Pro & Contra

Warum die autofreie Friedrichstraße für Berlin trotzdem ein Erfolg ist

Ein Verkehrsversuch in Mitte bewegt die Gemüter. Dabei ist das Projekt nicht gescheitert. Der Streit zeigt vor allem eins: Berlin kann keine Innovation.

Umstrittenes Projekt: Seit Ende August 2020 ist die Friedrichstraße zwischen der Französischen und der Leipziger Straße für Kraftfahrzeuge gesperrt. Dieser Zustand soll endgültig werden.
Umstrittenes Projekt: Seit Ende August 2020 ist die Friedrichstraße zwischen der Französischen und der Leipziger Straße für Kraftfahrzeuge gesperrt. Dieser Zustand soll endgültig werden.dpa/Carsten Koall

Eigentlich ist es kaum zu glauben. Über einen verhältnismäßig kurzen Abschnitt einer verhältnismäßig unwichtigen Straße im östlichen Berliner Stadtzentrum wird mit einer Wut diskutiert, als ob es um den Untergang des Abendlandes ginge. Da hat sich die Verwaltung doch tatsächlich erfrecht, ein 500 Meter langes Teilstück der Friedrichstraße für Autos zu sperren, um den Platz für Fußgänger mehr als zu verdoppeln und Radfahrern eine vier Meter breite Gasse zu bahnen – und der Aufschrei ist groß.

Während in der Pariser Innenstadt gleich das gesamte rechte Seineufer und in New York der Times Square zwischen der 42. und der 47. Straße für Autos tabu sind, wagt man sich in Berlin zaghaft nur an einen klitzekleinen Bereich abseits der wirklich bedeutenden Straßen – trotzdem gibt es Contra noch und noch.

Mehr als ein Provisorium ist nicht möglich

Natürlich muss man das, was auf dem für Autos gesperrten Abschnitt inszeniert wurde, nicht gut oder gar schön finden. Zu Recht rühren „Die Mitte“ und andere Verbände an einem wunden Punkt. Wer das wie eine Baustelleneinrichtung wirkende Sammelsurium aus rot-weißen Barrieren, gelbem Klebeband, transportablen Sitzgelegenheiten und Leichtbauvitrinen einer Metropole nicht für würdig hält, hat alles Recht dazu.

Doch ist es wirklich angemessen, den Verantwortlichen vorzuwerfen, dass in der Friedrichstraße erst einmal nur ein Provisorium entstanden ist? Die vorläufige Gestaltung ergibt sich schlicht und einfach daraus, dass hier auch aus rechtlichen Erwägungen zunächst nicht mehr als ein Verkehrsversuch möglich ist. Nicht auszudenken, wie laut die Kritiker heute aufschreien würden, wenn 2020 sehr viel Geld investiert worden wäre, die Straße endgültig umzugestalten – und dies nun mit weiteren teuren Tiefbauarbeiten aufwendig rückgängig gemacht werden müsste.

Von Leistungsträgern und Klimaschützern

Und damit sind wir beim eigentlichen Thema. Im Grunde geht es darum, wie in Berlin über Mobilität diskutiert wird, in welchem Maße Innovation möglich ist oder zumindest ausprobiert werden kann. Beim geringsten Anschein einer Veränderung bekommen zu viele Akteure Schnappatmung. Wenn auch nur einmal das Wort „Radfahrer“ fällt, wird aufgeschrien. Wenn der seit Jahrzehnten andauernde Vorrang des privaten Kraftfahrzeugs auch nur etwas angetastet wird, wenn auch nur etwas Platz anders verteilt wird, zum Beispiel wenn Autostellplätze, die bisher meist von Dauerparkern blockiert wurden, anderen Nutzungen zugeführt werden – dann brodelt die Wut.

Das ist die eigentliche Krux der mobilitätspolitischen Debatte in Berlin. Fast immer geht es um Schwarz oder Weiß, Ja oder Nein, Auto oder Fahrrad – Status und Rechthaberei. Ich bin Leistungsträger, ich darf mit meinem großen Auto überall möglichst schnell hinkommen! Ich bin Radfahrer und belaste das Klima nicht, deshalb darf ich Kopfsteinpflaster auf Gehwegen umfahren! Andere Menschen mit anderen Interessen, anderen Gefühlslagen, anderen Bedürfnissen finden nicht statt, es gibt sie nicht.

Sieg und Unterordnung

Vor allem geht es bei diesem Thema zu schnell um Sieg und Unterordnung, wobei beides immer total sein muss. Wenn eine Politikerin wie Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch auf Kritik hört und deshalb den umstrittenen Radfahrstreifen demnächst aufhebt, ist es auch wieder nicht richtig. Schon gibt es neue Aufregung, befürchtet die Opposition „Chaos“, weil als Reaktion die parallel verlaufende Charlottenstraße zu einer Fahrradstraße werden soll. Dabei wäre es illusorisch, zu glauben, dass sich Radfahrer in Luft auflösen werden, nur weil man das will. Irgendwo muss der Radverkehr durchgeleitet werden.

Es ist richtig: Der Verkehrsversuch in der Friedrichstraße wirkte von Anfang an vermurkst. Auch deshalb, weil er zu einem ungünstigen Zeitpunkt begann, als nicht sicher war, ob und wie es mit der Corona-Pandemie weitergeht. Und weil er auf einem Abschnitt dieser Straße begann, den auch schon vorher kaum ein Berliner angesteuert hat – es sei denn, er arbeitet dort oder er braucht eine neue Rolex.

Kommen die Kunden zurück, wenn wieder Autos fahren?

Doch ist das Experiment deshalb krachend gescheitert? Nein! Denn es hat wichtige Erkenntnisse gebracht, die Berlin nützlich sein können. Eine Lehre ist, dass es gefährlich ist, Menschen zu ihrem Glück zwingen zu wollen. Wenn angeblich die überwiegende Mehrheit der Gewerbetreibenden gegen eine Sperrung für Autos ist: Vielleicht sollten der Bezirk und der Senat ihnen den Wunsch erfüllen und wieder Kraftfahrzeuge zulassen – allerdings mit der Vorgabe, daran in den kommenden zwei oder drei Jahrzehnten erst einmal nichts zu ändern. Es wird sich zeigen, ob Kunden in Scharen herbeiströmen und die Umsätze dauerhaft steigen, sobald die Fahrbahn wieder den Autos gehört.

Auf jeden Fall ist klar: Die Energie, die Planer und Politiker in der Friedrichstraße aufgewendet haben, sollten sie künftig lieber dort investieren, wo Veränderungen gewünscht werden.