Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich mit Geld um mich werfen?

Was kann daran falsch sein, mit kleinen Geldstücken und großen Gesten der Vorsehung ins Zeug zu pfuschen? Nicht immer bleibt es billig.

Wenn die Glückspfennige alle sind, werfe man mit Scheinen. 
Wenn die Glückspfennige alle sind, werfe man mit Scheinen. Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

Mein Kollege Jens Blankennagel hat sich in seinem jüngsten Stadtbild-Text in dieser Zeitung als Elf geoutet und sich vielleicht nicht ganz freiwillig als jemand gezeigt, der es allen recht machen will. Vor allem dem eigenen Karma. Er wirft mit Geld um sich, und nun fragt er den zuständigen Verhaltenskolumnisten, ob er das darf. Wir lassen mal Aspekte der Umweltverschmutzung, Altmetallverschwendung und der Korruption außer acht, ebenso wie das pietistische Dogma vom Pfennig, den man zu ehren habe, damit man des Talers wert sei.

Es steht immerhin nicht zu befürchten, dass er mit seinem Tun die Inflation beschleunigte, dafür sind die von ihm umverteilten Beträge zu gering. Er lässt lediglich Kupfergeld aus seinen Hosentaschen fallen. Und zwar am liebsten 1-Cent-Münzen, deren Material- und Herstellungskosten ihren Nennwert deutlich übersteigen. Vielleicht ist es dieses für unsere utilitaristisch-kapitalistische Lebensweise paradoxale Phänomen, dass so viel symbolisches Gewicht auf dem doch eigentlich seelenlosen Geldstück liegt.

Wenn sich Jens Blankennagel seines Hosentaschenballasts entledigt, nimmt er in Kauf, dass er demjenigen, der das Geldstück findet, Glück bringt. Die Frage ist berechtigt: Darf er in dieser Weise Schicksal spielen? Glaubt er wirklich, dass er der Vorsehung in die Disposition pfuschen kann? Wer ist er denn? Der Weihnachtsmann? Einen naheliegenden Gedanken ignoriert er hierbei schon mal, nämlich den, dass auch sein Verhalten keiner freien Willensentscheidung entspringt, wie er frech postuliert, sondern als längst einkalkulierter Moment in den göttlichen Plan geschmiedet ist, nach dem so einiges in die Wege geleitet wurde, damit eben jene Münze in Jens’ Tasche landet. Woher will er wissen, dass seine sich so spontan anfühlende Geste nicht aus dem Ursachen-und-Folgen-Geflecht entspringt, das hienieden jeden Schmetterlingsflügelschlag und jeden umgefallenen Reissack kausal miteinander verbindet?

Ohne freien Willen kein Verhaltenskolumnist

Stopp! Wir wollen den Begriff der Vorsehung sofort wieder lockern, weil doch der freie Wille, zumindest seine Illusion, nötig ist, damit der Mensch in dem Glauben bleibt, richtig und falsch handeln zu können. Denn wenn er das nicht glauben würde, dürfte er sich einfach dem Schicksal überlassen und bräuchte keine professionelle Entscheidungshilfe durch einen Verhaltenskolumnisten.

Also, lieber Jens, höre! Lass dir nichts einreden. Du bist ein guter Mensch. Du möchtest mit deinem Tun Freude schenken. Breit sei dein Lächeln, wenn du im Schutze der nächsten Häuserecke zurückschaust und ein Kind beobachtest, welches schon fast an dem von dir verlorenen Geldstück vorbeigegangen wäre. War da nicht was?, scheint es zu denken. Es verzögert den Schritt und blickt zurück, um das unbewusst wahrgenommene, trudelnde Kupferblinken zu verifizieren. Es bückt sich, greift nach dem Geldstück und schaut hoch, ob da jemand sei, der Anspruch erheben könnte. Und weil es niemanden sieht, lenkt es seine Augen gen Himmel und sucht die Wolken nach Löchern ab, durch die der liebe Gott seinen Segen hat herabrieseln lassen können.

Dann holt das Kind sein Smartphone aus der Tasche, startet die App, mit der man den Wert von Münzen bestimmen kann, nickt tief befriedigt, geht in den zufällig angrenzenden Numismatiker-An-und-Verkauf, lässt sich den Wert in Scheinen auszahlen. Auf dem Heimweg fällt ihm an der nächsten Häuserecke ein Herr auf mit einem recht breiten, aber eingefrorenen Grinsen. Ein Bettler?