Gesundheit

Bin ich noch normal, wenn eine Parkzone in Berlin mich krank macht?

Hypochonder-Kolumne: Lässt sich Amnesiophobie mit einem Terminkalender heilen? Helfen E-Books? Und was hat das alles mit der Angst zu tun, kotzen zu müssen?

Eine Berliner Ordnungsamt-Mitarbeiterin steckt einen Strafzettel an ein Auto.
Eine Berliner Ordnungsamt-Mitarbeiterin steckt einen Strafzettel an ein Auto.Thomas Trutschel/imago

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Amnesiophobie. Und das kam so: Eines Morgens steckte ein Zettel unter dem Scheibenwischer meines Autos. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts hatte ihn offenbar dort platziert. Er trug die Überschrift „Verwarnung“. Einige wenige Zeilen informierten mich darüber, dass sich das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen B, Strich und so weiter in einer parkraumbewirtschafteten Zone befand, ohne die dafür erforderliche Vignette aufzuweisen, weshalb nun 20 Euro zu entrichten seien.

Nach einem entrüsteten „Jetzt sind die total übergeschnappt“ und einer eingehenden Betrachtung der hinter der Windschutzscheibe klebenden Vignette stellte sich heraus, dass ebendiese kürzlich abgelaufen war. Ich hatte keine neue beantragt, denn ich war fest davon überzeugt, die bisherige gelte noch ein weiteres Jahr. Nicht auszudenken, wenn mir noch andere kostspielige Versäumnisse unterlaufen würden. Ich durchforstete das Mobiltelefon nach wichtigen Terminen, von einer gewissen Unruhe getrieben, die meines Erachtens fast schon krankhafte Züge hatte.

Tatsächlich stellte sich heraus, dass ich unter einer psychischen Störung namens Amnesiophobie litt, die nichts anderes war als die Angst, vergesslich zu werden. Gut, dass im Netz nicht allzu lange Abhandlungen aufzutreiben waren, vielleicht hatten die Autoren ja einige weitergehende Aspekte vergessen. Mir reichten schon die skizzierten Umrisse der Erkrankung, um sehr besorgt zu sein.

Permanenter Stress traf als Leitsymptomatik voll und ganz auf mich zu. Außerdem trainierte ich seit dem Parkzonendesaster ständig mein Gedächtnis, überlegte zum Beispiel, wie dieser Dings heißt, mit dem ich erst neulich sprach. Ob der noch mit der – na, sag schnell – der einen Frau aus Dingenskirchen zusammen war und diesen schrecklich anhänglichen Köter hatte, einen Irish irgendwas?

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Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Bei den häufig auftretenden Auslösern einer Amnesiophobie musste ich allerdings passen. Jedenfalls erinnerte ich mich nicht an traumatische Erlebnisse in der Kindheit; etwa daran, den Turnbeutel vergessen zu haben, oder das Zähneputzen. Auch war es in letzter Zeit zu keinem Vollrausch gekommen.

Keine Angst vor Ängsten

Dennoch wandte ich mich möglichen Behandlungsmethoden zu. Der Urheber einer Seite über seelische Krisen riet dringend zur Lektüre von E-Books, was vermutlich damit zusammenhing, dass er zufällig eines im Angebot hatte. Mir genügten jedoch die 20 Euro an die Bezirkskasse als finanzielle Akuttherapie.

Erleichtert, dass mir der Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlins und das Kürzel Vöbb sofort einfielen, durchforstete ich den dortigen Onlinekatalog und fand ein Buch, klassisch aus Papier und Pappe, das sich mit allerlei Ängsten befasste, die im Laufe eines Menschenlebens auftreten können. Laut Untertitel sollte man davor keine Angst haben. Interessant klang die Überschrift eines Kapitels, die dazu aufforderte, den Inhalt einer Angst zu verändern.

Jetzt verstand ich endlich, warum mir meine Suchmaschine stets ein und dieselbe Zwangsstörung als Alternative mit anbot, immer wenn ich „Amnesiophobie“ eingab. Es handelte sich um Emetophobie – die Angst, kotzen zu müssen. Ich schau mal, ob das für mich in Betracht kommt. Vielleicht bei der nächsten Verwarnung vom Ordnungsamt.