Food & Drink

Einstein Unter den Linden: Burrata auf dem Boulevard

Daniel Achilles kocht nun im Einstein Unter der Linden. Ein kulinarischer Lichtblick zwischen Autohäusern, Buddy-Bären und Bud-Spencer-Museum.

Wow! Burrata mit Erbsen und grünem Gemüse.
Wow! Burrata mit Erbsen und grünem Gemüse.Nils Hasenau

Trotz meiner mehr als zwei Jahrzehnte in Berlin betrachte ich die Stadt manchmal wie eine Fremde. Sehe sie plötzlich so, wie man sie nur beim allerersten Mal wahrnehmen kann. Ich fuhr gerade mit dem Rad am Dom, der alten Wache und der Humboldt-Uni entlang, als mir der Lindenboulevard mit einem Mal so weltstädtisch, wunderschön und größenwahnsinnig wie Madrid erschien.

Lange hatte ich ihn nur als Baustelle wahrgenommen. Mich am Stau, den kommerzialisierten Läden gestört, ihn als reine Kulisse für Touristen gehalten, nicht aber als Lebensort für Berliner.

Lust an der Großstadt

Ein paar Tage davor hatte mir mein Kollege Erwin Seitz, der klug über Kulinarik und Gastronomie schreibt, sein neuestes Buch zugeschickt. „Unter den Linden – Biografie eines Boulevards“ heißt es. Vermutlich lag meine Sichtverschiebung daran.

Denn für Seitz haben die Deutschen historisch genau hier ihre Lust an der Großstadt, an der Gastronomie und Kaffeehauskultur, ja vielleicht sogar an der Demokratie entdeckt. Er erzählt die Geschichte des Boulevards anhand der Menschen, die ihn geprägt haben, und meint damit nicht Schinkel, den Hauptarchitekten, sondern vor allem die Künstler und Denkerinnen, die Köche und Gastronomen, die hier ansässig waren und verkehrten. In den Tanzlokalen, im Café Kranzler, dem Café Bauer, in Restaurants wie dem Hiller sowie dem Hotel de Rome und dem Adlon traf man sich zum Diskutieren, Ideenschmieden und Gedankenaustausch.

Artischocken-Risotto mit Belper Knolle
Artischocken-Risotto mit Belper KnolleNils Hasenau

Geschätzt 10.000 bis 20.000 gastronomische Sitzplätze gab es auf dem Lindenboulevard zu Beginn des 20. Jahrhunderts, schreibt Seitz. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war davon so gut wie nichts mehr übrig: Das Adlon abgebrannt, die wenigen verbliebenen Cafés und Restaurants pleite, und was dann die DDR schuf, hatte auch keinen Bestand.

Seitdem ist es um den Lindenkorso gastronomisch schwierig bestellt. Heute zählt er um die 2000 bis 3000 Sitzplätze, kulinarisch wird er eher von Touristenrestaurants und Systemgastronomie mit Convenience-Food dominiert.

Einer meiner Lichtblicke war schon immer das Café Einstein. Im Mikrokosmos ist es das, wofür mal der ganze Boulevard laut Seitz stand: ein Ort der Debatte und des Ideenaustausches, in dem Politik, Medien, Lobby und ein bisschen Prominenz ein- und ausgehen.

Radikal interpretiert

Jahrelang machte der Österreicher Siegfried Danler dort eine sehr ordentliche alpenländische Küche. Nun jedoch hat Daniel Achilles, ehemals 2-Sterne-Koch, den Posten als Küchenchef übernommen. Als ich das hörte, verabredete ich mich sogleich mit Erwin Seitz im Einstein zum Essen. Denn im Buch schreibt mein Kollege, der Lindenboulevard warte nur darauf, von gastronomischen Meistern wiederentdeckt zu werden. Und keine Frage, Daniel Achilles ist ein solcher Meister.

Ein stiller Meister, einer, der sich nicht unter Gästen oder im Fernsehen, sondern am Herd am wohlsten fühlt. Ziemlich radikal begann er 2009 im Reinstoff die Molekularküche für die Berliner zu interpretieren und entwickelte mehr und mehr seinen Stil, der ihm zwei Sterne einbrachte. Zuletzt hatte er im Eins44 eine herausragende Küche gemacht, für die er sicherlich bald einen Stern erhalten hätte. Doch Achilles entschied sich für mehr Bodenständigkeit, geblieben ist aber sein ausgeprägtes Gespür für die besten Produkte und Aromenharmonien.

Erwin Seitz freut sich wie ich über die Vorspeise: eine Rinderbouillon mit herrlich zarten, sehr dünnen Frittaten. An der Brühe, so die These meines Kollegen, zeige sich die Einstellung des Kochs. Hier schmeckt sie reintönig und kräftig, es wird nicht mit Pulverchen geschummelt, der Schnittlauch ist ebenso frisch wie der mit Butter gemachte Pfannkuchen darin. Auch das Backhendl, ein Klassiker auf der Karte, den Achilles vom alten Küchenchef Danler übernommen hat, besteht den Test mit Bravour: Die Panade ist so fein, dass die Brösel fast wie ein Tempuramantel aus Brandteig wirken. Darunter ausgelöstes, saftiges Huhn mit einer kräftig mit Paprika und Kräutern gewürzten Haut, an der ich sogar eine leichte Currynote zu schmecken meine.

Seitz schwelgt und sieht eine neue Zeit angebrochen, nicht nur für den Lindenboulevard, sondern für die Kulinarik ganz allgemein: Weg vom verkünstelten Teller mit vielen Elementen hin zu einer „Kultur der Tiefe und Könnerschaft“, wie er sagt.

Natürlich kann man schon fragen: Ist Daniel Achilles hier der richtige Mann? Einer, der statt 50 Eier in der Woche nun 1500 verarbeitet? Einer, der nun am Tag manchmal bis zu 1000 Essen raushauen muss und ein Dutzend Köchinnen und Köche in der Küche dirigiert?

Wahre Könnerschaft

Es ist ein bisschen, als stelle man ein Rennpferd in einen Stall, in den jeder zum Reiten kommen darf. Doch manchmal braucht es starke Impulse, um zu inspirieren. Und andersrum darf ein Koch seine Ziele verändern, um glücklich zu werden. Achilles Ziel ist, im Einstein seinen Einfluss langsam geltend zu machen, hier ein Abendgeschäft zu entwickeln und im privat angeschlossen Dining Room, dem Weinladen EX CHÂTEAU, der ebenfalls den Besitzern des Einstein gehört, für private Gruppen hier und da ein großes Menü zu kochen.

Was die reguläre Speisekarte des Einstein angeht, merkt man schon die ersten Veränderungen: Die österreichische Küche wird um Burrata aus der Region, Saisonales wie Spargel und Rhabarber und Mediterranes wie Risotto mit Artischocke erweitert. Es wird leichter, frischer, verspielter, saurer. Der fast sahnigen Konsistenz der Brandenburger Burrata werden fast roh belassene junge Erbsen, säuerlich marinierter grüner Spargel und maximal knackiger wilder Brokkoli gegenübergestellt. Die Kühle der Elemente unterstützt die Frische, gewürzt wurde dezent, damit die Eigenaromen für sich sprechen.

So darf jedes Mahl beendet werden:  Götterspeise mit Zitrusfrüchten und Vanilleeis
So darf jedes Mahl beendet werden: Götterspeise mit Zitrusfrüchten und VanilleeisNils Hasenau

Auch das Risotto ist perfekt und zeugt von wahrer Könnerschaft, wenn man es so wie hier im stressigen Tagesgeschäft hinbekommt: auf den Punkt gegarter Reis, dabei schön in die cremige Soße eingebunden, die nach nussiger Artischocke schmeckt. Artischockenböden gibt es einmal als Chips frittiert und gebraten. Und statt des bekannten Parmesans hebt Achilles eine Belper Knolle unter, ein rassigerer Rohmilch-Hartkäse, von dem hauchfeine Scheibchen auf dem ebenfalls auf der Zunge zergehenden Saibling schmelzen.

Erwin Seitz sieht sein Ziel verwirklicht, dass mit dieser Küche nun jeder am guten Leben teilhaben kann. Koch, Kreativpartner und Konzept werden mit der Zeit sicherlich noch mehr zusammenzufinden. Und für mich ist der Boulevard Unter den Linden jetzt nicht mehr derselbe.


Frühstück 7,50–22 Euro, Jause, Vorspeisen und Suppen 12–19 Euro, Hauptspeisen 25–33 Euro, Nachtisch 16 Euro

Einstein, Unter den Linden 42, 10117 Berlin, Mo–Fr 8–22 Uhr, Sa 10–22 Uhr, So und Feiertags 10–18 Uhr

Tel: 030 2043632, office@einstein-udl.com, www.einstein-udl.com