Der Sonntag war vermutlich nach dem Geschmack von Bundeskanzler Olaf Scholz. In Paris wurde die deutsch-französische Freundschaft gefeiert, mit vielen Absichtserklärungen und wenig konkreten Aussagen. Mit dabei: das Kabinett und eine erhebliche Anzahl von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen. Der Parteichef Lars Klingbeil war zu Hause gelassen worden, weshalb er am Abend ranmusste, um in der Talkshow von Anne Will den Experten und der ganzen Nation mal wieder den Kanzler zu erklären. Kleiner Spoiler dazu: Es gelang nicht so recht. Und Klingbeil sah auch nicht gerade aus, als habe er Spaß dabei.
Wie auch? Drei Tage nach der Konferenz von Ramstein rätseln Deutschland und vermutlich die meisten internationalen Verbündeten, wie das schon wieder passieren konnte. 50 Nationen am Tisch und die Bundesrepublik windet sich raus aus der Entscheidung, ob denn nun die in Deutschland gebauten Kampfpanzer Leopard in die Ukraine geschickt werden oder nicht.
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte das im Vorab-Einzelinterview mit Anne Will mit der Geschmeidigkeit des langjährigen Genossen und Scholz-Vertrauten. Die Devise lautet dabei mittlerweile so: keine direkte Antwort auf direkte Fragen, die Nichtentscheidung in der Panzerfrage aber stabil nach vorne verteidigen. Anne Will nahm Pistorius wegen seines Prüfauftrages in die Zange. Wie könne es sein, fragte sie, dass man nach fast einem Jahr Krieg nicht wisse, wie viele Leopard-Panzer die Bundesrepublik im Einsatz hat?
Pistorius verwies darauf, dass sein Auftrag ans eigene Haus „wesentlich detaillierter“ sei. Man brauche eine Handlungsgrundlage, wolle abgestimmt vorgehen, mit allen Partnern natürlich, kein Alleingang, Sie wissen schon. In den bundesdeutschen Wohnzimmern überlegten die Ersten vermutlich, ob man nicht mal früh ins Bett gehen sollte.
Will setzte nach: Habe man nun seit Monaten diskutiert, ohne eine genaue Faktenbasis zu haben? Pistorius jetzt mit eingesprungener Pirouette: „Eine Faktenlage ist ja nichts Statisches“, erklärte er. Von der Verstimmung der amerikanischen Bündnispartner, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, wusste der neue Verteidigungsminister angeblich nichts, hielt es aber für zweitrangig. Und noch mal: „Am Ende geht es um ein abgestimmtes Verfahren.“
Blöd für Klingbeil: Er konnte dazu im weiteren Verlauf der Talkshow auch nichts anderes sagen. Deutschland liefere ja bereits und das nicht zu knapp, wandte er ein und versicherte erneut das, was er seit Monaten sagt, nämlich, dass es für ihn, den SPD-Chef, „keine roten Linien“ gebe bei der Waffenlieferung. Damit wäre dann dieses Stichwort auch abgehakt.
In der Debatte gibt es viele überschlagene Töne und teilweise auch persönliche Verletzungen.
Klingbeil beschwerte sich über die emotionale Debatte, die er aus der Sicht der Ukraine zwar verstehe, aber das seien hier teilweise schon „überschlagene Töne und teilweise auch persönliche Verletzungen“. Damit meinte er sicherlich die renitente FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die als Mitglied im Verein für deutliche Aussprache schon am Donnerstag erklärt hatte, dass die Regierung im Ramstein versagt habe.
Auf Twitter wird es zu diesem Zeitpunkt hämisch. „Wir haben nie ein Nein gesagt“, wandte Klingbeil dann noch ein, was die Friedens- und Konfliktforscher Nicole Deitelhoff bestätigt. Sie habe auch kein Nein gehört, erzählte sie.
Leider hat die gesamte Bundesrepublik aber auch noch kein Ja gehört. Oder irgendwas anderes Konkretes zum Thema Panzerlieferungen. Wir wissen nur, dass die Sache wohl im Kanzleramt entschieden wird. Wann und wie? Unklar. Dem Kanzler ist es nicht so richtig gegeben, mal etwas zu erklären. Er sagt halt Bescheid, wenn es was mitzuteilen gibt. Mangelnde Transparenz, auch das eine wohlbekannte Klage, die an diesem Sonntagabend mal wieder zu hören war.
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel klang teilweise fast schon frustriert. „Der Krieg geht jetzt schon fast ein Jahr“, sagte er. „Da erwarte ich schon, dass im Kanzleramt auch vorgedacht wird. Wie kann es sein, dass man jetzt immer noch abwägen muss?“ Er warnte davor, die Kriegslage in der Ukraine zu positiv zu sehen. „Wir unterschätzen die Russen.“
Der CDU-Außenpolitiker und ehemalige Oberst der Bundeswehr Roderich Kiesewetter hält die Lieferung der Panzer auch für eine Maßnahme, das Überleben der Soldaten zu sichern. Das ist in den Panzern russischer Bauart, die sie jetzt größtenteils noch haben, nämlich nicht gesichert. „Wir verlieren Zeit“, mahnte er und auch, dass der neue Verteidigungsminister den Eindruck des Zauderns der deutschen Regierung nun zerstreuen muss. Die Union habe in der vergangenen Woche im Bundestag erneut einen Antrag auf Lieferungen von Panzern gestellt, sagte er. „Der wird dann in die Ausschüsse verwiesen und dort immer wieder von der Tagesordnung genommen, weil die Bundesregierung sich nicht einig ist.“ Politischer Alltag in Deutschland.




