Die Sitzbänke und Pflanzkübel verschwinden, die Vitrinen und der provisorische Radfahrstreifen ebenfalls. Der gesperrte Abschnitt der Friedrichstraße wird wieder für Autos geöffnet. Das teilte die Senatsverwaltung für Mobilität am Montag mit. Das Teilstück zwischen Französischer und Leipziger Straße wird mit Ablauf des 22. November nach mehr als zwei Jahren erneut für Kraftfahrzeuge freigegeben. Damit reagiert die Behörde von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts. Doch die Wiedereröffnung für den Autoverkehr soll nur vorübergehend sein, so der Senat. Zudem wurde, wie angekündigt, am Montag damit begonnen, die benachbarte Charlottenstraße zu einer Fahrradstraße umzugestalten.
Wie berichtet, hatte das Verwaltungsgericht Berlin der Weinhändlerin Anja Schröder aus der Charlottenstraße recht gegeben. Sie hatte gegen die Sperrung der benachbarten Friedrichstraße geklagt. In einer Eilentscheidung stellte die elfte Kammer des Gerichts vor zwei Wochen fest, dass es für die Verlängerung über das Ende des Verkehrsversuchs 2021 hinaus keine Rechtsgrundlage gebe. Der Senat müsse zwei Wochen nachdem der Beschluss rechtskräftig geworden ist den rund 500 Meter langen Abschnitt um die Galeries Lafayette, der seit August 2020 autofrei ist, wieder für Kraftfahrzeuge öffnen.
Senat verzichtet darauf, Rechtsmittel einzulegen
Bis zuletzt war unklar, ob die Senatsverwaltung in die nächste Instanz geht und vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg Beschwerde einlegt. Das hätte dazu geführt, dass der Beschluss zunächst keine Rechtskraft erlangt hätte. Die Verbotsschilder hätten dann erst mal hängen bleiben dürfen. Doch am Montagvormittag gab die Jarasch-Behörde bekannt, dass sie auf das Rechtsmittel verzichtet.
„Die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz legt keine Beschwerde gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Oktober 2022 ein“, hieß es am Montag in einer Mitteilung. „Damit wird der Teilabschnitt der Friedrichstraße zwischen Französischer und Leipziger Straße mit Ablauf des 22. November 2022 zwischenzeitlich wieder für den Kfz-Verkehr freigegeben.“ Bis dahin werden sämtliche Sitzgelegenheiten, Bepflanzungen und Stadtmöbel, so weit diese dem Autoverkehr entgegenstehen, sowie der Radfahrstreifen entfernt. Dann gehört die Fahrbahn wieder den Autos. Radfahrer müssen sich an den Rändern bewegen, Fußgänger sich wie früher mit verhältnismäßig schmalen Gehwegen bescheiden. Ihr Raum hatte sich als Folge der Sperrung von rund 3,50 auf 8,50 Meter Breite vergrößert.
Bettina Jarasch kündigt Gesamtkonzept für diesen Teil der City Ost an
Zugleich werde die Umsetzung eines Gesamtkonzepts zu einer attraktiven verkehrlichen Gestaltung dieses Quartiers vorangebracht, so der Senat. „Wir konzentrieren uns auf sorgfältige Planungen zur Neuregelung des Verkehrs in diesem Teil der Stadt. Ich möchte, dass sich die Friedrichstraße zu einem lebendigen, modernen Stadtraum entwickelt – zu einem Ort, an den man gerne geht und wo man gerne bleibt“, sagte Jarasch. „Wir arbeiten daher weiterhin, unabhängig von dem Eilbeschluss, an der autofreien Flaniermeile, eingebunden in eine Verkehrslösung auch für die Umgebung. Sobald dies umgesetzt ist, können wir uns an die dauerhafte Ausgestaltung der Fußgängerzone als Teil eines Gesamtkonzepts für die historische Mitte machen.“
Die erneute Öffnung der Friedrichstraße für Autos soll nicht von Dauer sein, bekräftigte der Senat. Wie angekündigt, setzt das Bezirksamt Mitte seine Vorbereitungen für die geplante Teileinziehung des derzeit noch gesperrten Abschnitts der Friedrichstraße fort. Ziel ist, dass dort motorisierter Individualverkehr nicht mehr zulässig wäre. Die Allgemeinverfügung soll noch im November 2022 veröffentlicht werden, so ein Sprecher des Bezirks. Im Januar 2023 könnte sie bestandskräftig werden. Unmittelbar nach der Umwidmung soll der Kfz-Verkehr dauerhaft aus der Friedrichstraße herausgenommen werden, damit der Bereich zu einer Fußgängerzone umgestaltet werden kann, bekräftigte der Senat. Allerdings drohen auch bei diesem Thema Klagen von Anrainern.
Charlottenstraße wird Fahrradstraße – jetzt haben die Arbeiten begonnen
Zudem werde für eine sichere Abwicklung des bisher auf der Friedrichstraße verlaufenden Radverkehrs in einem ersten Schritt eine Fahrradstraße in der Charlottenstraße eingerichtet, informierten Senat und Bezirk am Montag. Sie soll im November fertiggestellt werden.
„Wir richten die Charlottenstraße entsprechend dem Berliner Radverkehrsplan als Fahrradstraße ein. Damit bekommen Menschen auf dem Rad Vorrang vor dem Kfz-Verkehr und können sich dort sicher fortbewegen“, bekräftigte Bezirksstadträtin Almut Neumann (Grüne). „Zugleich bieten wir Radfahrenden damit eine attraktive Nord-Süd-Route an, um den Wegfall des Radstreifens in der Friedrichstraße zu kompensieren.“
Die Arbeiten starteten am Montagmorgen ohne großes Aufheben. Zunächst geht es um das nördliche Teilstück der Charlottenstraße zwischen der Französischen Straße, der Behrenstraße und Unter den Linden, teilte das Bezirksamt auf Anfrage mit.
Unter anderem stellten Mitarbeiter der Firma BVLT am Montagmorgen an der Ecke Behrenstraße, neben dem Restaurant Gendarmerie, das Verkehrszeichen „Einfahrt verboten“ auf. Das rot-weiße Schild erklärt den kurzen Abschnitt bis zur Straße Unter den Linden für Kraftfahrzeuge zur Einbahnstraße. Damit müssen Autofahrer, die aus Richtung Leipziger Straße kommen, einen Umweg fahren. Nur Radfahrer dürfen den direkten Weg zu Unter den Linden nehmen und den für Autos gesperrten Abschnitt benutzen.
Die geplanten Einbahnstraßenregelungen haben auch das Ziel, den Durchgangsverkehr aus der Straße herauszuhalten und den Verkehr zu beruhigen, so das Bezirksamt. Anlieger beschweren sich, dass die Belastung der Charlottenstraße zugenommen habe, seit ein Teil der benachbarten Friedrichstraße für Autos gesperrt worden sei.

Allerdings kritisieren Radfahrer, dass es auch künftig nicht angenehm sein werde, die Charlottenstraße zu befahren. Parkplätze am Rand blieben erhalten, Parkhaus- und andere Einfahrten seien Gefahrenstellen, bemängeln sie.
Netzwerk Die Mitte kritisiert „planlose Baustelle“
Das Netzwerk Die Mitte, in dem sich 170 Akteure und Unternehmen aus den Bereichen Einzelhandel, Immobilien, Kultur, Dienstleistungen und Hotellerie/Gastronomie zusammengeschlossen haben, äußerte Kritik. „Die Kaiser:innen sind nackt. Aus dem gescheiterten Verkehrsversuch in der Friedrichstraße nichts gelernt, wird eine weitere planlose Baustelle in der Charlottenstraße politisch erschaffen“, sagte Sprecher Conrad Rausch. „Schade um die vielen konstruktiven Meetings, wenn dann die zuletzt am 10. Oktober versprochene Partizipation in der Charlottenstraße weggeschaufelt wird.“ An diesem Tag hat sich Senatorin Jarasch mit Anliegern zu einer Begehung getroffen.
Die Herausforderungen im Umgang mit der Friedrichstraße könnten von der Mobilitätsverwaltung allein nicht bewältigt werden, warnt der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV). Wenn Städtebauer, Verkehrs- und Freiraumplaner nicht zusammenarbeiten, gehe die Wahrscheinlichkeit des Gelingens gegen null.
Der Klimawandel, die steigenden Mobilitätsprobleme und die Unwirtlichkeit öffentlicher Räume erfordern laufend Veränderungen. Dazu gehört, über wichtige Stadträume nachzudenken. Auch die Durchführung von Experimenten ist dabei möglich. „Ein Experiment unterscheidet sich aber von Aktionismus dadurch, dass eine Zielvorstellung formuliert, ein kontrollierter Versuchsaufbau geplant und durchgeführt und vor allem am Ende eine Evaluierung das Experiment abschließt. Aber wo ist die wissenschaftliche Analyse des Experiments autofreie Friedrichstraße?“, so Tobias Nöfer, der Vorstandsvorsitzende des AIV. „Auf keinen Fall darf bei der Friedrichstraße ein Aktionismus auf den anderen folgen, das gebietet die Nachhaltigkeit.“
Architekten- und Ingenieurverein: Gestaltungswettbewerb reicht nicht aus
Die Mobilitätsverwaltung sollte ab sofort gemeinsam mit Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt eine verkehrstechnische und gestalterische Lösung erarbeiten, mahnte Nöfer. „Die Problemlösung ausschließlich einem Gestaltungswettbewerb zu überlassen, der nicht ausreichend vorbereitet ist, wird wieder scheitern.“





