Technoparade

Tresor-Chef zu Loveparade Berlin: „Techno würde auch in Nordkorea funktionieren“

Am Sonnabend zieht wieder eine Technoparade durch Berlin. Tresor-Chef Dimitri Hegemann über die Lust auf große Feste in schweren Zeiten und die Macht der Musik.

Dimitri Hegemann in seinem Techno-Club Tresor in Berlin.
Dimitri Hegemann in seinem Techno-Club Tresor in Berlin.Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Wir erwischen Dimitri Hegemann am Vormittag im Auto. Er ist auf dem Weg zu seinem Club, dem Tresor. Zwar hat er keine Freisprechanlage, aber er kriegt es trotzdem hin, ein paar Fragen zu beantworten. Erst als er einparkt, müssen wir unterbrechen.

Lieber Herr Hegemann, freuen Sie sich auf die Loveparade am Sonnabend?

Die Freude ist anders als damals. Aber ich finde, das ist ein gutes Signal an die Welt, was da stattfindet. All die Kriegstreiber sollen mal verstehen, dass die Jugend mit dieser Kriegstreiberei nicht einverstanden ist. Dass dieses Signal wahrgenommen wird – dafür ist diese Parade ein gutes Tool. Sie macht den Autokraten und homophoben Kriegstreibern Angst! Denn das ist es,  was sie auch vernichten wollen: die Vielfalt der Gesellschaft! Die Buntheit unserer Welt! Das, was wir für wertvolle Errungenschaften halten: Freizügigkeit, Toleranz, Selbstbestimmung – das halten die Autokraten und Diktatoren für abartig und wollen es verbieten und vernichten. Auch dafür, für gesellschaftliche Vielfalt, Freiheit und Selbstbestimmung wollen wir am Sonnabend hier stehen. Auch dafür wollen wir ein Zeichen setzen. Ein starkes und sichtbares Zeichen. Die Welt braucht dieses Zeichen.

Waren Sie schon bei der ersten Parade 1989 dabei?

Ja. Ich war zwar nicht im Loveparade-Team, aber ich hatte damals das Ufo, diesen kleinen Club in Kreuzberg, und später war ich Mitbetreiber im Tresor an der Leipziger Straße. Das Wachstum damals von 200 Teilnehmern auf 1000 und irgendwann zu einer Million – das war schön anzusehen. Damals herrschte einfach eine große Euphorie in der Stadt. Die Loveparade war zwar unpolitisch im Kern, doch sie hatte eine ganz klare, eindeutige Message, die in den Bildern, die um die Welt gingen, unmissverständlich zum Ausdruck kam: Frieden, grenzenlose Freiheit und Toleranz. So sieht das aus, wenn die Jugend der Welt friedlich zusammenkommt, vereint in der Musik, im Feiern, im Spaß am Leben. Ohne Hass, ohne Krieg, ohne Gewalt. Dies war die beeindruckende Message der frühen Loveparades. Ich bin froh, ja sogar stolz, das miterlebt zu haben und ein Teil dieser Geschichte zu sein.

Sie haben als Betreiber des Tresors unheimlich viel für die musikalische Verbindung Berlin–Detroit getan, die Technomusik von dort nach Berlin geholt. Warum?

Dieser Sound, der in Michigan, in Detroit entwickelt worden war, kam rechtzeitig als Soundtrack zur Wiedervereinigung nach Berlin. Techno transportiert keine Nachricht, keine Message, verzichtet auf Text und Melodie, steht einfach für Innovation. Jeder konnte diese Soundgebilde konstruieren und auf einen Beat legen. Diese Monotonie war natürlich ein Knaller, der viele erreicht hat. Auch die Jugend in den Ostblockstaaten.

Die Route der Loveparade
Die Route der LoveparadeBLZ

Wäre das ohne den Mauerfall möglich gewesen?

Nein. Durch das historische Ereignis, den Mauerfall, waren die Menschen bereit für etwas Neues. Dazu kommt die Party in den dunklen Kellerräumen und mit diesem akustischen Narkotikum. Das war wirklich was Neues, das Zusammenkommen, diese Befreiung, keine Autoritäten erleben zu müssen. Berlin hatte das Glück, keine Sperrstunde zu haben. Das war wesentlich für diese Entwicklung. Und heute können wir sagen: Die Entstehung dieser Nachtkultur ist zu einem Standortfaktor für Berlin geworden.

Aber heute schwinden die Räume für die Nachtkultur, oder?

Nicht nur das. Die Welt geht halb unter, wir haben überall Probleme: der Krieg, Energieprobleme, knappe Impfmittel, das Geld. Aber deshalb müssen wir ja auf die Straße gehen.

Sie werden ja auf der Parade eine Rede halten. Was werden Sie denn sagen?

Dass ich dankbar bin, dass ich in einem Land aufwachsen konnte, in dem ich keinen Krieg erlebt habe. Und jetzt steht der vor unserer Haustür. Deshalb müssen wir das Signal für den Frieden setzen.

Haben Sie sofort zugesagt, als Sie gefragt wurden?

Ich habe kurz überlegt. Aber für mich zählt, dass ich da über Techno und über Frieden reden kann. Die Techno-Community hat ein unglaublich friedliches Potenzial in sich. Anders als andere Musikformen.

Können Sie die Leute verstehen, die sagen, wir können angesichts des Kriegs nicht auf der Straße tanzen?

Nein. Diese Parade hat immer Menschen aus der ganzen Welt versammelt, die die Sehnsucht hatten, die Freiheit zu feiern.

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Paulus Ponizak
Zur Person
Dimitri Hegemann ist 1954 in Werl, Nordrhein-Westfalen geboren und kam 1978 nach West-Berlin. In Kreuzberg betrieb er das Fischbüro und das Ufo, im Sommer 1990 entdeckte er die Räume an der Leipziger Straße in Ost-Berlin, aus denen 1991 der Club Tresor wurde, bald einer der bekanntesten Clubs der Welt. Der Tresorraum des einstigen Wertheim-Kaufhauses gab ihm den Namen.

Mit Tresor Records entstand gleichzeitig ein Musiklabel im Bereich Techno. 2007 musste der Tresor in das stillgelegte Heizkraftwerk an der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte umziehen. Die Baracke an der Leipziger Straße 126a wurde abgerissen. Jetzt steht dort ein Bürogebäude.

Ich hätte nicht gedacht, dass es in Berlin nochmal eine Loveparade geben wird.

Die heißt ja auch nicht Loveparade, die heißt Rave the Planet. Das ist auch eine absurde Geschichte.

Erzählen Sie.

Die darf nicht Loveparade heißen, weil die Leute, die die Loveparade damals betrieben haben, das Markenzeichen an einen Herrn von der Fitnesskette verkauft haben. Sie wird nicht mehr so sein wie damals. Damals herrschte einfach eine große Euphorie in der Stadt. Es gab auch kaum Kontrollen. Die Stadt hat zugelassen, dass sich die Clublandschaft leise, aber stark so entwickeln konnte, weil sie einfach keine Zeit hatte, sich um irgendwelche Verbote zu kümmern.

Ist nach Techno noch etwas an wirklich neuer Musik gekommen?

Es ist schon noch was gekommen, aber es hat sich nicht durchgesetzt. Techno ist nicht nur Musik, das ist eine Haltung. Techno wird vor allem auf Partys wahrgenommen, in diesen Begegnungsräumen der Nacht. Das hat die Leute in der ganzen Welt erreicht. Und alle haben ihre Ideen mit nach Berlin gebracht. Ich glaube, der Spirit von damals ist noch da. Die Leute wollen sich treffen, sie wollen sich umarmen, sie wollen tanzen. Dancing ist besser als Marching. Das würde auch auf dem Platz des Himmlischen Friedens funktionieren oder in Pjöngjang, der Hauptstadt von Nordkorea. Die jungen Menschen möchten lieber tanzen, keiner will freiwillig sterben. Schau mal, da müssen 20-jährige Jungs aus den Dörfern ihr Leben opfern, die noch nie jemandem einen Kuss geben konnten. Und den Leuten, die dafür verantwortlich sind, müssen wir zeigen, dass wir das nicht wollen.