Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich bitten?

Parkett ist glatt und schon bei der Aufforderung zum Tanz kann man ausrutschen. Die Floskel „Darf ich bitten?“ gilt als höflich, doch das greift zu kurz.

Offenbar durfte hier jemand bitten.
Offenbar durfte hier jemand bitten.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Keine Angst, niemand, schon gar nicht der Kolumnist, will hier mit Ihnen tanzen. Wenn dann nur im übertragenen Sinn. Sie dürfen sich eingeladen fühlen, hier mit dem Autor zusammen ein paar Gedankenpirouetten (Locken) auf dem Parkett (der Glatze) zu drehen. Strenggenommen ist das freiwillig und niemand zwingt Sie hier weiterzulesen. Aber wenn man Sie ganz lieb bitten würde?

Jemanden um etwas zu bitten, heißt, einen Wunsch zu äußern, zu dessen Erfüllung das Gegenüber beitragen kann, aber nicht muss. Es gehört unbedingt dazu, dass eine Bitte, so dringend sie auch sein mag, niemanden unter Handlungsdruck setzen darf und demjenigen, der sie erfüllen soll, seine diesbezügliche Entscheidung freistellt. Sonst könnte man die Leute auch einfach zu etwas auffordern. Oder sie per Befehl in Kenntnis dessen setzen, was zu tun ist. Nicht stehenbleiben, weiterlesen!

Warum eigentlich nicht? Weg mit den Verbrämungen und Verbiegungen der Höflichkeit. Denn wenn man es sich recht überlegt, ist die Bitte „Darf ich bitten?“ eine regelrechte Frechheit. Zumal jedwede Antwort auf die Fragefloskel „Darf ich bitten?“ nichts und niemanden dem Zweck ihrer Äußerung näher bringt.

„Darf ich bitten?“ ist nur eine Vorstufe oder ein Rudiment des eigentlichen Bittgegenstandes, der gar nicht erst ausformuliert wird, möglicherweise weil bereits alle Beteiligten ahnen, dass es sich um eine Unzumutbarkeit handelt – und der Mut den Fragesteller in seiner Untertänigkeit schon verlassen hat, ehe er zum Punkt gekommen ist. Wodurch das Ganze paradoxerweise zum Holzhammeranwurf wird.

Die Frage lautet eigentlich: „Darf ich um einen Tanz bitten?“

Um die Sache hier nicht unnötig zu verkomplizieren, schauen wir erst einmal auf die reine Semantik. Wenn der Angesprochene diese Frage „Darf ich bitten?“ vielleicht noch nie gehört hat, im buchstäblichen Sinn auf sie eingeht und sie beispielsweise mit Ja beantwortet, heißt das noch lange nicht, dass man dann zugreifen und den Jasager auf die Tanzfläche ziehen dürfte. Warum? Na, weil der Jasager mit seinem Ja doch nur die Bitte erlaubt und vergessen hat zurückzufragen, worum es denn geht, damit er sich und sein mögliches Zutun prüfen und sich befragen könne, ob er in der Lage und Willens sei, zur Wunscherfüllung beizutragen.

Nun stellen wir uns mal nicht dümmer als wir sind. Die meisten Muttersprachler sind eingeweiht und wissen, dass diese Frage eigentlich „Darf ich um einen Tanz bitten?“ lautet. Gerade weil man das weiß, müsste man sich frech angerotzt fühlen und sofort in Abwehrstellung gehen. Denn der Frager hat sich ja, während er die Frage formuliert, ob er die Frage formulieren darf, schon längst das Recht herausgenommen, diese Frage zu formulieren. Er hat sich also schon vor dem Tanzen einmal um sich selbst gedreht, für die Bitte ist es da schon längst zu spät. Denn strenggenommen geht es hier noch gar nicht um den Tanz, sondern eben um die Bitte, die als Gesprächsanbahnung möglicherweise erst einmal gestattet sei, aber eben noch lange nicht hinsichtlich des implizierten Bittgegenstands als gewährt anzusehen ist. Das zur Theorie, jetzt zur Praxis.

Eine passende Replik wäre: „Da Sie sich hier Ihre Bitten selbst erfüllen, sehe ich nicht so recht, was ich noch für Sie tun kann, und ich würde Sie nun meinerseits bitten, mir zu sagen, was Sie eigentlich wollen, habe dies aber bereits selbst erraten und wünsche nicht, auf diese verklausulierte Weise von Ihren Wünschen behelligt zu werden. Aber wenn Sie tanzen wollen, gern.“