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Sarah Connor in der Waldbühne: „Ich hab mir Sauereien für euch einfallen lassen“

Sarah Connor hat ihr Sommerkonzert in der Waldbühne gespielt. Ihr Outfit? Wie beim Playboy-Fotoshoot. Der Steg? Rutschig vom Regen. Schlimm? Wir waren vorne dabei.

Sarah Connor am 25. August in der Berliner Waldbühne
Sarah Connor am 25. August in der Berliner WaldbühneBenjamin Pritzkuleit

Die Wolken über der Waldbühne sind dramatisch beschienen vom intensiv-orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne, fast so wie auf einem der romantischen Seestück-Gemälde William Turners. Die 25-Grad-Hitze kurz vor halb neun abends: toskanaschwül, aber mit mediterraner Brise. Eigentlich war Regen gemeldet, je nach Wetter-App sogar Gewitter. Aber keine Sorge! Zur Not kann man hier an der Waldbühne auch an diesem Freitagabend Regen-Ponchos kaufen für gerade mal vier Euro. Spottpreis! Der Liter Bier kostet das Vierfache: 16,50 Euro der Eimer. „Aber da sind drei Euro Pfand mit drin“, versichert die Verkäuferin beschwichtigend. Na dann!

Wozu auch geizen, nun da man sich eh schon das Ticket gegönnt hat. Vielleicht ja für 70 Euro an der Abendkasse, für einen der wenigen noch freien Plätze in der Waldbühne. Die meisten der 22.000 Menschen im Publikum haben wohl sogar schon vorher zugeschlagen. Sarah Connor gibt ihr Heimspiel. Die einzige Frau der Welt an der Schnittstelle von Mariah Carey und Helene Fischer. In Block B rechts vor der Bühne schwingt man eifrig Regenbogen-Leuchtstäben, als das Klavier einen Boogie anstimmt und dann Dire-Straits-Drama-Gitarren aufmucken.

Der Vorhang gibt den Blick auf die Waldbühne frei. Sarah Connor trägt ihren Cowboy-Hut fast so, als wäre sie auf einer „Brokeback Mountain“-Mottoparty. Ihr sehr kurzer Jeansrock und ihre aus hauchdünnem weißen Stoff genähte weiße Hochsommerbluse mit extremem Dekolleté lassen, zumal ob der eifrig wirbelnden Windmaschinen, aber eher an ein Playboy-Fotoshoot denken. Das Publikum klatscht wie im Fernsehgarten, offenbar braucht es dazu nicht mal das ZDF. Sarah Connors Opener „Halt mich“ reicht völlig aus, ein Song von ihrem Album „Muttersprache“. Die Platte, mit der Connor 2015 ihre Karriere riskant umgekrempelt hat: nicht mehr auf deutsche R&B-Mariah-Carey machen, sondern tatsächlich auf Deutsch, ja, titelgebend in der Muttersprache singen. Schlager sozusagen. Aber mit der Connor’schen Soul-Stimme.

„Du bist die Hölle“ singt Connor höllisch verliebt in „Deutsches Liebeslied“, drei backgroundsingende Tänzerinnen und auch einen Tänzer zur Linken vor ihrer großen Tour-Band: Zwei Schlagzeuger hat Connor (nebst Gitarren, Bass und Keys) mit dabei, fast so verschwenderisch wie kürzlich auch Elton John in der Benz-Arena. Connors Song, das deutsche Liebeslied, handelt davon, dass Connor das T-Shirt des lyrischen Du, quasi von uns, anzieht, wenn sie sich ganz alleine fühlt. Ein Text süßer als die Weingummi-Delfine, die oben auf dem Umlauf in einer der Essensbuden feilgeboten werden. Eine Alternative zu Pommes-Majo und der hier beliebten Weißweinschorle auf Eis.

Ein erstes Soul-Röhren klingt an im „Deutschen Liebeslied“, ja, Connor faucht auf wie eine entfesselte Tigerin, als sie die Zeilen intoniert: „Ich drehe durch, wenn du da warst / Und mein Universum explodiert, oh.“ Oh! Dann zwirbelt sie sich mit den Fingern durchs güldene bis strohblonde Haar. Jetzt sollen nur die „Mädels“ singen, mahnt Connor. Und jetzt nur die Jungs! Etwas binär, aber Schwamm drüber. Hinterrücks gospelt der Chor ab. „Es ist einfach das Allerkrasseste, hier in der Waldbühne“, weiß Connor das Hauptstadt-Publikum zu bauchpinseln.

Um 20.58 Uhr müssen dann doch die Ponchos herhalten, seien sie nun transparent, rot oder grün. Regen, soft wie Soft-SM, stellt sich ein. Gut, zumal man sich hier an der Waldbühne bei trockenem Wetter leicht das Schuhwerk staubig läuft. Passenderweise gibt Sarah Connor just in dem Moment ihr „Anorak“-Lied zum Besten, so als würden ihr selbst die Regengötter an den Lippen hängen: „Wann hast du den Regen / zum letzten Mal gefühlt?“

Sehr, sehr glatt auf dem Steg

„Schöner Regen für euch!“, kommentiert Connor den einsetzenden Regenreigen an der Waldbühne, so als hätte sie ihn eigenhändig nur für uns bei Lieferando geordert, easy wie Büffel-Mozzarella-Pizza. Im Publikum strahlt man sich gegenseitig an, als wäre man auf zwei Joints drauf, bloß ohne Joints. Die Connor’sche Präsenz reicht völlig raus. „Es ist sehr, sehr glatt auf dem Steg“, analysiert Connor indes den Bühnen-Catwalk, auf dem sie dessen ungeachtet weiter unerschrocken auf- und abschreitet. „Es könnte ein Malheur passieren!“ Das würde man dann morgen wohl auf TikTok sehen“, prophezeit Connor. Egal! „Ich hab mir ein, zwei Sauereien für euch einfallen lassen“, teasert Connor weiter.

Ob zu den Sauereien wohl auch jener Genre-Sprung gehört? „Jetzt ist Jazz“, verkündet Connor. Und dann befördert sie ihren 22 Jahre jungen Saxofonisten Jakob Manz ganz vorne auf die Bühne. Übrigens sei auch ihr Bassist gerade mal 24, so Connor. „Ich mag sie halt jung und knackig“, gesteht sie der Menschenmenge, laut lachend. Oh, jetzt habe sie die falsche Strophe gesungen, egal. Saxofonist Manz pustet derweil los wie Kuscheljazzer Kenny G. Dann gibt’s „Miss Celie’s Blues“, eine jazzige Ballade aus Steven Spielbergs „Die Farbe Lila“, einem Lieblingsfilm von Sarah Connor.

Coaching von der Hobby-Paartherapeutin

„Ihr Süßen, habt ihr Lust, dass wir ne kleine Zeitreise machen“, fragt Connor, und es ist genau genommen keine Frage. Genauso wenig wie bei der nächsten „Frage“: „Könntet ihr einmal den Steg abdingsen?“ Drei Männer vom Waldbühnenpersonal eilen mit Wischmops herbei und säubern den Catwalk vom Regenwasser. Connor will wissen, wer heute Abend Mädelsabend macht (sehr viele), und sie gibt dann auch den Männern einen Beziehungs-Coach-Ratschlag: bloß nicht dazwischenquatschen. „Wir wollen nur reden und dann keinen Rat.“ So der Rat von Hobby-Paartherapeutin Connor. Sie weiß, wo der Hase im Pfeffer tanzt. „Hier ist meine Row Zero, hier vorne“, stachelt sie die Tanzenden ganz vorne an. Quasi im Bereich, den man bei Rammstein Feuerzone nennen würde, aber Connor zündet heute Nacht kein Grill-Feuerwerk.

Stattdessen gibt’s die Zeitreise! Connor, seit Mitte der Zehnerjahre weitgehend auf ihr deutschsprachiges Liedgut umgeschwenkt, gibt „French Kissing“ und in einem Medley verbunden auch ihren 2001er-Nr.-2-Hit „Let’s Get Back to Bed – Boy!“ zum Besten, eine Disco-R&B-Hymne aufs erotische Chillen zwischen den Laken, nebst „Bounce“ und „From Zero to Hero“. Der große Sarah-Signatursong „From Sarah With Love“ wird indes schmerzlich vermisst. Vermutlich hängt die Ballade Connor selbst zu den Ohren raus?

Derweil treffen wir Michi und Lene, ein Frauenpaar im Publikum, das miteinander Händchen hält. An Sarah Connor lieben sie, so sagen sie, auch, dass die Klartext redet. (Die deutsche Sprache in den Songs wurde schließlich für Connor nie zum Karriere-Killer, nein, chartstechnisch funktionierte das extrem gut. Und auch ihre frechen Sprüche lieben ihre Ultras, auch hier in der Waldbühne.) Deshalb sehnen Michi und Lene den „Vincent“-Song herbei. „Auch, weil wir Regenboden-Mädels sind“, sagen sie.  „Vincent“ also, jener Song von Connors zweitem deutschsprachigen Album „Herz Kraft Werke“ (2019), der mitunter von Radiostationen zensiert wurde, wegen der „anstößigen“ ersten Zeile, in der Connor kundtut, dass Vincent keinen hochkriegt, wenn er an Mädchen denkt.

Der eigentliche Skandal des Songs ist aber, bei genauerer Betrachtung, die zweite Zeile: „Er hat es oft versucht und sich echt angestrengt.“ Vincent hat sich angestrengt, bei Mädchen einen hochzubekommen. Wieso? Weil die sozialen Normen brutalst weit ins Intimste hineinwirken. Das große Thema des französischen Soziologen Didier Eribon und, mehr noch, der Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux. Connors Song (den sie gemeinsam mit den schwulen Rosenstolz-Songwritern Peter Plate und Ulf Leo Sommer geschrieben hat) ist nun nicht eben nobelpreisverdächtig, aber doch ein Maximum an Queerness für das deutsche Konsensradio 2019. Tatsächlich spielt Connor den Song auch bald am Freitagabend auf der Waldbühne, aber unzensiert. „Haben wir noch einen?“ Ja, „Vincent“! Die Regenbogen-Flagge, die man Connor aus der Row Zero reicht, nimmt sie offenbar dankbar auf und macht sie sich zum Symbol-Schal.

Aber nicht nur fürs queere Publikum hat Sarah Connor ein Herz, sondern auch für ihre jüngste Schwester Valentina, die heute zugegen ist, wie wir von Connor erfahren, nebst dem Fakt, dass Valentina eine Berghain-Gängerin sei. Und Valentina hat sich von ihr „Halo“ von Beyoncé gewünscht. Den Heiligenschein. Also macht Connor die Beyoncé. Wer vorher über dem Gedanken gegrübelt hat, ob Connor „From Sarah With Love“ vielleicht einfach stimmlich nicht mehr packen würde, der wird eines Besseren belehrt: Die Connor’sche Stimme ist in Topform.

Auch die Polizisten mit silbermeliertem Haar und Knarre auf dem Waldbühnen-Umlauf wippen rhythmisch mit. Der Freund (oder Lover?) der Brezelverkäuferin umschlingt sie zärtlich. Und auch Felix, 15, und sein Papa Ole, die für heute Abend extra aus Leipzig angekurvt sind, schauen einander begeistert an. Kurz vor 23 Uhr muss Connor dennoch mal zum Ende kommen. „Da sind so Nachbarn, die ham keine Lust auf Sarah Connor nach 23 Uhr. Aber auf Grönemeyer oder Sting auch nicht.“ Ach, man solle einfach wiederkommen am 3. Dezember zum Connor-Auftritt in der Benz-Arena. Ob sie dann wohl mit „From Sarah With Love“ auftrumpft? Die Zeitreise-Willigen in Row Zero, die würden sich vermutlich freuen.