Serie zur Inflation: Kassensturz

Makler mit 4000 Euro netto: „Die Preise sind in unendliche Höhen geschossen“

Paul S. (43) aus Wilmersdorf ist Immobilienmakler in Berlin. Die steigenden Preise belasten auch seine Branche. Die Berliner und die Inflation – unsere Serie.

Berliner Zeitungs Serie: Kassensturz.
Berliner Zeitungs Serie: Kassensturz.Roshanak Amini für Berliner Zeitung

Paul S.* kommt eine halbe Stunde zu spät in das Café am Neuen See. „Ich hatte noch einige Anrufe, darunter einige Angebote, Häuser zu verkaufen“, sagt er. Sein Handy blinkt unentwegt, Nachrichten über neue Objekte gehen ein. Er schaut alle zwei Sekunden auf sein silbernes Mobiltelefon.

Paul S. ist Immobilienmakler. Der gebürtige Berliner aus Wilmersdorf, 43, blond, trägt einen beigen Anzug. Und lehnt sich erst einmal zurück. „Derzeit bin gut im Geschäft. Ich habe im Schnitt 4000 Euro netto im Monat“, sagt er.

Er winkt dem Kellner, um sich ein Bier zu bestellen, und fährt fort: „Ich bin dennoch ein kleiner Fisch, andere in meiner Branche verdienen weitaus mehr.“ Manchmal hangele er sich von Monat zu Monat. „Mein Leben wird dadurch bestimmt, ob ich eine Immobilie angeboten bekomme, diese verkaufen kann oder nicht. Wenn es gut läuft, habe ich vier bis fünf Objekte monatlich. Die derzeitige Krise wirkt sich aber natürlich auch auf unsere Branche aus.“

Jüngst hatte er es mit einem etwa 200 Quadratmeter großen Haus in Wandlitz zu tun. 760.000 Euro wollte der Besitzer dafür haben. „Es haben sich 25 Interessenten gemeldet.“ Dann dauerte es aber, etliche zogen ihre Angebote wieder zurück, andere zögerten. Nach vier Monaten hatte er es endlich verkauft. Solche Objekte nennt Paul S. schwer vermittelbar. Dauert es noch länger mit dem Verkauf, fallen sie in die Kategorie Ladenhüter. Eine Familie, die etwa 9000 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, hat das Haus in Wandlitz dann gekauft. Paul S. hat daran 6 Prozent netto zuzüglich Mehrwertsteuer verdient.

Makler: Kunden stehen Schlange bei 285.000-Euro-Wohnungen

In Neukölln dagegen ging jüngst eine Wohnung innerhalb von 24 Stunden weg. „Sie hatte 54 Quadratmeter, kostete 285.000 Euro.“ Schlangen hätten sich vor dem Haus gebildet. Er ließ die Interessenten Formulare ausfüllen, fragte nach der Bonität, nach der möglichen Finanzierung.

„Manche bezahlen bar, weil sie genug Eigenkapital haben, andere nehmen einen Kredit auf. In Berlin ist es höchst unterschiedlich.“ Einen Tag später konnten drei Kunden nachweisen, dass sie liquide sind. Einer bekam den Zuschlag. Es war ein Student, der von seinen Eltern finanziert wird.

Paul S. ist seit 15 Jahren im Geschäft. Er ist ausgebildeter Immobilien-Kaufmann der Haus- und Wohnungswirtschaft. „Nach meiner Ausbildung habe ich erst einmal lange in einer Hausverwaltung gearbeitet, um das Handwerk zu lernen.“ Drei Jahre später machte er sich selbstständig. Da war er 28.

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„Vor 15 Jahren war Berlin in unserem Sektor ein Eldorado“, sagt er. Es sei die Stadt der Vermietungen gewesen. „Es gab genügend Leerstand. Damals hieß es noch, dass die Berliner in ihrem Leben sechsmal umziehen“, sagt er. Von älteren Kollegen weiß er, wie es war, als Wohnungsgesellschaften ihren potenziellen Mietern Fernseher, Kühlschränke oder Waschmaschinen versprachen, wenn sie nur einziehen. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“

Wohnungsnotstand belastet die Branche

Es hat sich viel geändert. Zum Beispiel zahlten Mieter inzwischen keine Maklerprovisionen mehr, erläutert Paul S. Die Provisionen fielen 2014 mit einer neuen Gesetzgebung weg. Fortan sollte der Auftraggeber, also in der Regel der Eigentümer, die Provision zahlen. Paul S. und seine Kollegen mussten umdenken. „Damit fiel für die Makler die Vermietung beinahe komplett weg, weil die Auftraggeber in dem Bereich oft nicht bereit waren, Provision zu zahlen. Wir konnten dann meist nur noch vom Verkauf leben.“

Und dann ist da noch der Wohnungsnotstand. „Viele sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen, die Stadt ist wie ein Magnet.“ Paul S. zieht die Augenbrauen hoch, sagt: „Damit sind natürlich vor allem Ältere aus den Kiezen verdrängt worden und die Miet- und Kaufpreise sind in unendliche Höhen geschossen.“

Er redet weiter: „Jüngst habe ich mal wieder eine Mietwohnung von 80 Quadratmetern mit vier Zimmern für 1500 Euro angeboten. Die Interessenten haben uns die Türen eingerannt.“ Das könne sich aber nicht jeder leisten, gerade jetzt, wo auch die Energiepreise gestiegen sind. „Es sind für viele harte Zeiten.“

Auch er hat sich immer wieder neu erfinden müssen. 2014 entdeckte er das Geschäft mit Leads, die Zeiten, in denen sich Immobilienmakler auf ihr gutes Netzwerk und Empfehlungen verlassen können, waren vorbei.

Immobilien-Leads – das war das Zauberwort der Stunde, sie sind für Makler virtuelles Gold. Es habe verlockend geklungen, so Paul S., Immobilien auf einem Portal zu bewerten und eventuell den Zuschlag zu erhalten. Also kaufte der Berliner fortan Leads ein. Er zeigt auf sein Handy. „Das mache ich bis heute. Gerade ist wieder ein Angebot reingekommen.“ Er erhält es über seine Mailadresse. Es sind die persönlichen Daten von Interessierten, bei denen die Chance hoch ist, sie in Klienten umzuwandeln: Name, Adresse, E-Mail, Telefonnummer.

„Wenn ich einen Zuschlag bekommen möchte, muss ich diesen Lead kaufen.“ Der Preis liegt zwischen 150 bis 700 Euro. Insgesamt gibt er dafür im Monat etwa 2000 Euro aus. „Es ist aber jedes Mal unklar, ob ich den Zuschlag erhalten werde. Diese Leads kaufen auch noch andere Makler. Der Kunde sucht sich nachher den Makler raus, der ihm den höchsten Wert genannt hat.“ Seine Chancen stünden 1:20, sich einen Auftrag zu angeln.

Berlin sei für Makler, so sagt er, ein Haifischbecken. Da liefe manche krumme Tour. Immerhin tummeln sich Tausende seiner Zunft in der Stadt, immer auf der Jagd nach neuen Aufträgen. „Da werden Ellenbogen eingesetzt – sei es, dass manche, um einen Auftrag zu ergattern, einen viel zu hohen Preis für die Immobilie veranschlagen, der gar nicht realisierbar ist.“ Und meistens suchten sich die Verkäufer die Makler aus, die ihnen die höchsten Summen versprächen.

Auch gebe es viele schwarze Schafe in der Branche – wie diejenigen, die in den vergangenen Jahren Schrottimmobilien verkauften. Das seien meist Anlagegeschichten gewesen, so der Immobilienmakler. Die Käufer wollten investieren, am liebsten in eine Immobilie in Berlin, die sie in vielen Fällen gar nicht kannten. Wenn sie Pech hatten, war die Immobilie wertlos. „Es gab keine Mieteinnahmen, oder die Reparaturen waren höher als alles andere. Viele Käufer blieben hochverschuldet auf Schrott sitzen.“ Inzwischen sei es nicht mehr so extrem, manchmal komme es aber noch vor.

Schon in der Corona-Zeit hatte ich keine Aufträge und musste von der Grundsicherung leben.

Paul S.

Die hohe Nachfrage, aber auch der Drang, in Immobilien zu investieren, treibe die Preise nach oben, sagt er. Im Osten, so Paul S., seien viele Objekte noch erschwinglich, allerdings nicht mehr in Mitte, Pankow oder Prenzlauer Berg. Und auch in Charlottenburg oder Wilmersdorf koste inzwischen ein Quadratmeter um die 6500 Euro. „Tendenz steigend“, so der Fachmann, der zurzeit vor allem beobachtet, dass viele Russen ihre Immobilien in Berlin veräußern. „Meine Kunden aber sind meistens Familien mit Kindern, meist junge Leute, die über ein hohes gemeinsames Einkommen verfügen. Davon gibt es hier sehr viele.“

Die Krise spüre er aber durchaus. „Schon in der Corona-Zeit hatte ich keine Aufträge und musste von der Grundsicherung leben.“ Er meldete sich beim Jobcenter und beantragte Hartz IV und einen Mietkostenzuschuss. „Das ging ein halbes Jahr so, Selbstständige waren in dieser Zeit wirklich die Verlierer. Klar, Gesundheit geht vor, aber für mich war das eine Katastrophe.“ Er lehnt sich zurück: „Alle Freischaffenden, auch Künstler, haben kaum Geld gehabt.“

Immobilienbranche leidet unter hohen Baukosten

Und nun komme der Krieg in der Ukraine dazu, sagt der Immobilienmakler. Er nimmt einen Schluck Bier. „Das erste halbe Jahr 2022 war noch wunderbar, alles lief wieder an, wir durften wieder Wohnungen besichtigen lassen. Doch inzwischen macht sich der Krieg in unserer Branche deutlich bemerkbar.“

Er beugt sich vor, erklärt: „Es wird kaum noch gebaut, Wohnraum wird noch mehr als sonst knapper.“ Gründe dafür seien gestiegene Bauzinsen und höhere Preise für Baumaterial. Hinzu kämen gestiegene Grund- und Bodenpreise. „Viele können 30 Prozent mehr auf Baumaterialien nicht bezahlen.“ Das treffe besonders private Haushalte. Und wo weniger gebaut wird, steigen die Immobilienpreise weiter.

Eine Umfrage unter Immobilienprofis ergab jüngst, dass 79 Prozent von ihnen glauben, dass sich die Ukraine-Krise in den nächsten zwölf Monaten negativ auf ihr Unternehmen auswirken könnte. Eigentümer könnten einen Verkauf eher verschieben. Mit weniger Mandaten werde außerdem gerechnet, weil die Preiserwartungen seitens der Verkäufer zu hoch seien. Steigende Zinsen, Baukosten und Rohstoffpreise hemmten die Nachfrage am Immobilienmarkt, so das Fazit. Und ließen damit auch die Immobilienpreise weiter steigen.

Kassensturz: Der Berliner Makler zahlt 860 Euro Miete

Paul S. nickt. „Ja, das kann Folgen haben, ich rechne eher damit, dass die Preise stagnieren.“ Jeder, der derzeit hier in Berlin bezahlbaren Wohnraum habe, könne dennoch glücklich sein, sagt er.

Er wohnt selbst in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung mit drei Zimmern. „Ich lebe dort seit 25 Jahren und ziehe auch nicht aus, außer ich muss. Ich habe einen alten Mietvertrag, den ich von meinem Vormieter aus WG-Zeiten übernommen habe und daher kaufe ich mir auch keine eigene Wohnung. Das rechnet sich bei mir nicht.“ Außerdem sei Wilmersdorf sein Kiez. „Hier bin ich aufgewachsen.“

An Miete zahlt er 860 Euro, hinzu kommen 200 Euro an die Gasag und 90 Euro für Strom. „Mein Auto, auf das ich angewiesen bin, kostet mich etwa 180 Euro an Versicherung im Quartal. Außerdem habe ich einen Garagenplatz für 150 Euro“, rechnet er vor. Richtig ins Kontor schlagen bei ihm die Tankrechnungen. „Das sind mindestens 400 Euro im Monat, weil ich beruflich viel in Brandenburg unterwegs. Dort ist das Angebot teilweise noch größer als die Nachfrage, der Speckgürtel und die Uckermark ausgenommen.“ Er zuckt mit den Schultern. „Nur die Verkaufsabwicklung dauert dort viel länger, es ist nicht einfach, Käufer zu finden.“

Berliner Makler zahlt 400 Euro fürs Essen

Außerdem zahlt er monatlich 910 Euro für die Krankenversicherung. „Ich bin gesetzlich versichert. Ich wollte mich nie privat versichern, weil im Alter die Kosten dort so steigen.“ An das Portal Immobilien-Scout zahlt er monatlich 450 Euro. „Dort inseriere ich meine Objekte.“

Fürs Essen gibt er etwa 400 Euro im Monat aus, manchmal sogar mehr. „Es ist ja alles teurer geworden, das spüre ich bei jedem Einkauf.“ Einmal im Jahr fährt er in den Urlaub. „Für fünf Tage, ich miete mich in einer Pension an der Nordsee ein.“ Dafür gebe er etwa 1000 Euro aus, Restaurantbesuche inklusive. „Mehr Ferienzeit geht nicht, ich muss arbeiten, aber im Juli oder August ist das Geschäft eh ruhig. Im September geht es dann wieder los“, sagt er.

Viele müssen sich vermutlich neu erfinden in den nächsten Jahren. Ich werde auch sparen müssen, meine Ausgaben einschränken, um die hohen Energiepreise zu schultern.

Paul S.

Sein Jahresumsatz vor Steuern und sämtlicher Kosten beläuft sich auf 110.000 Euro. Monatlich legt er 1400 Euro auf die hohe Kante wegen der Steuernachzahlungen. „Aus dem Leben eines Selbstständigen“, sagt er und grinst ironisch.

„Der Job rentiert sich für mich mal mehr, mal weniger“, ergänzt er. Er sei Einzelkämpfer, das mache ihm Sorgen. „Die großen Immobilienfirmen verdrängen einen wie mich immer mehr vom Markt.“

Die Pandemie und auch die Inflation wegen des Krieges in der Ukraine hätten ihm gezeigt, wie zerbrechlich alles sei und wie unvorhersehbar. „Viele müssen sich vermutlich neu erfinden in den nächsten Jahren. Ich werde auch sparen müssen, meine Ausgaben einschränken, um die hohen Energiepreise zu schultern.“ Jede Krise könne einen Menschen zum Arbeitslosen machen. „Ich möchte aber nicht noch einmal auf Grundsicherung angewiesen sein.“

Manche Kollegen haben Angst vor Altersarmut

Thema in seiner Branche sei vor allem die Rente. „Manchen geht es bestens, sie sind abgesichert. Andere aber haben gar nicht die Möglichkeit, dafür zu sparen, weil sie von einem Monat zum nächsten leben.“ Jüngst klagte ihm ein älterer Kollege sein Leid. „Er hat Sorge, dass er als Rentner Grundsicherung erhält“, sagt Paul S. Er selbst versucht, immer wieder etwas beiseitezulegen. Er hat gerade ein Aktienpaket gekauft.

* Alle Namen sind verändert, der Redaktion aber bekannt.