Der Sturmvogel Albatros mit seinen mächtigen Schwingen hat schon viele Künstler inspiriert. Im Pop entstanden zwei ganz besondere Songs: 1968 schrieb Gitarrist Peter Green für Fleetwood Mac sein unsterbliches, schwebendes Instrumental. Elf Jahre später ließ die Berliner Band Karat auf dem Album „Über sieben Brücken“ ihren Albatross steigen. Keyboarder Ulrich Swillms, der „Ed“ genannt wurde, fand eine eigenartige Tonfolge auf dem Synthesizer, spielte Streicher dazu, sang beim Komponieren eine Melodie, bevor er noch ein mächtiges zweistimmiges Gitarrenthema im Mittelteil einwob. Dazu ließ der Text aufhorchen.
Denn Herbert Dreilich besang hier einen Vogel, der mit seinem Freiheitswillen alle Schlösser und Riegel, alle Fesseln und Ketten sprengt – „Gefangenschaft heißt für ihn Tod“. Laut Karat-Gitarrist Bernd Römer ging der Text von Norbert Kaiser bei den DDR-Kulturbehörden nur durch, weil er als Anklang an Pablo Nerudas Ode vom „Gemordeten Albatros“ gehört werden konnte; Solidarität mit den Sozialisten in Chile war damals ein großes Thema im DDR-Rock. Der Song hat bis heute nichts von seiner Kraft verloren, passte mit seinen mehr als acht Minuten Spieldauer aber nicht ins Radio, anders als Titel wie „König der Welt“, „Über sieben Brücken“, „Gewitterregen“, „Schwanenkönig“, „Der Blaue Planet“ oder „Jede Stunde“ – allesamt Karat-Hits jener Jahre, alle komponiert von Ed Swillms.
Der Musiker, 1947 in Berlin geboren, hatte schon ab 1962 die Spezialklasse der Hochschule für Musik besucht, studierte Cello und Klavier. Doch kurz vor dem Abschluss packte ihn der Pop. Swillms spielte in den Semesterferien am Klavier Soulmusik in Bars. Er stieg bei der Band Die Alexanders ein. Eine frühe, nur im Fernseharchiv erhaltene Aufnahme zeigt schon 1970, wohin seine musikalische Reise gehen würde: Im Instrumentalstück „Kloster Chorin“ spielte er Cembalo und Orgel; Herbert Dreilich steuerte ein jazziges Gitarrensolo bei. Beide Musiker spielten bei der Jazzrock-Gruppe Panta Rhei weiter zusammen. Von Swillms stammt das programmatische „Alles fließt“ – eine soulige Progrock-Nummer, die auch von Colosseum oder King Crimson hätte stammen können.
Als der Zuspruch zu vertrackten Klängen nachließ, fanden sich Dreilich und Swillms ab 1975 bei Karat wieder zusammen. Die elegisch-schwärmerischen Keyboard-Klänge von Swillms, die weiche Stimme von Herbert Dreilich und die metaphernreichen Texte von Norbert Kaiser ergaben einen Dreiklang, der Karat zur erfolgreichsten DDR-Band jener Jahre machte. Ihre erfolgreichste Nummer, „Über sieben Brücken musst du geh'n“, war als Begleitung eines gleichnamigen Fernsehfilms entstanden und von Helmut Richter getextet worden. Karat hatten das Stück frühmorgens in einem Übertragungswagen des DDR-Rundfunks aufgenommen. Das Cover von Peter Maffay baute ihnen die Brücken gen Westen – Karat verkauften Millionen Alben, spielten in der Waldbühne und gastierten bei „Wetten, dass ..?“. Ihre Alben spielten der DDR so viele Devisen ein, dass sich der Druck auf die Band erhöhte. Karat sollten möglichst alle zwei Jahre ein neues Album abliefern.
Nach 1986 gab es keine Komposition mehr von Ed Swillms zu hören
Der klassisch geschulte Ed Swillms, der sehr penibel arbeitete und ausgefeilte Partituren seiner Stücke schrieb, konnte und wollte keine Einfälle erzwingen. Er zeigte sich zudem genervt vom Tourstress mit den gefühlt endlosen Autofahrten und den billigen Hotelzimmern. Damit er in Ruhe komponieren konnte, stieg er live immer öfter aus. Karat engagierte zusätzliche Keyboarder – und zwar Hochkaräter wie Thomas Natschinski und Thomas Kurzhals, die auch Eigenes beisteuerten. Bis zum fünften Studioalbum „Die sieben Wunder der Welt“ 1984 aber stammten fast alle Kompositionen von Swillms – darunter alle wesentlichen Stücke, von denen die Band bis heute zehrt. Seit 1987 galt er aber nicht mehr als Mitglied von Karat – ohnehin hatte die Band damals stark an Bedeutung verloren. Denn schwelgerische Lieder über sterbende Schwäne passten kaum noch in die Zeit – Pankow, Silly oder City hatten da Schärferes zu bieten.
Warum es nach 1986 keine Komposition dieses hochbegabten Mannes mehr zu hören gab, gehört zu den Rätseln des ostdeutschen Pop. Swillms selbst erklärte in den raren Interviews, er wolle lieber zu englischen Texten komponieren und interessiere sich mehr für Blues und Soul. Doch angedachte Kooperationen, etwa mit der Soulsängerin Coco Fletcher, kamen nie zustande. Live war er gelegentlich zu erleben, etwa mit der Jonathan Blues Band, ab 2005 auch als Gast bei Karat – stets umjubelt, denn die Fans wussten genau, wem sie all die Hits zu verdanken hatten.



