Schriftstellertreffen

Fronten, Lager, Vorwürfe: Wie die PEN-Tagung zu einem „Höllenspektakel“ wurde

Das Gothaer Schriftstellertreffen begann hochdramatisch und ließ zum Schluss den Ansatz einer Verständigung erkennen.

Ein Bild vom Beginn: Christoph Links als Protokollführer nimmt Anträge des PEN-Mitglieds und Juristen Christoph Nix (rechts) entgegen, hinter ihnen Deniz Yücel.
Ein Bild vom Beginn: Christoph Links als Protokollführer nimmt Anträge des PEN-Mitglieds und Juristen Christoph Nix (rechts) entgegen, hinter ihnen Deniz Yücel.dpa

Noch nie war Gotha so viel in den Medien, sagte Knut Kreuch, der Oberbürgermeister der thüringischen Stadt, am Samstagabend. Dafür hatte nicht die PR-Abteilung seines Rathauses gesorgt, sondern das PEN-Zentrum Deutschland – mit einem zuweilen hässlich geführten Streit während seiner Mitgliederversammlung hier. Deniz Yücel, der Präsident der Schriftstellervereinigung und erst im Oktober 2021 in diese Funktion gewählt, sah sich von Beginn an heftigen Angriffen ausgesetzt und sparte nicht mit Gegenrede. Obwohl am späten Freitagnachmittag im Amt bestätigt, trat er zurück und verließ entnervt den Saal. Sein Ausspruch, nicht Präsident „dieser Bratwurstbude“ sein zu wollen, setzte eine Duftmarke, die am nächsten Tag noch in der Luft hing.

Die Stadt Gotha, die einem von Berlin aus unbedeutend erscheinen mag, hat in der Vergangenheit schon manche Streitschlichtung erlebt. Hier vereinigten sich 1875 die deutschen sozialdemokratischen Arbeiterparteien. Und am Schloss Friedenstein, wo die PEN-Mitglieder sich zu einer abschließenden Podiumsdiskussion trafen, trägt ein Relief die Worte „Fride Ernehret Unfriede Verzehret“. Das ist der „Friedenskuss“, der an das Ende des Dreißigjährigen Krieges erinnert. Immerhin war an dem Abend auch Deniz Yücel wieder dabei, als man unter dem Motto „Mit aller Kraft. Der Krieg, der Frieden, der PEN“ miteinander sprach.

Der Krieg gegen die Ukraine und der PEN

Die Konflikte im PEN haben auch mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu tun. Auf mindestens zweierlei Weise. Zum einen ist da die Reaktion früherer PEN-Präsidenten auf einen Auftritt Yücels in einer öffentlichen Diskussion. Er wünschte sich eine Flugverbotszone über der Ukraine, sie forderten in einem gemeinsamen Brief seinen Rücktritt. Das Schreiben gelangte an die Medien.

Die Folgen dieser Missstimmungen, auch im Verhältnis zu anderen Amtsträgern, prägten den Ton des ersten Versammlungstags. Zum anderen waren da Äußerungen eines PEN-Mitglieds, von denen sich das Präsidium der Vereinigung distanziert hatte: Dieser Autor stellte (verkürzt gesagt) die Souveränität der Ukraine infrage. Er forderte, dass die Kritik an ihm zurückgenommen werde. Jemand zitierte aus seinen Texten – und sein Wunsch blieb ohne Erfolg.

Abgestimmt wurde dann darüber, ob das Präsidium sich überhaupt von den Äußerungen Einzelner distanzieren könne. Ja, das wird weiterhin möglich sein. Eine Aufstellung des Sagbaren sei nicht nötig, hieß es auf Nachfrage, dazu gebe es die Charta des PEN.

Tatsächlich bilden Meinungs- und Pressefreiheit den Kern dieses Grundsatzprogramms. Da heißt es auch: „Und da die Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlichen Fälschungen und Entstellungen von Tatsachen für politische und persönliche Ziele entgegenzuarbeiten.“ Friede ernähret, Unfriede verzehret.

Konflikt zwischen Jungen und Alten

Die Widersprüche innerhalb des deutschen PEN in seinem gegenwärtigen Zustand zeigten sich in vielen Punkten. Nach den Wortgefechten des ersten Tages gingen einige anwesende oder per Zoom zugeschaltete Mitglieder am zweiten Tag zur Analyse über. Die Ehrenpräsidentin Ursula Krechel wollte ihr Amt zumindest ruhen lassen, sie wisse nicht mehr, was sie repräsentieren und präsidieren soll. Vor allem jüngere Mitglieder beklagten das Beharren von langjährigen Funktionären und Mitgliedern auf Posten und Positionen. Zwischendurch wandten sich Ältere gegen Altersdiskriminierung.

Eva Menasse beschrieb ihr Unbehagen über den Umgang Deniz Yücel, der in kurzer Zeit dem PEN und seiner Arbeit für Meinungsfreiheit so viel Aufmerksamkeit gebracht hatte. Markus Ostermair nannte das am Freitag Erlebte „klein und schäbig“, als mehrere Herren sich als Juristen vorstellten, sogar die Tagesordnung anzweifelten und von drohenden Schadensersatzforderungen sprachen. Thea Dorn beobachtete eine „Symmetrie der Kränkungen“ und forderte einen radikalen Neuanfang, Annett Gröschner beklagte „furchtbare Selbstdarstellungen“, Julia Franck äußerte großes Befremden über die Wortwahl während des „Höllenspektakels“, als immer wieder von Fronten und Lagern die Rede war. Für Daniel Kehlmann war die Tagung „ein Brexit-Moment, von dem der PEN sich lange nicht erholen wird“.

Der bisherige Writers-in-Prison-Beauftragte Ralf Nestmeyer sagte: „Die PEN-Tagung von Gotha wird als peinlich, enttäuschend, niveaulos in die Geschichte eingehen.“ Er spielte mit den sonst für die englischen Begriffe poets, essayists, novelists vorgesehenen Anfangsbuchstaben der 1921 in London gegründeten internationalen Vereinigung. Die deutsche Sektion besteht seit 1924 und hat auch schon andere Krisen erlebt. Die bis jetzt heftigste war mit der Vereinigung des ostdeutschen und westdeutschen PEN-Zentrums Anfang der Neunzigerjahre verbunden.

Nestmeyer trat aus dem Präsidium zurück, wie alle anderen im Oktober erst in die Leitung berufenen Mitglieder auch. Und dann wurde ziemlich fix ein „außerordentlicher Notstandsvorstand“ gewählt, damit die Organisation bis zu einer baldigen nächsten Tagung arbeitsfähig bleibt. Der Interims-Präsident Josef Haslinger hatte das Amt schon einmal inne. Auch er gehörte im März zu den Unterzeichnern des Briefes, der den Rücktritt von Deniz Yücel forderte. Ihm sei schon wenige Stunden später klar gewesen, etwas Falsches getan zu haben, sagte er nun.

Die Bereitschaft, sich selbst zu korrigieren, brachte ihm viel Zuspruch in der Diskussion. Mit 133 Ja-Stimmen gegenüber neun Ablehnungen und drei Enthaltungen erhielt er das erste deutliche Votum der Tagung. Die Abstimmungen zuvor, vor allem die Abwahlanträge an den bisherigen Präsidenten, Generalsekretär, Schatzmeister und so fort, hatten jeweils nur winzige Mehrheiten.

„Ich nenne das ausdrücklich Neustart, was es gilt vorzubereiten“, sagte Haslinger. Dieser müsse so gelingen, dass es auch zu einer Versöhnung zwischen den beiden Gruppen komme, deren Konflikte so schmerzhaft aufgebrochen seien. Er bekam ein Übergangs-Präsidium an die Seite, die Zuwahl neuer PEN-Mitglieder wurde vertagt.

Marjana Gaponenko: Sollen wir auf den Knien rutschen?

Und dann war da noch die Podiumsdiskussion im riesigen Hof von Schloss Friedenstein. Dessen umfangreiche Forschungsbibliothek wurde mit Raubgut des Dreißigjährigen Krieges begründet und am Ende des Zweiten Weltkrieges etlicher ihrer Schätze beraubt. Die meisten – der Oberbürgermeister erzählte eine versöhnliche Geschichte – seien in den Fünfzigerjahren zurückgekommen.

Das Gespräch drehte sich lange um die beiden offenen Briefe an Olaf Scholz für und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Positionen liefen kreuz und quer, den Pazifismus, Deutschlands Rolle und Andrij Melnyk betreffend. Die ukrainische, auf Deutsch schreibende Autorin Marjana Gaponenko beklagte, man werfe den Ukrainern vor, sie stellten dauernd Forderungen. Für sie zeige sich darin die deutsche Überheblichkeit. Die Ukrainer wollten nur überleben. „Was sollen wir machen: auf den Knien herumrutschen?“

Das war kein Schlusswort. Es zeigte aber, wie sehr es in Konflikten darauf ankommt, die Worte abzuwägen.