Inzwischen müsste klar geworden sein, dass ich ein ziemliches Faible für die alpenländische Küche hege. Seien es Gene, meine bayerische Herkunft oder einfach nur jede Menge Erinnerungen, ich weiß es selbst nicht – aber schon die bloße Erwähnung der Worte Knödel, Tafelspitz oder Kaiserschmarrn lassen mein Herz höher schlagen.
Obwohl ich nur wenige Straßenkreuzungen entfernt vom Gasthaus Zum Dritten Mann wohne, einem österreichischen Restaurant auf der Kollwitzstraße, war ich in den rund 13 Jahren seines Bestehens höchsten drei-, viermal dort essen. Ich kann mich an ein passables Schnitzel erinnern, irgendwann mal ein Frühstücks-Omelette, weil die umliegenden Cafés proppenvoll waren. Ach ja, und im Lockdown kaufte ich mal Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster, den mir das Team aus dem Fenster herausreichte. Die Schließung des Dritten Mann Anfang des Jahres hat jedoch kein besonderes Gefühl in mir ausgelöst.
Ein paar Jugendsünden, die mit Österreich zu tun haben
Allerdings wartete ich gespannt darauf, was mit dem schönen Ecklokal – eigentlich vom Schnitt eine perfekte Gastrolocation – passieren würde. Im Januar erstmal nichts. Irgendwann wurden die großen Fenster von innen mit Papier zugeklebt, und der Schriftzug „Sodazitron“ tauchte auf.
In meiner Kindheit verbrachte ich so gut wie jeden Urlaub in Österreich beim Wandern, die Winter auf Skihütten. Ich möchte daher behaupte, ich kenne mich mit österreichischer Ess- und auch Trinkkultur aus. Ob die Kräuterlimo Almdudler oder der Durstlöscher Schiwasser, eine Mischung aus Himbeersirup, Zitronensaft und Wasser – ich habe in meinem Leben schon viele Liter davon in mich hineingeschüttet. Leider auch von Red Bull, das wir damals palettenweise im VW Käfer unter der Sitzbank über die Grenze schmuggelten, weil es in Deutschland noch illegal war. Ebenso sind mir Jagertee, Tipperl, Rüscherl und auch ein Stamperl Willi oder Zirberl keine Fremdwörter. Aber Sodazitron?
Die Weinkarte ist fest in der Hand der Österreicher
Ich wusste nichts damit anzufangen. Seitdem vor ein paar Wochen aber ein neues Restaurant mit diesem Namen als Nachfolger des Dritten Mann eröffnete, weiß ich, dass es sich um einen namensgebenden Drink handelt. „Sodazitron“, so steht auf der Webseite zu lesen „ist Kult! Die Mischung aus Sodawasser, also Sprudelwasser und frisch gepresstem Zitronensaft ist DAS Erfrischungsgetränk der Alpen“.
Auch wenn ich persönlich diesen Namen für ein Restaurant irgendwie irreführend finde, freute ich mich, dass jemand einen neuen Anlauf für ein anspruchsvolles österreichisches Restaurant hier im Kiez startet. Natürlich habe ich bei meinem ersten Besuch sofort Sodazitron bestellt. Mein Urteil: so sauer, dass sich alles zusammenzieht. Kein Fitzelchen Zucker versüßt den Drink, ziemlich schnell schwenkte ich daher auf ein Glas Blaufränkischen um – ein schön brombeeriger Rotwein vom Winzer Kranixfeld zu einem sehr fairen Preis.
Die Weinkarte ist fest in der Hand der Österreicher: Grüner Veltiner, Zweigelt, Gemischter Satz sowie bei den Roten Blaufränkisch als dominierende Trauben. Ein paar deutsche Weißweine sowie Spätburgunder von ebenso handwerklich und familiär geführten Betrieben durften sich qua unschlagbarer Qualität reinschmuggeln, etwa ein Riesling vom Pfälzer Weinvisionär Stefan Lergenmüller oder Weine von Bassermann-Jordan und Emrich-Schönleber.
Traum vom eigenen Restaurant
Die Weinkarte wird kuratiert vom Sommelier Bernhard Moser, einem gebürtigen Salzburger, den man in Berlin aus vielen Zusammenhängen kennt. Derzeit schmiert er am Hauptbahnhof mit einem Team täglich Tausende Brote, damit unsere ukrainischen Gäste bei ihrer Ankunft etwas zu essen haben. Er sitzt zudem im Präsidium des Berliner Hotel- und Gaststättenverbandes, betreibt die Weinschule Berlin und agiert als Festivaldirektor der von ihm gegründeten Foodmesse Eat Berlin, die er wegen des Krieges gerade verschoben hat.
Nun ist er – aus seiner Sicht durchaus logisch – den Schritt unter die Gastronomen gegangen. Zusammen mit drei anderen ausgewanderten Österreichern hat er sich den Traum vom eigenen Restaurant erfüllt. Die Küche verantwortet der Tiroler Harald Höllrigl. Er lebt schon seit 30 Jahren in Berlin, hier war er unter anderem auch mal Küchenchef im Restaurant Borchardt. Im Sodazitron macht er nun eine durch und durch klassisch österreichische Küche – mit erfreulich hohem handwerklichen Anspruch.
Fleischbrühe voller süßer Röstaromen
Ich starte mit einem im eigenen Fett rundum kross gerösteten Stubenküken. Brust und Schenkel liegen auf einem gut dazu ausgesuchten, mit Rahm unterfütterten Sellerie-Birnen-Salat, dazu Tupfen vom Preiselbeer-Gelee. Frisée, Salzmandeln und Popcorn bringen Crunch, ein gebrannter Mandel-Fleischjus mit viel Umami zusätzlich Röstnoten. Das Gericht ist feiner komponiert und angerichtet, als ich es erwartet hätte. Ich bin sehr zufrieden.

Mein Lieblings-Essengehens-Freund begleitet mich. Der Arme hat die letzten Monate gezwungenermaßen eine magenschonende Diät machen müssen. Nun darf er zum ersten Mal wieder essen, wenn auch ohne Kohlenhydrate. Doch an fleischhaltigen Speisen fehlt es hier nicht. Er hat die Tafelspitzbrühe mit Leberknödel gewählt. Trotz des hervorragenden Stubenkükens bin ich fast ein wenig neidisch. Die kleinen, feinstofflichen Leberknödel mit ihrem herb-würzigen Geschmack sind geradezu fluffig und als Einlage samt frisch gehobelten Kren einfach herrlich. Ebenso die dunkle, einreduzierte Fleischbrühe voller süßer Röstaromen von Wurzelgemüsen und Salzen.
Getränk weniger eine Offenbarung
Glücklicherweise bekomme ich sie selbst im nächsten Gang. Denn der Tafelspitz, hier kein mageres Kalb, sondern ein durchwachsenes, aber geschmacklich umso intensiveres Schulterscherzel vom Rind, wird im Kupfertopf samt Suppe serviert – mit sehr guten, aus rohen Kartoffeln geraspelten Rösti, einer frischen Schnittlauchsauce und mildem Apfelkren, den man wie Mus einfach löffelweise dazu essen kann.
Wie freue ich mich übers Sodazitron. Als Getränk weniger eine Offenbarung, aber als neue Anlaufstelle für alpenländische Küche eine Bereicherung.
Preise: Vorspeisen 7–15 Euro; Hauptgerichte 18–38 Euro; Desserts 9–11 Euro;
Infos: Restaurant Sodazitron, Kollwitzstraße 87, 10435 Berlin; Mo, Mi–Fr 18–24 Uhr sowie Sa–So 12–24 Uhr; info@soda-zitron.de; Tel: 030 72006367; https://www.soda-zitron.de



