Hypochonder-Kolumne

Was hat Karl Lauterbach damit zu tun, dass ich jetzt Horoskope lese?

Herbstzeit ist Panikzeit: Unser Autor fahndet nach Corona-Killervarianten und stößt im Koalitionsvertrag der Ampel auf einen Effekt, der nichts Gutes verheißt.

Karl Lauterbach trägt eine Aktentasche. Befindet sich darin der Koalitionsvertrag, gar sein Horoskop?
Karl Lauterbach trägt eine Aktentasche. Befindet sich darin der Koalitionsvertrag, gar sein Horoskop?John McDougall/AFP

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Barnum-Syndrom. Und das kam so: Ich begann, mich auf den Herbst vorzubereiten. Das mache ich seit einiger Zeit so, denn Herbstzeit ist Panikzeit. Bereits zum Ausklang des Sommers lese ich alles, was mit Viren zu tun hat, bevorzugt mit Corona. Ich fahnde per Abwassermonitoring im Pipi der Mitmenschen nach Anzeichen einer Killervariante, bin aber insofern beruhigt, dass die Pharmaindustrie permanent den passenden Impfstoff nachliefert.

Ob sie deshalb nicht dazu kommt, anderweitig ausreichend Medikamente zu verkaufen, etwa Fiebersaft oder Cholesterinsenker, oder ob das an den knauserigen Krankenkassen liegt, zählt ebenso zu den Fragen des Herbstes wie jene nach dem Sinn von knapp 100 ebendieser gesetzlichen Kassen mit nahezu gleichem Angebot und Kosten für Vorstände nebst Verwaltungsapparat.

Ich erwähne das nur noch mal wegen der Apotheker, die darauf verweisen, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie seien unverschämt, weil sie bessere Honorare haben möchten, damit nicht noch mehr von ihnen den Laden dichtmachen müssen. Niedergelassene Ärzte und Therapeuten beklagen eine irre Bürokratie. Die Intensivmediziner heben zum Jahresendmantra an, dass auf ihren Stationen Personal fehlt. Kinderärzte warnen vor einem Kollaps. Dem eigenen und dem des Systems.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kommt mir dann so vor, als würde in seinem Büro die Sprinkleranlage angehen. Vielleicht hat sich dort jemand gerade einen Joint angesteckt. Jedenfalls springt er von Sprinkler zu Sprinkler und ruft, dass dieses Chaos bald aufhöre, wenn man ihn nur machen lasse. Seine beratenden Haustechniker hätten ihm schon gesagt, welche Zuleitung er abdrehen müsse, damit Bereiche austrockneten und nur die richtigen wichtigen gut bewässert blieben.

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Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Ich habe zu viel Fantasie, ich weiß. Während ich online nach dem dazu passenden Befund suchte, fühlte ich mich an den Koalitionsvertrag der Bundesregierung erinnert. Auf den sechs Seiten zur Gesundheit von insgesamt 144 Seiten des Vertrags heißt es unter anderem: „Wir wollen einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik und ziehen Lehren aus der Pandemie, die uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt hat.“ In dem Stil geht es weiter.

Ich hatte aus den allgemein gehaltenen Formulierungen abgeleitet, dass mit Lauterbach als Chef des Gesundheitsressorts alles besser werde oder wenigstens einiges. Wirklich: zu viel Fantasie. Ich begann mit der Diagnose, und was soll ich sagen? Ich war Opfer eines Effekts, der nach einem gewissen Phineas Taylor Barnum benannt ist. Ein Typ aus dem 19. Jahrhundert, Zirkusdirektor und Politiker, in dieser Kombination also seiner Zeit weit voraus. Er hatte Charaktertests im Angebot, deren Erkenntnisse so unverbindlich ausfielen, dass sie auf 99,9 Prozent der Menschheit zutrafen. Wäre Barnum nicht 1891 gestorben, er wäre Lauterbachs Mann fürs Grobe, in Formulierungen zum Koalitionsvertrag etwa. Und ich falle jedes Mal drauf rein.

Karl Lauterbach und das Sternzeichen Fisch

Ich sollte noch erwähnen, dass sich durch die mir eigene Aufgeschlossenheit für Neuerungen meine Chancen auf Erfolg erhöhen. Das teilt mir mein aktuelles Horoskop mit. Ich bin ja Wassermann und habe gleich mal reingeschaut, als ich las, dass Zeitungshoroskope auf dem Barnum-Effekt beruhen. Karl Lauterbach wurde im Sternzeichen Fisch geboren. Bei ihm steht: „Setzen Sie sich nicht um jeden Preis durch. Die Umwelt reagiert nämlich besonders kritisch, wenn Sie Feinfühligkeit vermissen lassen.“ Sage ich doch: Herbstzeit ist Panikzeit.