Schriftstellertreffen

Deniz Yücel verlässt PEN: „Möchte nicht Präsident dieser Bratwurstbude sein“

Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN ist zurückgetreten. Das diesjährige Treffen in Thüringen geriet schon vorher zur Zerreißprobe.

Deniz Yücel war Präsident des PEN-Zentrums Deutschland von Oktober 2021 bis Mai 2022. Am Freitag trat er in Gotha von seinem Posten zurück.
Deniz Yücel war Präsident des PEN-Zentrums Deutschland von Oktober 2021 bis Mai 2022. Am Freitag trat er in Gotha von seinem Posten zurück.dpa/Martin Schutt

Deniz Yücel ist als Präsident der Schriftsteller-Vereinigung PEN zurückgetreten. „Ich möchte nicht Präsident dieser Bratwurstbude sein“, sagte er auf dem Treffen in Gotha, Thüringen. Auch seine Mitgliedschaft gibt er auf. Erst wenige Minuten zuvor war der Antrag auf seine Abwahl knapp gescheitert.

Seine Entscheidung begründete Yücel anschließend auf Twitter ausführlich. So habe man im Anschluss an seine Wiederwahl, den Generalsekretär von PEN ebenfalls wiedergewählt. Die beiden liegen seit Monaten im Streit. Yücel, lehnte eine weitere Zusammenarbeit ab. Besonders als Reformer, des als angestaubt geltenden Verbandes, sehe er sich gescheitert. „Wir mussten heute feststellen, dass unsere Versuche, den deutschen PEN zu einer modernen NGO zu machen und ihm in zeitgemäßer Form seiner alten Relevanz als Intellektuellenvereinigung zurückzugeben, von einer Mehrheit nicht gewollt ist, so Yücel bei Twitter. Stattdessen sei der PEN „dominiert von Spießern und Wichtigtuern Ü70, die ihre Mitgliedschaft als Ausweis der eigenen Zugehörigkeit zur publizistischen oder literarischen Elite brauchen.“ Verfolgte Autoren würde man auf Kolonialherrenart behandeln.

Auseinandersetzungen statt Hilfe für Verfolgte im Fokus

Am Freitagabend, als der erste Versammlungstag bereits vorbei sein sollte und schon einige Mitglieder die Tagung verlassen hatten, um eine Veranstaltung mit Autorinnen und Autoren aus Belarus vorzubereiten, kam es gegen 19.30 Uhr zu diesem dramatischen Höhepunkt eines zähen ersten Tages des Treffens. Dann die Abstimmung, ob Deniz Yücel Präsident der Vereinigung bleiben soll oder nicht. In den viel kürzer als geplant gehaltenen Ansprachen für und gegen die Arbeit des Journalisten in dieser Funktion wurden eine Menge Probleme deutlich, die den PEN in den kommenden Monaten noch beschäftigen werden. Der Tag hat gezeigt, dass sich die der Vereinigung angehörenden Schriftsteller und Publizisten alles andere als einig sind.

Die für Freitag und Sonnabend in der thüringischen Stadt Gotha angesetzte Tagung des deutschen PEN-Zentrums vollzog sich von Beginn an in großer Unruhe. Dass eine Gruppe von Mitgliedern den PEN-Präsidenten Deniz Yücel absetzen möchte, war bereits vorab bekannt geworden. Er steht erst seit Oktober 2021 dem deutschen PEN vor. Die Anträge einzelner Gruppen gingen aber noch weiter, betrafen den Generalsekretär und den Schatzmeister; ein Antrag forderte die Beauftragte für das Programm Writers in Exile auf, „ihr Amt satzungsgemäß auszuführen“. Der zum Teil öffentlich gewordene interne Briefwechsel, das Bündel an Zusätzen für die Tagesordnung – all das ließ ohnehin Aufregung erwarten.

Was am Freitag im Einzelnen ablief, verärgerte viele Beobachter. „Das ist unser nicht würdig“, sagte die türkisch-deutsche Schriftstellerin Renan Demirkan. Das Klima war so aufgeheizt, dass überhaupt erst kurz vor 13 Uhr eine Tages- und Geschäftsordnung beschlossen werden konnte. Der Konflikt um Deniz Yücels Diskussionsbeitrag zum Krieg gegen die Ukraine, in dem er im März in Köln eine Flugverbotszone forderte, war also nicht der einzige. Misstrauen herrscht offenbar auch beim Umgang mit Geld. Missverständlich sind die Kontakte untereinander. Unangenehm erlebten die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle der Organisation die Kommunikation mit den männlichen Präsidiumsmitgliedern.

Einer versuchte ein Wort zur Güte

Obwohl Yücel anfangs sehr ruhig, geradezu sanft sprach, schlugen ihm Buhrufe entgegen, als er die Veranstaltung eröffnen wollte. Ein Mann nach dem anderen meldete sich (Frauen mischten sich erst später ein), um das ganze Treffen in Frage zu stellen, weil bestimmte Formalien angeblich nicht eingehalten worden waren. So ist in diesem Jahr erstmals eine digitale Abstimmung möglich, auch für all jene, die nicht zur Tagung anreisen wollten oder konnten. Gestritten wurde dann über den Zeitpunkt des Versands der Zugangscodes für die Abstimmung und über die Möglichkeit der Teilnahme für jene, die über keine E-Mail-Adresse verfügen. Einer versuchte ein Wort zur Güte: Seit vielen Jahren schon sei er Mitglied, aber nie zu den Tagungen gefahren. Wenn man abstimmen möchte, nehme man eben teil. Und Deniz Yücel verwies darauf, dass, als die Tagung geplant wurde, nicht mit der Teilnahme von rund 750 Mitgliedern gerechnet wurde.

Während der Beauftragte für Writers in Prison, Ralf Nestmeyer, von der Befreiungsaktion für einen ugandischen Autor sprach, verband er dies mit einem Statement für den PEN-Präsidenten. Und während Astrid Vehstedt in ihrem Bericht über Writers in Exile die Hilfsaktion für einen weiteren ugandischen Autor beschrieb, nutzte sie ihre Redezeit auch dafür, um sich gegen die Angriffe seitens des Schatzmeisters Joachim Helfer zu wehren. Helfer selbst verwahrte sich dann dagegen. Weil der Vorwurf des Mobbings im Raum stand, entschuldigte er sich allgemein bei allen, die sich von ihm schlecht behandelt fühlten. Da wurde gelacht. Es war kein freundliches Lachen.

Deniz Yücel sagte vor der Abstimmung über seine Person: „Take it or leave it, PEN.“ Er habe es nicht nötig, um den Posten zu kämpfen. Das mag in manchen Ohren arrogant geklungen haben. Vielleicht war er einfach zermürbt. Herbert Wiesner, Generalsekretär des PEN von 2009 bis 2013, sagte, er hätte auch Kritisches über Yücel zu bemerken. Doch ein Verlust dieses politischen Kopfes in solch politisch brisanten Zeiten wäre eine Blamage. Mit der knappen Entscheidung von 73 Stimmen für seine Abwahl und 75 dagegen (bei 13 Enthaltungen) war Yücel eigentlich im Amt bestätigt worden. Doch die Unruhe setzte sich in den Debatten um weitere Präsidiumsmitglieder fort. Sprach Deniz Yücel, gab es immer Zwischenrufe. Und dann verließ er die „Bratwurstbude“ eben selbst.

Es wird spannend sein zu sehen, wie der deutsche PEN-Club den eigenen Ansprüchen nach einem freien, demokratischen Austausch künftig gerecht werden will.