Clubleben

Clubbesuch mit Mama: Wie es ist, mit der eigenen Tochter ins Berghain zu gehen

Und auf die Berghain-Klos! Das Fazit dieses speziellen Clubbesuchs: Mein Kind ist fit fürs Leben.

Zwei Frauen beim Tanz. Nachtleben in einem Berliner Club (Symbolbild)
Zwei Frauen beim Tanz. Nachtleben in einem Berliner Club (Symbolbild)imago/Marco Stepniak

Die Verabredung stand seit der ersten Welle. Nach Corona würden wir zusammen ins Berghain gehen, ein Bekannter und ich, beide in fortgeschrittenem Alter. Vor ein paar Tagen war es dann so weit, aber wir waren nicht zu zweit. Meine Tochter, sie war 17, als wir die Verabredung getroffen hatten, jetzt 19, hatte mich mit dem Satz erweicht, sie komme ohne mich da doch gar nicht rein.

Das klang schmeichelhaft. Andererseits dachte ich: Verkehrte Welt, dass die alte Mutter die Tochter in den Club mitschleppen soll. Doch am Ende fühlte ich mich bei meinen Mutterpflichten gepackt. Bestehen die nicht auch darin, dem Kind den Weg in die Welt zu ebnen? Und sei es ins Berghain.

Was bedeutet es, Mutter zu sein? Ich hatte es vorher nicht geahnt, aber der Clubbesuch war mit dieser Frage in Großbuchstaben überschrieben. Wie kümmert man sich um sein Kind, was weiß man überhaupt von ihm? Wie kriegt man es sicher durchs Leben, jedenfalls solange man das irgendwie in der Hand hat? Darf man es an einen Ort bringen, an dem Drogen konsumiert werden? Will ich diese Art von Nähe?

Die neue Freizügigkeit im Berghain

Überrascht war ich nach meiner ziemlich langen Berghain-Pause von der neuen Freizügigkeit der Outfits. Auf der langen Bank gegenüber der Garderobe verwandelten sich an diesem Abend die Träger der für das lange Schlangestehen draußen unbedingt nötigen Winterjacken, Mützen, Schals und schwerer Winterstiefel in schillernde, halbnackte Geschöpfe der Nacht. Ich beobachtete meine sonst recht prüde Tochter, die zum Beispiel nie an einen FKK-Strand gehen würde, von der Seite, suchte nach Schocksignalen. Da waren keine.

Trotzdem: Das Kind ließ meine Hand nicht los. Es fürchtete sich ein bisschen. Es war wie bei unserem ersten Besuch in der Geisterbahn, als sie noch ganz klein war, wie bei der ersten Fahrt mit dem Ruderboot. Überall könnte ein Erschrecker lauern, überall ist schwankender Grund.

Gedanken schossen mir durch den Kopf: Ist das zu viel für sie? Hätten wir warten sollen, bis sie älter ist? Hätte ich das nicht wissen müssen? Und auch: Ist das nicht eine Erfahrung, die sie hätte allein machen müssen, ohne die greifbare Mutterhand? – Ich bin wirklich keine dieser Mütter, die die Freundin ihrer Kinder sein möchte. Ich habe kein Problem damit, Ansagen über ungespültes Geschirr, Duschwasser auf dem Boden im Bad und vergessene Einkäufe zu machen. Aber da waren wir.

Das Hamsterrad in meinem Kopf stand endlich still

Und dann entspannten wir uns, tranken einen Cocktail. Ich hörte auf, in dem Hamsterrad in meinem Kopf herumzurennen, hielt inne, blinzelte, schaute mich um. Das Kind wollte an der Zigarette ziehen, die ich – seit langem Nichtraucherin – dem Freund abgeluchst hatte. Unter anderen Umständen hätte ich ihr einen Vogel gezeigt, aber im Berghain gelten irgendwie andere Regeln. Keine Mutterregeln, oder jedenfalls folgt die Mütterlichkeit hier nicht mehr ausschließlich den Geboten der Rechtschaffenheit und der Vernunft.

Wir gingen zusammen tanzen. Erst unten auf dem Techno-Floor, später oben in der Panorama-Bar. Mit meinen Eltern wäre das undenkbar gewesen. Eigentlich ein Glück, dass die Grenzen zwischen den Generationen nicht mehr so undurchdringlich sind, dass sie sich nicht auch mal überwinden lassen. Dass es einen Raum gibt, eine Zeit, in der ich mich nicht entscheiden muss zwischen dem Mutterdasein und der Person, die auch noch mal ins Berghain will. Dass ich mich dieser Ordnung des Familiensystems einen Moment entziehen kann und sich die beiden Welten an diesem Abend miteinander verbinden lassen. Zwei Frauen neben uns fragten, ob wir Mutter und Tochter seien. Sie feierten uns. „Das ist mein Ziel“, sagte eine junge Frau. „Ich will auch mit meinem Kind hierherkommen.“ Ihre Tochter ist vier, wie sich auf Nachfrage herausstellte.

Wow, Berghain! Das kannst du dir ins Kopfkissen sticken. Du bist nicht einfach nur ein Club, mit dir verbinden sich Lebensziele. Man möchte dich denen zeigen, die man am meisten liebt. Dich mit ihnen teilen. Ob das an dem ganzen Wohlwollen liegt, das durch diese Hallen wabert. Ist doch egal, wo es herkommt. Es muss ja irgendwo gesteckt haben in diesen Menschen. Gerade einer mit Daumen-hoch- oder Daumen-runter-Sozialisierten wie meiner Tochter muss das extrem anziehend vorkommen. So sagte sie es später auch, als wir über den Besuch sprachen, wir tun es übrigens immer wieder: „Da kann jeder sein, wie er möchte.“

Vor den Berghain-Klos bewies das Kind Flexibilität

Der Besuch auf den berühmt-berüchtigten Berghain-Klos machte mir schließlich klar: Meine 19-Jährige ist fit fürs Leben. Erst sagte sie, sie könne nur allein in so eine Kabine. Oder höchstens noch mit mir. Im Laufe des langen Wartens und Beobachtens wurde ihr klar: Das ist unmöglich. Im Berghain geht man in Gruppen auf die winzigen Toiletten, mit Leuten, die sich beim Anstehen treffen. Mit Leuten, die man nicht kennt. Zu fünft, zu sechst, sogar zu zehnt. Und das Kind bewies Flexibilität, war in der Lage umzuschwenken und sich mit fünf wildfremden Italienerinnen diesen Ort zu teilen. Wir pinkelten, die anderen präparierten weißes Pulver auf ihren Handydisplays. Nur die zwei Jungs, die mit hineingedrängt hatten, hatte ich dann doch abgewehrt: „My daughter is 19, you can’t go in with us.“ Sie fügten sich.

Stunden später, wieder draußen in der Berliner Nacht, sagte das Kind: „Ich bin die coolste Person der Welt.“ Ja, was denn sonst!

Auf dem Heimweg schimpfte ich über ihr kaputtes Rücklicht am Fahrrad. Im Berghain habe ich mir besser gefallen.

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