelt worden.

Insgesamt sei der Autoverkehr in diesem Teil des östlichen Stadtzentrum aber zurückgegangen, so der Bericht weiter. Offenbar seien die Kraftfahrzeuge großräumig ausgewichen, oder der Verkehr habe sich auf andere Verkehrsmittel verlagert. Die Zahl der Autostellplätze sei als Folge des Verkehrsversuchs in dem betrachteten Gebiet um vier Prozent zurückgegangen. Lässt man die Parkhäuser außer Acht und betrachtet man nur den öffentlichen Straßenraum, betrug die Abnahme elf Prozent, so Dan Orbeck aus der Senatsverwaltung. Doch die Verluste seien zu verschmerzen, denn die Parkhäuser seien nur zu 26 bis 64 Prozent belegt. Auf der Straße betrage die Auslastung 82 Prozent.

Verbände halten Versuch für gescheitert

Die Zunahme des Radverkehrs in der Friedrichstraße übersteige die Rückgänge in anderen Bereichen deutlich. Von einem Plus in Höhe von 35 Prozent ist die Rede. Der provisorische Radfahrstreifen entfalte eine große Anziehungskraft, hieß es – was aber auch zu Konflikten mit dem Fußverkehr geführt habe.

Die ermittelten Daten zeigten, dass die Zahl der Fußgänger im Bereich der Flaniermeile während der Sommermonate des Verkehrsversuchs zugenommen hat. Die Zahlen für Juli bis September 2021 überstiegen die Werte aus dem August 2020 deutlich, so der Senat. „Wir haben 50 bis 60 Prozent mehr Aufkommen als im Vergleichszeitraum 2020“, sagte Orbeck. Untersuchungen zeigten, dass Fußgänger häufiger als vor der Sperrung für Autos die Straßenseite wechselten oder die Fahrbahn nutzten. Im Laufe des Versuchs nahm die durchschnittliche Aufenthaltsdauer spürbar zu. Nach Einschätzung der Fachleute deuten diese Beobachtungen darauf hin, dass Aufenthaltsqualität und eine Attraktivität gestiegen sind – dies seien Ursachen für das veränderte Verhalten, hieß es.

Aktionsbündnis will Friedrichstraße „retten“

Doch Anwohnerverbände sehen die Sperrung weiterhin kritisch. Wie berichtet gründete sich vor Kurzem ein Aktionsbündnis namens „Rettet die Friedrichstraße“, in dem auch Bürger und Gewerbetreibende aus dem Umfeld des Gendarmenmarkts aktiv sind. Es fordert den sofortigen Stopp des Verkehrsversuchs. Der Verband „Die Mitte“, der dem Bündnis angehört, bekräftigte am Montagabend seine Forderung nach dem sofortigen Abbau des provisorischen Straßenmobiliars in der Friedrichstraße.

Die Forderungen lauten weiterhin: „ein Gesamtkonzept für die Friedrichstraße und den angrenzenden Gendarmenmarkt. Ein Verkehrs- und Tourismuskonzept, das unbedingt den Lieferverkehr mit einbezieht, diesen regelt und zeigt, wie künftig Autos, Taxis, Touristenbusse oder öffentliche Busverkehre ohne Staus durch Berlins historische Mitte kommen“. Das Ergebnis der Planung und Umsetzung müsse für Mitte und Berlin eine Qualität auf internationalem Niveau haben, so der Verband. Seit zwei Jahren werde an der historisch einmaligen Friedrichstraße herumversucht. Die Zeit für schnelle Lösungen sei vorbei. Jetzt sollte man sich die Zeit nehmen und es endlich richtig machen. Trotzdem bleibt der Senat dabei: Das Teilstück soll auch künftig für Kraftfahrzeuge tabu sein - und zwar dauerhaft. Dazu hat er beim Bezirk die Teileinziehung beantragt.

Senatorin: „Die Idee einer ‚Flaniermeile‘ hat so nicht funktioniert“

Wie berichtet hat die Mobilitätssenatorin angekündigt, dass sie einen Wunsch der Anwohnerverbände erfüllen möchte. Der provisorische Radfahrstreifen soll entfernt, der heute bereits autofreie Abschnitt und um das Warenhaus Galeries Lafayette künftig auch für Radfahrer gesperrt werden. „Die Idee einer ‚Flaniermeile‘ mit dem Fußverkehr im Mittelpunkt hat so nicht funktioniert. Als problematisch hat sich insbesondere der breite Radweg in der Straßenmitte erwiesen“, bekräftigte Bettina Jarasch am Montag. „Daher wird der Radweg wird aus der Friedrichstraße herausgenommen. Hier wird künftig überall der Fußverkehr Vorrang haben. Das ist eine entscheidende Verbesserung.“

Im Gegenzug wird beantragt, die parallel verlaufende Charlottenstraße zu einer Fahrradstraße zu erklären, bekräftigte die Grünen-Politikerin. In solchen Straßen hat der Radverkehr Vorrang. Autos werden dort aber weiterhin fahren können, mit Höchsttempo 30. Kfz-Durchgangsverkehr soll es in der Charlottenstraße jedoch künftig nicht mehr geben, so Jarasch. „Damit wird auch sie entlastet. Geschäfte und Häuser bleiben dabei per Kfz beziehungsweise für den Lieferverkehr erreichbar.“ Das ebenfalls am Montag vorgestellte Nahbereichskonzept sieht außerdem vor, dass der Kfz-Verkehr über die Hauptverkehrsstraßen Wilhelmstraße und Glinka-/Mauerstraße gelenkt wird. Auch der Busverkehr, etwa der Nachtbus N6, wird in Zukunft die Glinkastraße nutzen.

Anwohner wollen Wiedereröffnung als Einbahnstraße

Doch dagegen regt sich neuer Protest – nicht nur bei den Anwohnern. „„Die Lehre aus der gescheiterten Sperrung der Friedrichstraße darf nicht die zusätzliche Teil-Sperrung der Charlottenstraße sein. Die von der Sperrung der Friedrichstraße verursachten Probleme können nicht mit einer weiteren Sperrung gelöst werden“, warnte der FDP-Politiker Felix Reifschneider. „Tatsächlich wird der Autoverkehr nur in andere Straßen verlagert. Selbst in der designierten Fahrradstraße in der Charlottenstraße werden dann noch viele Autos fahren, beispielsweise zum Parkhaus oder zum Be- und Entladen.“

Anja Schröder, die in der Charlottenstraße ein Weingeschäft betreibt, setzt sich für eine grundlegende Änderung ein. Die Friedrichstraße sollte wenigstens als Einbahnstraße wieder geöffnet werden, forderte sie. „Für den Lieferverkehr und für die Zufahrt zu den Hotels und Parkhäusern. Warum planen wir nicht die von der Verkehrssenatorin gewünschte Piazza auf dem Gendarmenmarkt?“