Sabrina M. sitzt auf einem Liegestuhl auf der Dachterrasse eines Cafés und hält ihr Gesicht in die Sonne. Sie möchte die letzten Sommertage genießen, etwas Kraft tanken. Die 27 Jahre alte Lehramtsstudentin hat Angst vor dem Herbst. Sie fragt sich oft, wie sie von 900 Euro netto im Monat leben soll. Die steigenden Preise sind für Menschen wie sie, die bereits am Existenzminimum leben, besonders bedrückend.
„Ich habe in den letzten Jahren auf fast alles verzichtet, um mir meinen Berufswunsch zu erfüllen. Ich weiß nicht, wo ich noch sparen kann, wenn sich die Situation noch weiter zuspitzt“, sagt Sabrina M.
Die junge Frau studiert Chemie und Geschichte auf Lehramt für die gymnasiale Oberstufe an der Freien Universität in Berlin. Wenn alles so läuft, wie sie es sich vorgestellt hat, macht sie in zwei Jahren ihr Referendariat. Allerdings verdient sie dann weitere 18 Monate lang nicht mehr als rund 1200 Euro brutto.
Nach ihrem Abitur hat sie eine Lehre im Einzelhandel gemacht und auch abgeschlossen. „Die meisten aus meiner Familie hatten mir geraten, etwas Solides zu lernen und gleich Geld zu verdienen. Doch der Job hat mich nicht erfüllt. Und ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten“, erzählt sie. Schon während der Schulzeit hat sie Nachhilfe gegeben und bemerkt, dass sie Freude daran hat, anderen Menschen Wissen zu vermitteln und sie zu fördern.
Um studieren zu können, arbeitet Sabrina M. 20 Stunden in der Woche in einer Modeboutique in Mitte. Dort verdient sie im Schnitt 900 Euro netto im Monat und finanziert sich damit das komplette Studium selbst. „Ich bin leider nicht Bafög-berechtigt, da mein Vater zu viel verdient“, sagt sie. Und sie wolle ihn mit ihrer zweiten Ausbildung nicht belasten, da er nach dem Tod ihrer Mutter das Haus allein abbezahlen müsse.
Mit den 900 Euro, die Sabrina M. bekommt, muss sie exakt haushalten. Sie teilt sich mit einer anderen Studentin eine 50 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung in einem Altbau in Schöneberg und zahlt dafür mit Strom, Gas und Telefon 630 Euro im Monat. Außer den Kosten für ihre Wohnung stehen monatlich 50 Euro Semestergebühren an sowie 20 Euro für ihre Mensakarte. Für Lebensmittel und Hygieneartikel gibt sie etwa 55 Euro jeden Monat aus. 70 Euro muss sie sich für Lehrmaterial, Versicherungen und die Nebenkostenabrechnung im Dezember zurücklegen.
Die Doppelbelastung von Job und Studium belastet die Studentin
Gerade in den intensiven Lernphasen fällt ihr die Doppelbelastung durch Job und Studium schwer. „Ich sitze manchmal bis in die frühen Morgenstunden am Schreibtisch und muss den Uni-Stoff nachholen, den ich tagsüber nicht geschafft habe“, sagt sie. Manchmal sei sie so erschöpft, dass ihr fast die Augen zufielen, wenn sie ins Geschäft gehe. Wenn sie dann von der Arbeit nach Hause komme, müsse sie „oft weinen, weil ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann und nicht mehr weiß, wie ich unter solchen Bedingungen noch lernen soll“.
Viel Zeit, um Freunde zu treffen, bleibt ihr nicht, da sie sich ab und zu auch noch ein wenig Taschengeld mit Nachhilfestunden dazu verdient, wenn das Geld mal knapp wird. „Das mache ich aber nur spontan. Ich betreue eine Schülerin, die sich immer nur kurz vor den Klausuren meldet. Das Geld nehme ich dann für einen zusätzlichen Einkauf“, sagt Sabrina M. Doch Zeitmangel ist nicht das alleinige Problem. Sie habe gar kein Geld, um sich teure Kinobesuche oder Essen im Restaurant leisten zu können. Viele ihrer Freunde arbeiten längst in Vollzeit, sie könne mit deren Lebensstandard überhaupt nicht mithalten.
Doch Sabrina M. will nicht jammern, sie hat sich für diesen Weg entschieden, sie will ihr Ziel erreichen. „Aber ich möchte auf die schwierige Lage aufmerksam machen, in der nicht nur ich mich befinde, sondern viele andere Menschen auch. Ich wünsche mir, dass sie von der Politik nicht im Stich gelassen werden“, betont sie.
Die Berlinerin liegt oft nachts wach. „Ich habe Angst, dass mein Lebenstraum zerplatzen können, wenn sich die Krise noch zuspitzt“, sagt sie. Sie habe sich sogar schon damit auseinandergesetzt, wieder ganz in ihren alten Job zurückzugehen, wenn sie sich das Studium nicht mehr finanzieren kann.
„In solchen Momenten fühle ich mich sehr allein und beneide andere Frauen, die einen Partner haben, der ihnen beisteht“, so Sabrina M., die ungeschminkt ist, eine eher unauffällige Brille trägt und ihre braunen Locken zu einem Zopf gebunden hat. An diesem warmen Spätsommernachmittag hat sie eine kurze Khaki-Hose an, ein weißes T-Shirt und Turnschuhe. „Ich versuche, an Kosmetik, Friseurbesuchen und Kleidung zu sparen, um über die Runden zu kommen. Mir ist das Aussehen ohnehin nicht wichtig, da es für mich auf andere Werte ankommt“, sagt sie. Sie habe nur ein feineres Kleid in ihrem Schrank hängen, das trägt sie, wenn sie zu Hochzeiten oder Geburtstagen eingeladen ist.
Sie nutzt die Sonderangebote von Discountern
Wenn sie Lebensmittel einkauft, versucht sie, die Sonderangebote von Discountern zu nutzen. „Ich kaufe am Monatsanfang immer ein bisschen mehr ein und koche Mahlzeiten vor, die ich einfriere. Außerdem teile ich mir Lebensmittel, die schnell verderben, Brot zum Beispiel oder Milchprodukte, mit meiner Mitbewohnerin. So müssen wir nie etwas wegwerfen“, erklärt die 27-jährige. Wenn sie ihren Vater besucht, der nur wenige Kilometer von ihrer Wohnung entfernt wohnt, nimmt sie sich immer Kuchen und Obst und Gemüse aus dem Garten mit.
Als Sabrina M. 16 Jahre alt war, starb ihre Mutter ganz plötzlich an einer schweren Krankheit. „Da ist für meinen Vater, meine zwei Geschwister und mich erst einmal eine Welt zusammengebrochen. Wir haben lange gebraucht, um diesen Verlust zu verarbeiten. Und meine Mutter fehlt mir noch heute“, sagt sie leise.
Ihr Vater lebt inzwischen mit einer anderen Frau zusammen, mit der versteht sich Sabrina M. nicht so gut. „Das ist der Grund dafür, warum ich nicht mehr zu Hause wohne, obwohl ich in Berlin studiere. Ich wollte Konflikte vermeiden“, sagt sie. Der Preis für ihr eigenständiges Leben ist hoch und kostet Energie.
In der Modeboutique in Mitte erlebt sie eine andere Welt
Im Oktober kann sie ein wenig Energie sammeln. Ihr Vater hat sie und ihre ältere Schwester zu einem einwöchigen Wanderurlaub in die Berge eingeladen. „Den brauche ich auch unbedingt, weil ich fast die kompletten Semesterferien durchgearbeitet habe. Viele meiner Kolleginnen haben Familie und wollten während der Schulferien frei haben“, sagt die Studentin.
Wenn Sabrina M. in der Modeboutique in Mitte steht, in der sie arbeitet, fühle sie sich oft wie in einer anderen Welt. „Wenn ich erlebe, dass manche Frauen mal schnell für mehr als 1000 Euro Klamotten einkaufen, frage ich mich oft: Wie ist das möglich? Warum haben die so viel Geld und manche so wenig?“ Sie ärgert sich über soziale Schieflagen. Besonders, wenn Kinder betroffen sind. „Wenn ich mir zum Beispiel Familien in Marzahn anschaue: Da wiederholt sich das Hartz-IV-Schicksal über mehrere Generationen hinweg.“








