Schriftsteller-Debatte

PEN versucht Neustart: Josef Haslinger wird Interims-Präsident

Auf der Tagung des Schriftstellerklubs in Gotha begann man am Sonnabend die tiefen Gräben zu überwinden. Nach Deniz Yücel trat das gesamte Präsidium zurück.

Der Schriftsteller Josef Haslinger ist Interims-Präsident des deutschen PEN-Zentrums.
Der Schriftsteller Josef Haslinger ist Interims-Präsident des deutschen PEN-Zentrums.imago

Nach dem turbulenten ersten Tag der Mitgliederversammlung des deutschen PEN-Zentrums in Gotha versuchten die Schriftsteller und Publizisten die Scherben zusammenzukehren und den Fortbestand der Vereinigung zu sichern. Nach dem Rücktritt Deniz Yücels als Präsident waren die Teilnehmer am Freitagabend sichtlich nervös auseinandergegangen. Ein „außerordentlicher Notstandsvorstand“ wurde am Sonnabendmittag bestimmt, nachdem zuvor in Einzelerklärungen das gesamte bisherige Präsidium zurückgetreten war. Josef Haslinger, der als Interims-Präsident gewählt wurde, hatte das Amt schon einmal inne. In seiner Erklärung sprach er auch darüber, dass er zu den Unterzeichnern des Briefes gehört hatte, der den Rücktritt von Deniz Yücel gefordert hatte. Schon wenige Stunden später sei ihm klar gewesen, etwas Falsches getan zu haben. Gerade dieser Auftritt, mit dem er bereit war, sich selbst zu korrigieren, brachte ihm viel Zuspruch in der Diskussion. Die Mehrheit für ihn war überwältigend deutlich mit 133 Ja-Stimmen gegenüber neun Ablehnungen und drei Enthaltungen.

Ein PEN-Präsidium für die Zwischenzeit

„Ich nenne das ausdrücklich Neustart, was es gilt vorzubereiten“, sagte Haslinger. Und er appellierte, vor allem die beiden wichtigsten Aufgaben der Organisation mit dem Einsatz für verfolgte Autoren in den Programmen Writers in Prison und Writers in Exile fortzusetzen. Der Neustart müsse so gelingen, dass es auch zu einer Versöhnung zwischen den beiden Gruppen komme, deren Konflikt am Freitag so schmerzhaft aufgebrochen sei. Das Interims-Präsidium bleibt bis zu einer nächsten außerordentlichen Mitgliederversammlung im Amt.

Es wurde sogar einmal gelacht auf dieser Tagung. Im Abstimmungsformular über eine mögliche Doppelspitze fürs Präsidentenamt tauchte das Stichwort „Doppelspritze“ auf, für alle sichtbar an der Leinwand, wo sonst die per Zoom zur Tagung zugeschalteten Mitglieder zu sehen waren. Zwei Personen auf der Spitzen-Position waren von der Mehrheit allerdings nicht gewünscht.

Ralf Nestmeyer definiert PEN: „peinlich, enttäuschend, niveaulos“

Zuvor hatten die Anwesenden in vielen Wortmeldungen ihr Erschrecken über das Debattenklima des Vortags geäußert. Der bisherige Writers-in-Prison-Beauftragte Ralf Nestmeyer leitete seinen Rücktritt aus dem Präsidium mit den Worten ein: „Die PEN-Tagung von Gotha wird als peinlich, enttäuschend, niveaulos in die Geschichte eingehen.“ Er spielte mit den sonst für die englischen Begriffe poets, essayists, novelists vorgesehenen Buchstaben der 1921 in London gegründeten internationalen Vereinigung. Die deutsche Sektion besteht seit 1924 und hat auch schon andere Krisen erlebt. Die bis jetzt heftigste war mit der Vereinigung des ostdeutschen und westdeutschen PEN-Zentrums Anfang der Neunzigerjahre verbunden.

Vor allem jüngere Mitglieder beklagten einen Beharrungswillen an alten Posten und Positionen von langjährigen Funktionären und Mitgliedern. Sogar die Ehrenpräsidentin Ursula Krechel, die sagte, ihr Amt gelte eigentlich auf Lebenszeit, wollte ihre Rolle zumindest ruhen lassen. Eva Menasse legte dar, in der Frage der Bewaffnung der Ukraine anderer Meinung zu sein als Deniz Yücel. Doch dass eine Gruppe früherer PEN-Präsidenten ihm wegen eines Auftritts auf einer Podiumsdiskussion, wo er eine Flugverbotszone forderte, vorwarf, er hätte damit sein Amt missbraucht, das habe sie „wahnsinnig gemacht“. Sein Einsatz für Meinungsfreiheit, auch die Erklärung, Puschkin nicht mit Putin gleichzusetzen, also die russische Literatur nicht auszugrenzen, empfand sie als wichtig und ermutigend.

Johano Strasser: „Wir sind kein Werbeverein, wir haben Aufgaben“

Thea Dorn sprach in der Diskussion am Sonnabend von einer „Symmetrie der Kränkungen“, Annett Gröschner beklagte „furchtbare Selbstdarstellungen“ am Vortag. Matthias Politycki erzählte seinen Kollegen, warum er seit einem Jahr in Wien lebe, weil ihn die deutsche Unerbittlichkeit so verstöre. „Ich habe Freunde auf beiden Seiten.“ Der frühere PEN-Präsident (2002 bis 2013) Johano Strasser sah „nur Verlierer“ im Augenblick und betonte, damit nicht die Außenwirkung zu meinen, von der seit dem Eklat um Deniz Yücel in vielen Medien die Rede war. Der hatte mit der Verbreitung interner E-Mails begonnen. „Wir sind kein Werbeverein. Wir haben einen großen Fehler gemacht, den müssen wir reparieren.“ Denn große Aufgaben stünden bevor. Einer davon wollten sich die Mitglieder noch am Abend widmen, bei einer Podiumsveranstaltung zum Krieg gegen die Ukraine.

Und die Zuwahl neuer Mitglieder wurde vertagt.