Kommentar

Bumm-Bumm für Boomer: Warum eine neue Loveparade keine gute Idee ist

Unter dem Motto „Rave the Planet“ findet am Sonnabend eine Neuauflage der Loveparade statt: Ein aus der Zeit gefallenes Technofest für 90er-Jahre-Nostalgiker.

Da war's schon ein Fest für die Massen: die Loveparade im Sommer 2001 auf der Straße des 17. Juni
Da war's schon ein Fest für die Massen: die Loveparade im Sommer 2001 auf der Straße des 17. JuniBerliner Zeitung/Markus Wächter

Man kann Matthias Roeingh eigentlich gar nicht genug würdigen, denn Berlin hat dem Mann, der unter seinem Künstlernamen „Dr. Motte“ weltberühmt wurde, sicherlich einen Großteil seines Images als weltoffene und jugendfreundliche Metropole zu verdanken.

Dr. Mottes Loveparade machte nicht nur mit den steifen 80ern Schluss, sondern auch mit dem Bild von Berlin als grauer Mauerstadt mit Hinterhofcharme und Außenklo. Die erste Loveparade zog 1989 unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ vom Bahnhof Zoo über den Kudamm in Richtung Olivaer Platz, und was danach folgte, ist bis heute der Traum einer jeden Agentur für Stadtmarketing. Quasi von selbst wurde die Loveparade zu einem Straßenfestival, das innerhalb weniger Jahre Hunderttausende anzog.

Ein großer, bunter, vollkommen hedonistischer Spaß

Weltweit berichteten Medien über das Technofest: Das waren die Sommer der Liebe und Berlin ihre neue, bunte Hauptstadt. Der Kalte Krieg war endlich vorbei, Deutschland vereint, und wenigstens für einen Samstag im Sommer waren alle Probleme vergessen, wenn Raver und Raverinnen im 120-bpm-Takt in bunten Klamotten und auf bunten Drogen den Kudamm zum Sound von DJ Tanith, Motte und Westbam entlangtanzten. Am Rand stand verständnislos das West-Berliner Bürgertum und fragte sich, was passiert war. Natürlich nur in Gedanken, zum Reden war es viel zu laut.

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Von Anne Vorbringer, Manuel Almeida Vergara

09.07.2022

Das Ganze war ein großer, freundlicher, vollkommen hedonistischer Spaß, eine Riesenparty und eine Absage an die Ära Kohl, an westdeutsches, dann gesamtdeutsches Spießertum, eine Möglichkeit für alle Jugendlichen aus Ost und West, gemeinsam das zu tun, was Jugendliche eben tun und tun sollten: feiern und das Leben genießen.

Aber wie das eben so ist im Kapitalismus, wurde aus dem kleinen Fest einer Subkultur zügig eine Großveranstaltung mit Marketing und Merchandise. Aus den 150 Ravern, die den damals piefigen Kudamm entlangtanzten, wurden – man kann es sich heute kaum noch vorstellen – 1,5 Millionen Feierfreudige, die Mitte der 90er den Tiergarten zerlegten. Aus der Loveparade war ein Techno-Volksfest geworden. Schon damals hatte der Mega-Rave jeden anarchistischen Charme und auch jeden ursprünglichen Anspruch verloren.

Techno war da längst in der Mitte der gesamtdeutschen Gesellschaft angekommen, bestimmte die Charts und die Mode bei H&M und machte Berlin zu einem  Hofbräuhaus mit Hardcore-Beschallung. Und das in Preußen, von wo aus man ja gerne auf ähnliche Sausen wie das Oktoberfest herablächelt. Was folgte, war der Ausverkauf, die Aberkennung des Demonstrationsstatus und die Insolvenz der Veranstalter um Dr. Motte. Der spätere Hauptsponsor, die Billig-Fitnesskette McFit und ihr Besitzer und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller, verlegten die Parade in den Ruhrpott.

Naiver Gedanke

2010 kam es dann bei der Loveparade in Duisburg auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs zu einem Gedränge, bei dem 21 Menschen starben und 652 verletzt wurden, darunter 40 schwer. Ende Juli 2010 teilte Schaller mit, dass die Loveparade nicht mehr fortgeführt werde. Ein tragisches Ende für eine Veranstaltung, die den Zenit ihrer schönen Idee da längst überschritten hatte.

Jetzt will Dr. Motte die Loveparade wiederbeleben und am kommenden Wochenende unter dem Motto „Together Again“ ab 14 Uhr als „Rave the Planet Parade“ stattfinden lassen. Angemeldet ist das Ganze wie in guten alten Zeiten als politische Demonstration zur „Anerkennung & Erhalt der elektronischen Tanzmusikkultur als kulturelle Leistung“. Das alles klingt so sehr nach den 90ern, so sehr nach einer Bumm-Bumm-Party für Boomer und ist so weit entfernt von den Dingen, die die Menschen aktuell bewegen – der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel, die übelste Inflation seit 30 Jahren –, dass man sich des Gefühls nicht erwehren kann, die Veranstalter hätten von all dem nichts mitbekommen.

Gegen schlechte Zeiten anzufeiern hat in Berlin Tradition,  aber eine verordnete Party mit Datum und der Ansage, man müsse nach zwei Jahren Pandemie und aktuell einem Krieg in der Ukraine mit einer Parade das „Gute stärken“, das ist einfach nur naiv.