Eleonora S. geht langsam, stützt sich auf einen Stock. Sie hat Arthrose im Knie. Sie lächelt, sagt scherzend: „Da hilft keine Operation mehr, sondern nur durchhalten.“ Die Rentnerin kommt gerade von einem Spaziergang zurück und lässt sich erschöpft in einen Sessel fallen. „Ich habe heute viel geschafft, bin gut zu Fuß gewesen, darauf bin ich stolz“, sagt sie. Sie bewege sich täglich, das sei gesund.
Eleonora S.* ist 83 Jahre alt. Sie trägt die braun getönten Haare kinnlang, passend zur Haarfarbe hat sie eine gelbe Jacke und ein blumiges Shirt angezogen. Wir treffen sie in ihrer Wohnung in Rudow. Zwei Zimmer hat sie auf 60 Quadratmetern. „Für mich reicht es. Herzstück ist meine Terrasse, sie ist voller Blumen“, sagt sie und zeigt Richtung Fenster.
Die Rentnerin wohnt seit dem Jahr 2020 in Berlin. „Mitten in der harten Corona-Zeit bin ich hergezogen, weil ich in der Nähe meiner Kinder leben wollte.“ Anfangs sei es schwierig gewesen. „Ich kam an, kannte niemanden und hatte auch keine Chance, weil wir alle in der Pandemie isoliert waren. Das hat sich inzwischen glücklicherweise geändert.“
Es gebe für sie nichts Schlimmeres, als sozial zu vereinsamen, sagt sie. „Nur allein zu Hause zu sitzen, macht krank.“ Sie hat sich vor ein paar Monaten bei einem Turn-Kurs für Senioren angemeldet. „Da gehe ich jetzt dreimal die Woche hin, immer morgens nach dem Frühstück“, sagt sie und fügt hinzu: „Das kostet mich 24 Euro im Jahr.“
Kassensturz: Rentnerin achtet auf ihre Ausgaben
Eleonora S. wurde 1939 in Niedersachsen geboren. „Es war Krieg, meine Eltern waren Selbstversorger, sie hatten einen großen Garten mit Ziegen und Hühnern, Obst und Gemüse. Ohne das hätten wir diese Zeiten nicht gut überstanden.“ Sie fügt hinzu: „Der Krieg war schlimm, die Zeit danach auch, voller Entbehrungen. Viele Menschen haben damals gehungert, das können sich die meisten heute gar nicht mehr vorstellen.“
Denken und Tun ihrer Mutter hätten sich nur um die Versorgung der Familie gedreht, und so war der Tagesablauf dann auch organisiert. Auch sie, Eleonora, habe viel im Haushalt mithelfen müssen, als Kind habe sie zum Beispiel Kirschen oder Stachelbeeren gepflückt und verarbeitet. „Manchmal habe ich meinem Vater sein Mittagessen gebracht. Er war Maler, viel in der Gegend unterwegs.“ Einmal musste sie recht weit zu ihm durch einen Wald laufen. Sie lächelt. „Das ist lange her.“
Wir treffen Angestellte, Rentner, Gastronomen und viele mehr, die uns offen darlegen, wie viel sie verdienen und was davon jetzt und künftig noch übrig bleibt. Alle, die uns einen Blick in die Haushaltskasse erlauben, bleiben auf Wunsch anonym.
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Sie wird nachdenklich. „In den vergangenen Jahren sind wir eine Wohlstandsgesellschaft geworden. Mein Mann und ich haben unser Leben lang gearbeitet, damit wir im Alter keine Sorgen haben. Ich kann daher heute nicht klagen. Aber ich sehe, dass viele Angst vor der Zukunft haben, weil alles teurer wird.“ Auch sie müsse sehen, dass sie alles finanzieren könne. „Der Krieg in der Ukraine, die Not der Menschen dort, die Preissteigerungen hier. Die Grundstimmung ist nicht gut.“
Sie lehnt sich zurück. „Ich habe mein Leben immer irgendwie gemeistert“, sagt sie. Da seien die Kinder gewesen, ihr großes Haus in Niedersachsen. „Wir haben nahe der innerdeutschen Grenze gelebt“, erzählt sie. „Dort hatten wir uns was aufgebaut.“
Ihr Mann war Zollbeamter. „Seine Ausbildung hat er in Frohnau in Berlin gemacht, das war 1958. Er hatte so eine kleine, bescheidene Bude an der Pestalozzistraße, dort habe ich ihn oft besucht.“
Auch sie arbeitete zu der Zeit. „Ich habe nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung gemacht und war von 1954 bis 1963 bei einer Baufirma beschäftigt. Ich habe das Büro geleitet, Rechnungen geschrieben und Buch geführt.“ 1963, als ihr Sohn geboren wurde, gab sie diesen Job auf. „Mein Mann wollte nicht, dass ich weiter arbeite, das war damals so. Da konnte der Ehegatte noch bestimmen, ob die Frau arbeiten darf oder nicht. Das ist heute glücklicherweise anders.“
In der Tat: Bis 1958 konnte ein Ehemann über das Dienstverhältnis seiner Frau entscheiden – es lag bei ihm, ob sie arbeiten durfte. Und er konnte auch jederzeit das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen. Das änderte sich mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958. Aber: Noch bis 1977 durfte eine Frau in Westdeutschland nur dann berufstätig sein, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Das entschied der Mann.
Das Geld vom Hausverkauf ist meine Rücklage, wenn Unvorhersehbares passiert.
1966 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. „Nach einem Jahr wurde ich unruhig. Ich konnte nicht mehr nur daheim sitzen, ich wollte arbeiten.“ Eleonora S. begann, in ihrer Küche Mittagessen für Gäste zu kochen. „Ich wohnte direkt am Kurpark, besser ging es nicht, und viele kamen.“ Ihrem Mann gefiel das. „Er schlug vor, eine Pension einzurichten.“ Sie bauten den Heuschober und den Stall aus, schufen ein Haus für Gästeunterkunft. „Wir waren die Ersten am Ort, die Zimmer mit Dusche anboten. 20 Betten hatten wir.“
Vor zwei Jahren musste sie sich verabschieden von dem Haus. „Ich musste es leider verkaufen, ich hätte es nicht mehr bewirtschaften können.“ Jede Reparatur, die anfiel, schmerzte finanziell. 120.000 Euro bekam sie für das Haus. Sie packte ihre Sachen zusammen, ließ vieles zurück und zog um. In Berlin hätte sie das Sechsfache erhalten, da ist sie sich sicher. „Das sind eben die Preise auf dem Land, aber ich bin dankbar, dass es verkauft werden konnte. Das Geld vom Hausverkauf ist meine Rücklage, wenn Unvorhersehbares passiert.“ Auch wolle sie ihren Kindern ja etwas vererben.
Als wir 50 waren, hatten wir alle Schulden abbezahlt und konnten uns viele Reisen leisten.
Eleonora S. lebt von 1800 Euro im Monat. Es ist die Witwenpension ihres Mannes. „Seine Pension war immer unsere Altersabsicherung.“ Er starb mit 69 Jahren. „Ich selbst habe keine Rente, weil ich selbstständig war. Wir haben immer alles in das Haus, die Pension und die Ausbildung unserer Kinder gesteckt.“
Es kamen gute Jahre. „Als wir 50 waren, hatten wir alle Schulden abbezahlt und konnten uns viele Reisen leisten.“ In Indien seien sie gewesen, in Indochina, in Thailand. „Wir haben die ganze Welt gesehen, das war eine schöne Zeit.“ Als ihr Mann starb, führte Eleonora S. noch viele Jahre das Gästehaus weiter. „Ab meinem 70. Lebensjahr habe ich aber nur noch Stammkunden aufgenommen.“
Sie legt ihre Kontoauszüge auf den Tisch. „Viel bleibt nicht übrig, obwohl 1800 Euro erst einmal ganz gut klingen“, sagt sie. Sie liegt mit ihren Bezügen in der Tat über dem Durchschnitt: In Deutschland sind das etwa 800 bis 1300 Euro netto an Rente monatlich. Die Pensionen von Beamten sind allerdings höher. 2021 lag die Durchschnittspension von Bundesbeamten bei rund 3198 Euro, 2022 klettert sie dann auf gut 3255 Euro. Eine Witwe wie Eleonora S. erhält 55 Prozent von der Pension ihres Mannes.
Ich achte darauf, dass nicht überall Licht in meiner Wohnung brennt, aber das habe ich schon immer getan.
„Ich kann mich nicht beklagen“, sagt Eleonora S. Trotzdem seien die Ausgaben gewachsen, und sie befürchte, dass diese weiter nach oben gehen. „Ich habe monatlich 1300 Euro Fixkosten“, sagt sie. Da sei die Miete von 650 Euro warm, Strom koste sie weitere 40 Euro. „Ich achte darauf, dass nicht überall Licht in meiner Wohnung brennt. Aber das habe ich schon immer getan.“ Sie fügt hinzu: „Ich bin gespannt, wie viel ich nächstes Jahr nachzahlen muss, der harte Winter kommt ja noch.“ Laut Experten müssen Ein-Personen-Haushalte mit bis zu 1100 Euro zusätzlichen Kosten bei den Nachzahlungen rechnen.
Wenn im September die Regierung einen Energiekostenzuschuss in Höhe von 300 Euro zahlt, geht Eleonora S. leer aus. Denn alle, die 2022 keine steuerpflichtige Tätigkeit ausüben, erhalten die Pauschale nicht, wie etwa Rentnerinnen und Rentner, auch jene, die Erwerbsminderungsrente beziehen, pflegende Angehörige sowie Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung und Arbeitslosengeld I.
Das kritisieren die Sozialverbände seit Langem. „Dabei belasten die steigenden Preise für Lebensmittel, Heizung, Strom und Sprit auch sie, viele von ihnen sogar in besonderem Maße“, sagte jüngst Verena Bentele, Präsidentin des VdK. Rentnerinnen und Rentner verfügten im Durchschnitt über deutlich geringere Einkommen als Erwerbstätige. „Sie brauchen die 300 Euro daher umso dringender“, mahnte Bentele. Der Sozialverband VdK will nun gegen das Gesetz klagen – und ist bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Für Eleonora S. ist das ein wichtiger Schritt. „Warum werden Rentner und Rentnerinnen bei dieser Einmalzahlung ausgespart? Sie zahlen doch weiterhin Steuern auf ihre Rente“, sagt sie. Jüngst habe sie gelesen, dass sie ein Anrecht darauf hätte, wenn sie einen Minijob ausübte. „Das würde ich körperlich gar nicht mehr schaffen, andere genauso wenig“, sagt sie und wendet sich wieder ihren Ausgaben zu.
Für sie drehe es sich jetzt vor allem darum, ärztlich gut versorgt zu sein. „Ich habe einen Notrufknopf, den trage ich am Arm, damit ich im Notfall einen Alarm auslösen kann und schnell ein Arzt kommt. Dafür zahle ich monatlich 56 Euro an die Johanniter.“ 250 Euro gebe sie etwa fürs Essen aus. „Inzwischen haben sich die Preise aber fast verdoppelt, wahrscheinlich reicht das jetzige Budget bald nicht mehr.“
Sie versorge sich selbst, spare dadurch. „Ich koche jeden Tag für mich selbst, unter der Woche meist Gemüse, ab und an Fleisch und Fisch. Doch allein das Obst, das ich so gerne esse, kostet mich inzwischen statt 20 fast 40 Euro die Woche.“ Für Drogerieartikel veranschlagt sie etwa 30 Euro im Monat. „Und sonntags gehe ich gerne mit einer Freundin Kaffee trinken, dazu ein Stück Kuchen, das schlägt inzwischen auch zu Buche.“ 50 Euro zahle sie außerdem monatlich noch für ihr Telefon.
„Richtig teuer sind meine Arztrechnungen“, sagt die Rentnerin. Sie ist privat versichert. „Das war ich immer und ich habe nie in die Gesetzliche eingezahlt, dann gehört es sich auch nicht, zu wechseln.“ Die Kosten seien enorm, sagt sie. „Mein monatlicher Beitrag liegt bei 400 Euro.“ Die 83-Jährige, die zwei Krebserkrankungen hinter sich hat, muss dabei bei jedem Arztbesuch in Vorleistung gehen. „Meine Augen müssen einmal im Monat behandelt werden. Ich sehe kaum etwas, erkenne keine Gesichter auf die Ferne.“ Sie rückt ihre Brille zurecht.
Die monatliche Spritze, die den Zustand ihrer Augen stabilisieren soll, koste 1600 Euro, sagt sie. „Das Geld muss ich vorstrecken, die Rechnung bei der Kasse und bei der Beihilfe einreichen, und dann bekomme ich es erstattet. Von der Beihilfe sind es 70 Prozent, von der Kasse 30.“ Hinzu kämen Taxifahrten zum Arzt, weil sie aufgrund ihrer Sehschwäche nicht mit Bus oder Bahn fahren könne. „Da kommt einiges zusammen, meistens 150 Euro im Monat. Das muss ich selbst zahlen, die bekomme ich nicht erstattet, weil ich keine Pflegestufe habe.“ Eine Freundin riet ihr jüngst zu einem entsprechenden Antrag. „Aber ich weiß nicht“, sagt sie. Da sei die Bürokratie, die sie zurückschrecken lasse. Und sie fühle sich auch noch nicht danach.
„Vielleicht ist es Verdrängung“, sagt Eleonora S. Sie habe Angst davor, anderen zur Last zu fallen oder in ein Altersheim zu müssen. „Allein die Kosten für einen Heimplatz. Oder der Pflegenotstand. Ich hoffe, dass ich noch lange fit bin.“
* Alle Namen sind verändert, der Redaktion aber bekannt.










