Gesundheit

Angst vor dem Alter: Warum finde ich es komisch, wenn mir junge Menschen helfen?

Selbstdiagnose: Wie ein Besuch im Supermarkt mein Leben als Hypochonder auf den Kopf stellte und warum ich mir plötzlich alt vorkomme. Eine Glosse.

Ein Rentner auf einer Parkbank: Hat er die Angst vorm Alter überwunden?
Ein Rentner auf einer Parkbank: Hat er die Angst vorm Alter überwunden?Patrick Pleul/dpa

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Gerascophobie. Und das kam so: Ich war im Supermarkt, arbeitete mich im Schnellverfahren durch die engen, stark bevölkerten Gänge, hatte den Einkaufswagen und die Nase voll. Zum Glück stand ich bald schon an der Kasse, stopfte meine Besorgungen hastig in die mitgeführten Beutel. Da geschah es.

Ein Paket Nudeln fiel auf den Boden. Ich wollte mich schon danach bücken, als ein Mann, keine 30, wie aus dem Nichts neben mir auftauchte und das Paket aufhob, als wolle er mit der Beute unter dem Arm, einem Rugby-Spieler gleich, aus dem Laden sprinten. Stattdessen drückte er mir die Nudeln in die Hand. Ich dankte. Schließlich war das nicht selbstverständlich für eine Stadt, in deren Bussen und Bahnen Rentner jenseits der 80 im Gang stehen müssen, weil Mitte-Zwanzigjährige eine ganze Sitzreihe mit ihrem Hintern und einem kleinen Rucksack belegen.

Was war da los? Mit der Stadt? Mit mir? Ich sah vor meinem geistigen Auge den Nudelaufheber, wie er mich im nächsten Moment unterhakte, langsam zum angrenzenden Backshop hinüber an einen Fensterplatz geleitete und einen Kamillentee bestellte, damit ich mich von den Strapazen des Einkaufs erholen konnte. Das tat er zum Glück nicht. Er verschwand, ohne weiteres Aufsehen zu erregen. Trotzdem beschlich mich ein seltsames Gefühl. Ich bin ja nicht mehr der Allerjüngste.

Gut, dass es Suchmaschinen im Internet gibt, denn tatsächlich entpuppte sich die merkwürdige Empfindung wenig später als Furcht vor dem Altwerden. Ebenjene Gerascophobie, nicht zu verwechseln mit Gerontophobie, der Abneigung gegen alte Knacker. Letztere hat übrigens ein Gerontologe namens Alex Comfort erfunden.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Bequemlichkeit meinerseits spielte bei der Nudelepisode nun wirklich keine Rolle. Im Gegenteil: Nach Angaben einer Seite für phobisch veranlagte Patienten war ich offenbar sehr aktiv darin, tief in mir verborgene Ängste abzuwehren. Vor dem Ableben zum Beispiel, insbesondere dem eigenen. Dass ich mich deswegen vor alten Mitbürgern fürchtete, war eine haltlose Unterstellung jener Seite. Das wäre ja auch furchtbar, da mich seit einigen Jahren immer mehr betagte Menschen umgeben, obwohl sich der Kreis von Verwandten und Bekannten nur marginal verändert. Muss wohl am demografischen Wandel liegen.

Noch bevor ich länger darüber nachdenken konnte und sich die beschriebenen Symptome verfestigten, bevor sich Puls und Blutdruck erhöhten, Schweiß und Panik ausbrachen, beruhigte mich die Seite, indem sie darüber informierte, dass es ab 30 ganz normal sei, sich alt zu fühlen. Und dass Altwerden unbedingt als ein persönlicher Erfolg gewertet werden müsse. Ich konnte mir also herzlich gratulieren.

Liegt es am Alter, dass ich ständig Sachen um mich werfe?

Es war der erste Schritt zur Heilung. Ganz bezwungen hatte ich die Gerascophobie damit allerdings noch nicht. Das gelang mir erst neulich, als ich mit dem Rad eine stark frequentierte Berliner Ausfallstraße befuhr. Ich strampelte, als wollte ich dem Alter entkommen, da rutschte mein Brillenetui aus der Hosentasche. Die Brille kullerte über den Asphalt. Geistesgegenwärtig brachte ein junger Mann sein Lastenrad zum Stehen. Er hob das Etui auf. Ich bückte mich nach dem Rest – und kam tatsächlich so tief herunter!

Jetzt muss ich nur noch herausfinden, warum ich ständig mit Sachen um mich werfe. Das hat hoffentlich nichts mit dem Alter zu tun.

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