Als Bob Dylan sich im Herbst 1973 mit einer Handvoll neuer Songs ins Studio zurückzog, legte er nicht allzu viel Wert auf geschliffene Produktionsbedingungen. Den rauen, wie hingehuscht wirkenden Sound spiegelt bereits das Cover des Albums „Planet Waves“ wider, auf dem eine flüchtige Zeichnung Dylans abgebildet ist. Robbie Robertsons kantiges Gitarrenspiel prägt dieses Album allerdings ebenso sehr wie die minimalistisch-intensiven Songs, darunter gleich zwei Versionen des Dylan-Klassikers „Forever Young“. Für Dylan war er, was auch immer das heißen mag, ein mathematisches Genie an der Gitarre.
Erstmals begegnet waren die beiden sich Mitte der 60er-Jahre, Robertson war für einige Jahre Gitarrist des Sängers Ronnie Hawkins und dessen Band The Hawks. Der direkte, zwischen Folk und Countryrock changierende Sound der Hawks und späteren The Band, zu der Levon Helm, Garth Hudson, Rick Danko und Richard Manuel gehörten, führte Dylan zurück zu seinen Anfängen als Hillbilly-Musiker. Für die von Pete Seeger angeleitete puristische Folkszene war es ein Schock, als Dylan, begleitet von den ehemaligen Hawks, 1965 beim Newport Folk Festival auftrat und sie die ehrwürdige Zusammenkunft buchstäblich unter Strom setzten. Zwar hatte die Folk-Ikone Joan Baez bei Plattenaufnahmen schon elektrisch verstärkte Gitarren eingesetzt, für das Lagerfeuer-Gefühl der Liedermacher aber stellte es einen schlimmen Kulturbruch dar, wie fortan an den Reglern gedreht wurde.
Das Lebensgefühl des amerikanischen Südens
Das nächste Stück Popgeschichte schrieben Dylan und The Band zwei Jahre darauf. Nach einer aufreibenden Tournee und einem Motorradunfall hatte Dylan sich zunächst ins Private zurückgezogen. Robertson und The Band waren unterdessen in ein Haus in der Nähe von Woodstock gezogen, wo sie ziellos einen draufmachten und probten. Anfangs sporadisch, später häufiger stieß auch der ganz in der Nähe mit seiner Frau Sara lebende Dylan dazu, und es entstanden die legendären „Basement Tapes“ mit Songs wie „Quinn, The Eskimo“, „I Shall Be Released“ und „Wheels On Fire“.
Robbie Robertson war aber nicht nur zum Feiern und Gitarrespielen dabei. Nachts schrieb er an eigenen Songs, darunter den Hit „The Weight“, der auf „Music From The Big Pink“ im Mittelpunkt steht, dem Debütalbum von The Band. Jahre später kam es zu Streitigkeiten, weil Robertson die meisten Songs der Band komponiert hatte und auch die Urheberrechte dafür beanspruchte. In der Geschichte der populären Musik gilt das musikalische Drifting zwischen verschiedenen Liedtraditionen, das in dem The Big Pink genannten Haus praktiziert wurde, als wichtiges Puzzleteil zur Entstehung der sogenannten Americana-Bewegung.
Eine besondere Binnengeschichte der Populärkultur stellen die Hintergründe von Robertsons Song „The Night They Drove Old Dixie Down“ dar. In dem Stück geht es nicht zuletzt um Robert E. Lee, ein General der Konföderierten Armee des Amerikanischen Bürgerkriegs, der die Nord-Virginia-Armee befehligte und als Verfechter der Beibehaltung der Sklaverei galt. Lee ist eine im amerikanischen Süden von einigen mythisch verehrte Figur, in der sich der Urkonflikt der USA auf unversöhnliche Weise bis heute spiegelt. Erst 2019 kam es in Charlottesville, Virginia, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich einer Demonstration gegen ein Reiterdenkmal für Robert E. Lee.
Dem gebürtigen Kanadier Robbie Robertson war seinerzeit allerdings nicht an melancholischer Geschichtsklitterung gelegen. Vielmehr war er bemüht, das Lebensgefühl seines aus Arkansas stammenden Bandkollegen Levon Helm zu treffen. Vermutlich war es gerade dieser indirekte, gleichwohl emotionale Zugang, der das Stück zu einem kanonischen Lied werden ließ. In ihm drückt sich ein Einheitsbedürfnis aus, von dem auch die linke amerikanische Bürgerrechtsbewegung beseelt zu sein schien. Kurioserweise gestand Joan Baez, deren Version des Liedes zu einem Welthit wurde, dass sie den Text gar nicht im Original kannte, sondern spontan nach Gehör nachgesungen habe.
Musik für viele Scorsese-Filme
Robbie Robertson wurde 1943 in Toronto als Sohn eines jüdischen Vaters – der bereits vor seiner Geburt starb – und einer indigenen Mohawk-Kanadierin geboren. Diskriminierungen habe er jedoch nie als „Judenjunge“ erlebt, bekannte Robertson, sehr wohl aber als „red boy“. In dem Film „Rumble: The Indians Who Rocked The World“ gibt Robertson neben Buffy Sainte-Marie und anderen Auskunft über die Rolle von Musikern indigener Herkunft in der Popkultur.
Wiederholt hat Robertson Filmmusiken für Martin Scorsese geschrieben, u.a. für „Wie ein wilder Stier“, „Die Farbe des Geldes“ und „The Irishman“. Als Meilenstein des Musikfilms gilt das von Scorsese gefilmte Abschiedskonzert von The Band im Jahre 1976, das als „The Last Waltz“ in die Kinos kam. Die Freundschaft zwischen dem 2012 gestorbenen Levon Helm und Robertson hatte da allerdings Risse bekommen. Er kritisierte die Fokussierung des Films auf Robertson und die Degradierung der anderen zu „Hilfsarbeitern“.




