Berlin

Berlin versagt bei der Bildung: Es ist Zeit, von den Besten im Osten zu lernen

Berlin sackt im bundesweiten Vergleich auf den vorletzten Platz ab, und der Abstieg könnte weitergehen. Was macht der ostdeutsche Sieger anders? Ein Kommentar.

Abgehängt: Berlins Bildungssystem kommt im bundesweiten Vergleich nur noch auf Platz 15.
Abgehängt: Berlins Bildungssystem kommt im bundesweiten Vergleich nur noch auf Platz 15.Didier Lebrun/dpa

Berlin lässt seine Kinder im Stich. Vor allem die, die Hilfe brauchen. Bei der Bildung – und damit bei den Chancen für ihr gesamtes weiteres Leben. Anders kann man es nicht mehr sagen. Es ist schon wieder eine Studie erschienen, die das Versagen der Schulen in der Stadt belegt: Im „Bildungsmonitor“, jährlich erstellt vom Institut der Deutschen Wirtschaft, kommt Berlin nur noch auf den vorletzten Rang unter den Bundesländern. Platz 15 von 16. Vor einem Jahr hatte Berlin noch den elften Platz geschafft – und auch das war schon ein trauriges Ergebnis. Nun ist nur noch Bremen schlechter.

Nach allem, was man über die aktuelle Lage an Berlins Schulen weiß, ist zu befürchten, dass im nächsten Jahr sogar noch ein weiterer Absturz folgt. Auf den letzten Platz. Die Schulen sind so voll wie seit Jahrzehnten nicht, viele Klassen überbelegt, es fehlen mindestens 1000 Lehrer, vielleicht 1500, die genaue Zahl wird noch ermittelt. Unter den neuen Lehrern haben zwei Drittel nie ein Lehramtsstudium abgeschlossen – oder stecken noch mitten in der Ausbildung.

Der Bildungsmonitor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, listet auch einige Stärken Berlins auf. Man ist überrascht – bis man sieht, dass sie überwiegend die Hochschulen betreffen. Der Bericht untersucht das gesamte System, von den Kitas bis zu den Universitäten. Die Autoren loben, dass viele Studenten in Berlin aus dem Ausland kommen, die Internationalisierung sei hoch, auch die Qualität der universitären Bildung. Das ist erfreulich. Es hilft nur den Kindern in Berlin leider überhaupt nicht.

Viele Ganztagsschulen, schlechte Bildung

Sogar an den Schulen haben die Autoren des Berichts noch Stärken in Berlin gefunden. An den Gymnasien komme auf 13,6 Schüler ein Lehrer. Der beste Wert aller Bundesländer! Warum bitte ausgerechnet da, möchte man die Verantwortlichen in Berlin fragen? Die Gymnasien sind, wie jeder weiß, nicht Berlins Problemschulen, dort lernen Kinder, die von ihren Eltern gefördert werden, oder die aus sich selbst heraus gut in der Schule sind, gegen Widrigkeiten. An den Gymnasien schnitten auch die Achtklässler bei bundesweiten Vergleichsarbeiten, deren Ergebnisse vor einer Woche veröffentlicht wurden, relativ gut ab.

An den Grundschulen und den Integrierten Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe waren die Ergebnisse erschütternd: Fast jeder zweite Drittklässler schaffte die Mindeststandards im Fach Deutsch nicht. In den achten Klassen scheiterten sogar mehr als sechs von zehn Schülern in Deutsch. In Mathe sah es bei ihnen noch viel schlechter aus. Die Ergebnisse passen, leider, perfekt ins Bild. Der Bildungsmonitor erinnert daran, dass 2021 die Viertklässler in Berlin in Deutsch und Mathe überdurchschnittlich oft nicht mal die Mindeststandards erreichten.

Berlin hat zwar vergleichsweise viele Ganztagsschulen, stellt der Bildungsmonitor fest, es seien auch mehr Schulen als anderswo mit schnellem Internet ausgestattet. Hilft aber nichts: Es wird nämlich „relativ selten täglich“ mit digitalen Medien gearbeitet. Auch die Zahl der Unterrichtstunden in Berlin ist überdurchschnittlich hoch. Das nützt ebenfalls nichts: Die Qualität der Schulbildung in Berlin ist weit unterdurchschnittlich, Platz 15 von 16, die Integration von Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen in das Bildungssystem gelingt schlechter als fast überall sonst, Platz 15 von 16.

Die Schulklassen sind in Berlin größer als anderswo, der Monitor nennt einen Durchschnittswert von 22,6 Kindern pro Klasse im 2021. Im Schuljahr, das gerade begonnen hat, sitzen in vielen Grundschulklassen schon 27 Kinder.

Weniger Bücher in den Familien

Der „Bildungsmonitor“ zeichnet für ganz Deutschland kein allzu erfreuliches Bild, vor allem im Vergleich zur Lage vor zehn Jahren. Die Schulqualität hat sich seitdem erheblich verschlechtert, stellen die Autoren fest, die „Bildungsarmut“ – also die Zahl der Kinder, die daran scheitern, das Nötigste zu lernen – ist gestiegen, die Integration von benachteiligten Kindern gelingt schlechter.

Als Ursache macht der Bericht einen veränderten „häuslichen Input“ aus. Unter Kindern der vierten Klasse hatten 2021 schon 38 Prozent einen Migrationshintergrund, 2013 waren es noch 25 Prozent. Der Anstieg gehe vor allem auf Kinder „erster Generation“ zurück, die selbst erst nach ihrer Geburt nach Deutschland gekommen sind, oft als Flüchtlinge.

Der „Bildungsmonitor“ verweist auf Studien, die zeigen, dass ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund für alle in einer Klasse das Lernen schwerer macht – wichtig sei „eine gleichmäßigere soziale Durchmischung“. Wer Berlins Schulen kennt, weiß, dass es die so gut wie nie gibt. Sondern viele Klassen, in denen kaum ein Kind Deutsch als Muttersprache spricht.

Zum veränderten „häuslichen Input“ gehört auch, dass in den Familien weniger gelesen wird. Der Anteil der Kinder, deren Eltern keine 100 Bücher zu Hause haben, ist im letzten Jahrzehnt von 61 auf 69 Prozent gestiegen, der Anteil regelmäßig lesender Jugendlicher um 20 Prozent gesunken. Der „öffentliche Input“ sei zwar gestiegen, aber mehr Ganztagsschulen helfen kaum, weil die Qualität des Unterrichts nicht gut ist. In den kommenden Jahren sei mit einer Verschärfung der Probleme zu rechnen. In ganz Deutschland.

Wieder an der Spitze: Sachsen

Es gibt allerdings ein Bundesland, in dem in der Bildung vieles gut läuft, es steht wieder an der Spitze im Ländervergleich. Das deutsche Bildungsvorbild ist Sachsen.

Und das, obwohl der „Bildungsmonitor“ auch dort Schwächen gefunden hat: Beim Betreuungsverhältnis an Schulen und Kitas etwa, die Erzieher und Lehrerinnen müssen hier jeweils besonders viele Kinder im Blick behalten. Die Klassen sind größer als im Bundesdurchschnitt – aber immer noch kleiner als in Berlin. Und Sachsen ist in der Digitalisierung nicht besonders weit.

Darauf werden die Kinder in Sachsen verzichten können, denn trotz dieser Nachteile bieten ihnen ihre Kitas und Schulen die beste Bildungsqualität in Deutschland, so der Bericht. Sächsische Viertklässler sind besser als alle anderen im Lesen und im Verstehen vorgelesener Texte, und sie sind nach den Bayern die Zweitbesten in Mathe. Aber auch bei der Integration benachteiligter Kinder ist Sachsen besser als andere Bundesländer.

Das könnte daran liegen, dass mehr als 82 Prozent der sächsischen Kinder eine Kita besuchen, und zwar den ganzen Tag lang. Viele Experten sagen, dass ein Kitabesuch gerade Kindern, die zu Hause kein Deutsch hören oder keine Bücher vorgelesen bekommen, enorm hilft. 90 Prozent der Grundschüler und 80 Prozent der älteren Schüler sind in Sachsen an Ganztagsschulen. Auch das hilft, Chancen auszugleichen, weil es so nicht mehr darauf ankommt, ob die Eltern die Hausaufgaben im Blick behalten. Das Land gibt übrigens überdurchschnittlich viel Geld für seine Schulen aus. Sachsen zeigt, wie es gehen könnte – kein Kind im Stich zu lassen.