1000 Jahre Monarchie und immer noch im Sattel. Die Engländer und vor allem das Königshaus der Briten sind die Meister langlebiger Traditionen. Neuerungen stehen sie doch recht skeptisch gegenüber, nur sehr vorsichtig lassen sie sie zu. Vor allem wenn es um kulinarische Rituale rund um die Krönung geht. Halten Sie sich fest: Es wird eklig!
Manchmal dauert es sogar fast 1000 Jahre und das nur um einen grässlichen grauen Eintopf aus dem frühen Mittelalter abzuschaffen. Deutschland ist ja gerade einmal 150 Jahre alt und Spargel essen wir erst seit dem 17. Jahrhundert. Die folgende Geschichte beinhaltet neben Wilhelm dem Eroberer auch noch die Schlacht von Hastings (1066), einen Koch und dessen Nachfahren, ein englisches Landgut und den erblichen Titel „Master of the King’s Dillegrout“.

Das klingt doch alles irgendwie nach einem Kreuzritterfilm aus den 1950er-Jahren, mit Ava Gardner, Robert Taylor und Burt Lancaster oder Omar Sharif. Und da ist was dran, die Geschichte mit dem Ekeleintopf der bei jeder Krönung im Königreich gegessen werden muss, geht nämlich so:
1066: Wilhelm der Eroberer liebte den grauen Eintopf
Wilhelm der I., Herzog der Normandie, setzt im Jahr 1066, nach dem Tod von Eduard dem Bekenner, von der Normandie über den Ärmelkanal nach England über und eroberte das Königreich. Er schlug dabei die angelsächsischen Truppen der Thronerben des Hauses Wessex und wurde noch im Dezember des selben Jahres, gemeinsam mit seiner Frau Mathilde von Flandern, zum englischen König gekrönt. Was für ein Teufelskerl!
Zu diesem Anlass wurde der Koch des Königs, Tezelin sein Name, welcher wohl Seite an Seite mit dem König auf dem Schlachtfeld stand, beauftragt, ein für die Krönung würdiges Gericht zu kreieren. Aus süßem Wein und Mandeln kochte er eine Basis in der dann ein Kapaun (ein kastrierter Masthahn) und Pinienkerne gemeinsam mit Zucker, Salz, Nelken, Ingwer und Muskat schmorten. Man kann sich vorstellen, wie so eine graue süß-herzhafte Pampe schmeckt. Aber lassen wir uns mal drauf ein.

Dem Königspaar gefiel das Gericht so gut, dass sie Tezelin daraufhin das Landgut Addinton Palace mit weitläufigen Ländereien schenkten. Nicht aber ohne zuvor festzulegen, dass alle Nachfahren, die das Gut bewohnen zu jeder Krönung das, aus heutiger Sicht abscheuliche, Dillegrout kochen müssen und zwar für alle Teilnehmer der Krönungsfeierlichkeiten, auf eigene Kosten und bis in alle Ewigkeit.
Die Nachfahren des Kochs kochten Dillegrout bis 1821
So ist es zumindest im Doomsday Book, einem Grundbuch aus dem 11. Jahrhundert festgelegt. Und immerhin, bis 1821 haben sich die Nachfahren von Tezelin daran gehalten. Irgendwann war dann allerdings Schluss mit der ekligen Tradition. 1897 wurde das Landgut schließlich an einen Australier verkauft, fiel nach den Kriegswirren 1945 an örtliche Gemeinde, und meldete 2021 Konkurs an. Wie schade um die schöne Geschichte, offensichtlich aber nicht um das Essen.

Der ehemalige Koch der Queen, Darren McGrady, hat sich anlässlich der Krönung die Mühe gemacht, auf seinem YouTube-Kanal das grauselige Mittelalteressen nachzukochen. Gespickt mir allerlei Anekdoten und Referenzen über gelegentliche Zusammenkünfte mit der royalen Familie kocht der etwas unsichere McGrady das Gericht für die Zuschauer nach. Sie sollten sich das unbedingt ansehen. Nachkochen können Sie sich ja noch überlegen.
Schlussendlich landet es aber im Napf seines Hundes Winston. Damit ist die knapp 1000-jährige Geschichte dieses Gerichts wohl beendet. Ob es dem Coronation Chicken, welches anlässlich der Krönung der Queen 1953 ähnlich geht, wissen wir noch nicht. Immerhin kann man heutzutage, 70 Jahre später, immer noch Coronation-Chicken-Sandwiches, Coronation Mayo und Coronation-Chicken-Fleischwurst in England kaufen.

Vom Coronation Chicken bis zur Coronation Quiche
Aber leider auch schon Coronation-Chicken-Hundefutter. Die Queen wäre sicherlich not amused. Was aus der Coronation Quiche wird, die sich Charles und Camilla ausgedacht haben, und die das ganze Königreich heute essen soll, wird die Zeit zeigen. Bei Hundefutter geht der Trend heutzutage jedenfalls auch schon in Richtung vegetarisch.
Und eins noch: Das britische Essen hat ja einen wirklich miesen Ruf in der Welt. Zu Recht. Aber es tut sich was auf der Insel. Derzeit öffnen überall auf der Insel wunderbare Pubs mit exzellenter Hausmannskost aus frischen und biologischen Produkten. In England kann man mancherorts heutzutage mindestens so gut Essen wie in der Brandenburger Sandkiste. Und manchmal sogar besser als in Oberbayern.
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