Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich mich angesichts der Klimakrise über Regen ärgern?

Der Planet erwärmt sich, die Sonne brutzelt die Nerven weg. Muss man sich also schämen, wenn man den Urlaub trockenen Fußes zu erleben hofft?

Darf man sich angesichts der Klimakrise über Regen ärgern?
Darf man sich angesichts der Klimakrise über Regen ärgern?Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Im Regenzauber wurzelt jede Religion. Und als Aberglaube halten sich Wetterbräuche bis in unsere aufgeklärten Zeiten. Das hierzulande verbreitetste Ritual ist zugleich eine fragwürdige Erziehungsmaßnahme, die sich der Verhaltenskolumnist an dieser Stelle vielleicht gesondert vorlegen wird: Wenn du schön aufisst, scheint morgen die Sonne. Das verantwortungsvolle Kind steckt nun in der Zwickmühle zwischen Ressourcenverschwendung (die Erbsen liegen lassen) und Erderwärmung (Sonne). Und die Eltern werden sich später vorwerfen müssen, dass sie mit diesem Spruch Druck auf das Sättigungsgefühl ausgeübt und den Grundstein für Essstörungen gelegt haben. 

Aber es sind noch immer Schulferien, und da lassen wir uns nicht mit solchen dystopisch-realistischen Gedanken die Laune verderben, sondern freuen uns auf freie Tage und Wochen. Wir sehen uns radeln, wandern, baden, auf der Piazza sitzen mit einem Aperölchen, Espressito, Speiseeis. Und dann tropft es uns ins Glas, ins Tässchen, in die Waffel. Was soll das? 

Tief sitzen die Ängste vor einem Sommerurlaub, der ins Wasser fällt. Zu den okkulten Bräuchen, mit denen das zu verhindern versucht wird, gehört die Anschaffung von irrsinnig überteuerten Regenklamotten. Man weiß längst, dass der Spruch vom schlechten Wetter, das es nicht gebe, sondern nur schlechte Kleidung, ausgemachter Outdoorklamotten-PR-Quatsch ist. Der Glaube, dass es intelligente Fasern geben könnte, die keine Regennässe rein-, wohl aber Schweißnässe rauslassen würden, ist so irre wie der an das Spaghettimonster.

Nerven lassen für eine gute Sache

Es ist noch nicht untersucht worden, inwiefern die Wünsche von Individuen Einfluss auf das Wetter und mithin das Klima haben, das uns so viele Sorgen und Schuldgefühle bereitet. Und inwiefern diese leider so begründeten eingetrübten Emotionen ihrerseits die zuständigen atmosphärischen Mächte herausfordern. Wenn ich mich freue, dass die Sonne scheint, mache ich mich damit nicht lustig über die dürstenden Straßenbäume?

Also zurück zur kalten Vernunft. Wir verfügen nicht über die mentalen und chemischen Mittel, um Regenwolken zu vertreiben oder zu impfen, damit sie sich unserem Willen beugen. Insofern darf man sich natürlich ärgern, wenn es regnet und der wohlverdiente Urlaub in einem Desaster endet, das die Mitreisenden zusammenschweißt und das sie nie vergessen werden. Was aber auch erlaubt ist: sich zu trösten mit dem Gedanken, dass man selbst zwar Nerven lässt, dies aber im Dienst einer guten Sache.

Eigentlich hilft bei Schlechtwetter nur schönreden. Ein bekannter Literaturkritiker und sein Lebensgefährte hielten es für eine gute Idee, in Schottland Urlaub zu machen, woher uns nun regelmäßig Bilder erreichten, auf denen die beiden, kaum erkennbar durch die Wasserwand, tapfer, aber gebeugt, auf durchweichten Wegen den Spuren irgendwelcher Literaten folgten, die auch noch Fontäne hießen oder so ähnlich.

Es ist von nachahmenswerter Selbstbeherrschung, dass die beiden, statt einander anzuschreien und die Regenwolken zu verfluchen, ihr Schicksal annahmen, als könnten sie sich nichts Besseres vorstellen, ja so, als hätten sie es vorausgesehen und sich mit voller Absicht für die Wonnen von Mistwetter entschieden, die sie dann mit der gelassenen Überlegenheit von Fakiren lächelnd auf sich nahmen. Dabei kann man sich in die Regenhaut des guten Gewissens kuscheln, die das Karma schützt: Wir meckern nicht über unser Schicksal, sondern betrachten unsere Bedürfnisse und Wünsche als mit denen unseres Planeten in Einklang.