Wir alle reden uns hier und da ein paar Dinge schön. Vielleicht hat das auch Küchenchef Friedemann Heinrich getan, als er als Executive Chef im kürzlich eröffneten JW Marriott Hotel im Tiergarten anfing.
Dieses Hotel, das früher das Maritim war und nun zum globalen Portfolio der größten Hotelgruppe der Welt zählt, hat gigantische Ausmaße: 505 Zimmer und Suiten, 48 Kongress- und Tagungsräume, den größten Hotelballsaal der Stadt für 2300 Gäste, gleich mehrere Restaurants, eine eigene Bäckerei mit Kaffeehaus, eine elegante Abendbar, eine Lobby Lounge Bar für Champagner und Afternoon Tea sowie eine Cigar Lounge und natürlich auch sämtliche Wellness-Annehmlichkeiten.
Luxus und achtsamer Lebensstil
Bis 2025 wird hier noch weiter renoviert, um – wie es heißt – das „moderne Luxuskonzept“ voll umzusetzen und „den Bewusstseinswandel hin zu einem achtsamen Lebensstil“ zu fördern. Doch die erste Transformation ist geschafft: Sämtliche gastronomischen Bereiche sind von ihrem ehemals neobarocken Kitsch befreit und Friedemann Heinrichs kulinarischer Regie übergeben. Eine Riesenchance für ihn, der in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchs und einige Jahre im Ritz Carlton in Doha kochte.

Er habe sich, wie das Hotel insgesamt, voll und ganz den neuen Zielen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes verschrieben, erzählt mir der sympathische Koch beim Presseessen. Und nennt gleich ein paar Beispiele: Im Frühstücksbereich etwa habe er den weitgereisten Räucherlachs durch lokalen Räucherstör und Lachsforelle aus dem Fläming ersetzt. Statt Nutella gäbe es eine Presse, in welche die Gäste Nüsse selbst einfüllen und eine Nusspaste herstellen können.
Ebenso könnte man im Market Restaurant die Kräuter für den Teller selbst im Garten pflücken und Samen nach Hause zum Pflanzen mitnehmen. Und als letzten Beweis: Oben auf der Dachterrasse schwirre nun das eigene 18.000 Mitglieder starke Bienenvolk in den benachbarten Tiergarten aus, um hoteleigenen Honig zu produzieren.
Ein kleines Gläschen davon gibt es als Give-Away. Wunderbar, denke ich, das hört sich doch gut an, und nehme dem Küchenchef seinen Anspruch gerne ab. Allerdings sitze ich gerade im neuen Herzstück des Hotels, dem JW Steakhouse, benannt nach den Initialen des Hotelgründers J. Willard Marriott, der ehemals mit zwei Motels in Maryland startete.
Heute führt seine Gruppe weltweit fast 8500 Hotels unter 30 Markennamen, und auch das JW Steakhouse existiert bereits in etlichen Häusern von Los Angels bis London. In Deutschland gibt es nun sein Debüt in Berlin, offenbar wurde das dem neuen Executive Chef so vorgegeben. Es ist ein Restaurant, das sich voll und ganz dem Fleisch verschreibt.
Rinder aus dem Umland
Das muss man sich dann bei all den hehren Klimaschutzzielen doch ein bisschen schönreden, nehme ich an. Friedemann Heinrich spricht daher auch gleich vom regionalen Anspruch, den er umsetzt: Statt aus Japan, Australien und den USA kommt sein Rindfleisch 70 Kilometer nördlich und östlich aus dem Berliner Umland und Bayern. Auch kaufe er ganze Tiere und verwerte möglichst alles in den verschiedenen Küchen. So lerne sein Team auch, wie man zerlegt und reiße nicht wie in anderen Küchen nur Vakuum-Packungen auf.

Natürlich kann sich auch ein Steakhouse Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Besser ein Aubrac-Rind aus Brandenburg als ein Tomahawk aus Argentinien. Aber egal, ob Tausende Kilometer angekarrt oder nicht, wirklich nachhaltig wird Fleisch nicht werden. Die Zahlen sprechen da leider für sich, weil einfach unendlich viel Wasser und CO2 in einem Kilogramm rotem Fleisch stecken.
Doch ich bin die Letzte, die lustfeindlich sein will. Ich reite nur darauf rum, weil sich das Hotel ausgerechnet unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit neu erfindet. Gleichzeitig freue ich mich natürlich, endlich mal wieder in einem richtigen Steakhouse zu sitzen.
Das gediegene Herrenclub-Ambiente mit seinen Art-Deco-Lampen, dunklen Holzwänden und gerafften Vorhängen im JW Marriott stimmt mich sofort nostalgisch. Kaum habe ich in einem der roten Samtsessel Platz genommen, stellt sich Entspannung ein. Ich muss aufpassen, nicht allzu sehr im Sessel zu versinken. Immerhin sind die Rückenlehnen sehr aufrecht, sodass ich Haltung annehmen kann, als die ersten Teller kommen: Spürbar bemüht sich das Steakhouse, auch an Vegetarier zu denken.
Die Hälfte der Vorspeisen auf der Karte kommt ohne Fleisch oder Fisch aus. Auf einen Eisbergsalat etwa, der leider mit einem etwas zu faden Dressing aus bayerischem Blauschimmelkäse angemacht ist und mit seinen Sonnenblumenkernen und Dörrtomaten trotz des knackigen Salats seltsam trocken wirkt, folgt eine tolle Büffel-Burrata aus Kremmen.
Hier bekomme ich die Sahnigkeit, die beim Blauschimmel-Dressing fehlte. Die Burrata ist fantastisch und endlich mal ungewöhnlich kombiniert: Statt Tomate wird sie von gerösteten Ackerbohnen und einer katalanischen Romesco-Soße begleitet, die durch ihre vollmundigen Röstaromen von Paprika, Knoblauch und Mandeln überzeugt.

Natürlich darf aber im Steakhouse ein Rindertatar als Vorspeise nicht fehlen. Es ist das JW Signature Dish, hier vom Aubrac-Rind, das in Suckow aufgezogen und geschlachtet wurde. Sein T-Bone, aus dem hinteren Bereich des Rückens geschnitten, wird wochenlang im hauseigenen Dry Ager gereift und als Steak im Hauptgang serviert.
Fürs Tatar wird das fettärmere Filet frisch verarbeitet und roh mit der klassischen Marinade aus Anchovis, Cornichons, Schalotten, Paprika, Salz, Senf, Tomatenjus, Zitronensaft und Olivenöl verrührt. Ein Genuss, vor allem, weil es die perfekte Schärfe vom Senf und Pfeffer hat. Unbedingt dazu essen sollte man das buttrige Brioche aus der Hausbäckerei mit seiner Prise feinster Salzflocken.
Danach kommt das T-Bone auf den Tisch, ohne Frage das Highlight. Die vegane Alibi-Alternative, eine Sellerie-Winterknolle, stundenlang mit Haut gegart und mit Selleriebutter überzogen, hat dagegen keine Chance. Das Fleisch hat so herrliche Holzkohlegrill- und Fleischaromen, dass mir wieder klar wird, warum aus mir niemals eine Vegetarierin werden wird.
Die hausgemachte Rinderbratwurst dagegen tausche ich jederzeit gegen den Sellerie. Hier muss die Küche noch tüfteln, damit das Brät weniger bröckelig im Mund ist. Ebenso nacharbeiten muss sie auch am Mecklenburger Hähnchen. Es ist im Josper-Ofen geröstet, leider hat es aber viel zu viel Salz abbekommen – nicht nur die Haut, auch das darunterliegende Fleisch schmeckt fast wie gepökelt.

Das jedoch sind Kinderkrankheiten, vermutlich den Anfängen geschuldet. Die Rotweinsoße aus den Knochen gekocht, das Haus-Ketchup, die Beilagen wie handgeschnitzte Pommes oder buttriges Kartoffelpüree, der herrliche Käsekuchen als Nachspeise mit seiner leicht salzigen Graham-Cracker-Kruste – das alles sind schon ziemlich vollendete JW-Steakhouse-Klassiker.
Ich genieße sie sehr, denn schließlich sitze ich nicht häufig in einem Steakhouse. So zumindest rede ich mir meine persönliche Klimaschutzbilanz schön.
Vorspeisen 10–19 Euro, Hauptgerichte 19–59 Euro, Dry Age je 100 Gramm 17–19 Euro, Beilagen 5 Euro, Desserts 8–12 Euro










