Die Staatsanwaltschaft Kassel lehnte ein Ermittlungsverfahren in der Causa Documenta ab, der für seine umstrittenen Aussagen über Israel bekannte Roger Waters konnte unbehelligt seine Show in Berlin durchführen, und auch der neue Intendant des Hauses der Kulturen der Welt sorgt in der jüdischen Community für Diskussionen. Wie steht es in Deutschland um die Kulturszene und deren Umgang mit Antisemitismus?
Ungefähr 50 Menschen warten an einem frühen Juniabend auf ihren Sitzen – mit Weißwein und wahlweise Salzstangen in der Hand – in dem großen Saal des St.-Michaels-Heims im Grunewald. Der Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas lud zu einem Diskussionsabend ein. Es soll um den Preis der Kunstfreiheit in Deutschland gehen. Viele Worte fallen heute mehrfach: Documenta, Roger Waters, Israel – und ganz häufig BDS.
Gemeint ist die antiisraelische Kampagne „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“. Sie soll den Staat Israel in politischen, ökonomischen und kulturellen Bereichen isolieren. Unter den Panelisten wird mitunter hitzig und scharf über BDS und die Frage, wer denn BDS-Sympathisant sei, gestritten. Insbesondere den neuen Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt (HKW), Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, sehen viele im Raum kritisch.
Kritik am Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt
„Wie konnte man nur“, fragt die Moderatorin Lea Rosh, „eine merkwürdige Berufung.“ Adressiert ist die Frage an Monika Grütters, die ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ndikung steht wegen früherer Äußerungen in der Kritik; er habe über Israel als „Apartheidsregime“ gesprochen. Doch die CDU-Politikerin verteidigt den neuen HKW-Chef. „Er war mit Abstand der Überzeugendste“, sagt Grütters. Man habe mit Ndikung „intensiv über eine halbe Stunde über BDS gesprochen“.

„Eine siebenköpfige Findungskommission hat ihn ausgesucht“, sagt Grütters, „vertrauen Sie ihm.“ Besonders nach dem großen Documenta-Skandal im vergangenen Jahr sei jedoch viel Vertrauen unter in Deutschland lebenden Juden verloren gegangen. Im Publikum fallen Zwischenrufe, dass sich verfehlte Berufungen von Intendanten in großen kulturellen Institutionen häuften. „Bei mir hat es solche Vorfälle nicht gegeben“, sagt Grütters mit einem Fingerzeig auf ihre Vorgängerin Claudia Roth (Grüne). Grütters war unter Angela Merkel von 2013 bis 2021 Staatsministerin für Kultur.
Die Autorin Sylke Kirschnik lässt jedoch nicht locker. „In der deutschen Kulturszene sind vermehrt antisemitische Trends zu vernehmen“, sagt sie. Sie fordert – gemeinsam mit der dritten Rednerin in der Runde, Elvira Grözinger –, dass es weder Gelder noch Räume für Vereine und Institutionen geben dürfe, die BDS unterstützen. Ohne direkt angesprochen zu werden, gerät besonders die ehemalige Staatsministerin im Laufe des Abends häufiger in einen Erklärungs- und Rechtfertigungsmodus.




