Food & Drink

Neuer Gastrotrend in Berlin: Grillen über dem Holzfeuer

Das Berliner Gastroteam Ember bereitet Grillgut auf die älteste Art der Welt zu - über einem Holzfeuer. Tschüss Spießerglück mit Webergrill und Nackensteak.

Eine ganz besondere Hitze: Das Holzfeuer, auf dem das Ember-Team seine Speisen zubereitet.
Eine ganz besondere Hitze: Das Holzfeuer, auf dem das Ember-Team seine Speisen zubereitet.Jonas Kolahdoozan

Treppauf, treppab, dann: wow. In den stasiaktenartigen Regalen sind Blumenvasen und Weinflaschen aufgereiht, der Gitterboden gibt den Blick auf die untere, temporär zur Küche umfunktionierte Etage frei. Quer durch den turnhallenhohen Raum verläuft eine Tafel mit dreißig Sitzplätzen, darüber baumelt etwas, das sich nicht zwischen Lampe und Kunstobjekt entscheiden mag. Gespräche in Deutsch und Englisch mischen sich mit Kendrick Lamar, die Temperatur ist niedrig, der Stimmungspegel hoch.

Grillen, aber nicht im deutschen Sinne

Willkommen bei Berlins außergewöhnlichstem Gastrokonzept, das weder Pop-up ist noch Supper Club und schon gar kein Restaurant. Stattdessen handelt es sich um Dinner mit begrenzter Teilnehmerzahl an wechselnden, geheimen Orten. Gebucht wird über die englischsprachige Website, 110 Euro kostet das Menü, 60 Euro wird für die Weinbegleitung fällig, die Hälfte für eine ohne Alkohol. Messerscharf ist das Konzept dessen, was auf dem Teller landet. Bei Ember wird gegrillt, und zwar nicht im deutschen Sinn – Weber-Grill, mit Bier abgelöschtes Nackensteak –, sondern auf internationalem Niveau. Tobias Beck hat beim Besten seines Fachs gelernt, dem Argentinier Frances Mallmann, bekannt aus der Netflix-Serie Chef’s Table. Und serviert jetzt Berliner Foodies Austernbratwurst mit hausgemachter Senfsauce und geräuchertem Kartoffelsalat.

Herren des Feuers: Die Ember-Gang Hatim Zubair (l.), Tobias Beck und Paul Gerber
Herren des Feuers: Die Ember-Gang Hatim Zubair (l.), Tobias Beck und Paul GerberJonas Kolahdoozan

Am Vortag des Dinners treffen wir den 28-Jährigen gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Hatim Zubair im Friedrichshainer Neumanns, einem seiner Stammcafés, er wohnt schräg gegenüber. Beck hat sympathische Knopfaugen und eine zugängliche Art. Trotz coronabedingt gekippter Fenster trägt er zur weißen Cordhose lediglich ein T-Shirt – wahrscheinlich kein Zufall für einen, der so nah am Feuer gebaut ist, dass er sich zu Beginn seiner Kochkarriere regelmäßig die Finger daran verbrannte. Aufgewachsen ist er im in szenetechnischer Hinsicht eher lauwarmen Mannheim, in einer eher unkulinarischen Familie. Nicht mal irgendwelche Omas-Kochtopf-Geschichten gebe es zu erzählen, wie Beck lachend bemerkt.

Nach einem Wirtschaftsstudium schlug er zum Entsetzen seiner Nahestehenden ein Angebot als Sales-Irgendwas bei Mercedes aus, um ohne Kochausbildung ins Kopenhagener Noma zu marschieren. Nach einem kurzen Wurstplatten-Anrichten-Stopp in Christian Lohses ehemaligem Fischers Fritz landete er für zwei Jahre im Berliner Ernst. 2019 führte ihn sein Weg dann zum Feuergott Mallmann, eine „ultimative, augenöffnende Erfahrung“. Um einzelne Gerichte sei es dort kaum gegangen, sondern hauptsächlich um die Technik. „Holz als Wärmequelle ist viel eleganter als Kohle“, so Beck und erinnert sich daran, wie meditativ es war, den Tag mit Feuermachen zu beginnen. Leider, leider sei die Holzproduktion ein „dirty Business“. Er tut sein Bestes, um dem entgegenzuwirken. Sein Buchen- und Eichenholz bezieht er von einem jungen Sachsen, über den er viel lieber spricht als über seine Essenslieferanten: „Bertram pflanzt für jeden gefällten Baum einen neuen. Das hat seinen Preis, aber mir ist es das wert.“

Crémant zum Eingrooven

Ember bezeichnet sozusagen frische Holzkohle, jene weiße, extrem heiße Glut, die direkt nach dem Verbrennen entsteht. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein extrem stimmiges Gastrokonzept. Angefangen beim von der Berliner Grafikagentur Pizza Pizza entworfenen Design über die Zusammenstellung des Teams, zu dem unter anderem Becks Jugendfreund Paul Gerber gehören und der 38-jährige, aus Kanada stammende Zubair, der zuletzt Gastgeber im legendären Fäviken war, und schließlich die viermal jährlich wechselnden Locations.

Los ging es im Sommer 2020 in einem hinter der Frankfurter Allee gelegenen Hof, es folgte das im Bezirk Treptow-Köpenick gelegene Schmöckwitz, dann das Funkhaus. Immer geht es dabei auch um den Überraschungseffekt. Am Frankfurter Tor lotste der anzugtragende Hatim die Gäste weg vom Dreck in einen romantischen Innenhof, in Schmöckwitz saßen die Gäste nicht hochzeitsmäßig am Seeufer herum (Beck: „Um Himmels willen, bloß keine Hochzeitsvibes!“), sondern in einem um eine Rotbuche herumgebauten Raum.

Die aktuelle Reise führt nach Marzahn, in ein ehemaliges Werkzeugarchiv. Das offene Feuer brennt dieses Mal auf dem Hof (nicht wie im Funkhaus auf dem Dach) und dürfte keine Anwohner vergraulen, es gibt nämlich keine. Zum „Eingrooven“ werden Crémant und Kombucha von Bouche ausgeschenkt, deren Brauerei sich nur wenige Meter entfernt befindet. Dann wird der erste Gang aufgetragen, über Kiefernholz geräucherte Austern mit Kohl und Blutorangen, eine bitter-rauchig-süße Offenbarung für alle, die finden, dass Austern nach Glibber und Meerwasser schmecken. Muscheln aus der Asche bekommen eine Art Kichererbsenpfannkuchen und Kornellkirschen zur Seite gestellt, wieder eine traumhafte Verbindung von Feuer und Meer. Vegetarierinnen freuen sich über Cider-Spätzle mit geräucherten Linsen, Buchweizen und Pilzöl, Pescetarierinnen über die in wunderbar ausbalancierter Zitronensauce badende Rotbarbe. Konsequent taucht das Feuerthema auch im Dessert auf, einer gegrillten Zitronentarte mit leicht angekokelter Meringue. Becks Kunst besteht darin, dem Feuer ein so breites Aromenspektrum abzutrotzen, dass einem weder langweilig wird noch die Röst- oder Rauchnoten überhand nehmen.

So kannte Oma ihren Grünkohl sicherlich nicht: Als köstlich-gesundes Grillgut macht sich das Gemüse zusammen mit Mangold auf dem Feuer ganz vortrefflich.
So kannte Oma ihren Grünkohl sicherlich nicht: Als köstlich-gesundes Grillgut macht sich das Gemüse zusammen mit Mangold auf dem Feuer ganz vortrefflich.Jonas Kolahdoozan

Hinterher ist nur der Gaumen schlauer, nicht unbedingt der Kopf. Es gibt nämlich, und das ist neben der Vorliebe für offenes Feuer das zweite Alleinstellungsmerkmal von Ember, keine Unterrichtseinheiten zum Thema Regionalität, Saisonalität und Bezugsquellen. Kaum ein ambitioniertes Restaurant, das derzeit nicht jedem Teller einen Minivortrag voranstellt über den Stammbaum des Rindertatars auf dem Teller oder den Lebenslauf dessen Bauern. In Extremform geschieht das beispielsweise an Becks früherer Wirkstätte Ernst, wo die Gäste am besten die Gespräche ganz einstellen. Der Jungkoch hingegen findet: „Tolle Produzenten sollten Standard sein, ich muss nicht jeden davon einzeln erwähnen, wenn der Gast nicht danach fragt.“ Ja, bei Ember kann es durchaus passieren, dass man gegen Mitternacht leicht beschwipst vom wahnsinnig guten, salzigen Quittensaft die Reise zurück ins Stadtzentrum antritt, ohne zu wissen, woher das Brot kam (Sofi) oder das Olivenöl (von einer kürzlich zurückliegenden Sizilienexkursion) oder der fantastische Deichgraf-Käse (von der Insel Pellworm). „Ember ist keine Egonummer, es geht nicht darum, mir als Koch einen Altar zu bauen, sondern um dich, darum, dass du einen großartigen Abend hast, mit tollem Essen und spannenden Weinen.“ Im Idealfall kommen Menschen als Paare und gehen als Gruppen.

Auch sonst will der Wahlberliner, der eine Vorliebe für alte Kochbücher und deutsche Esskultur hat, einige Dinge anders handhaben, wie er bei seinem zweiten Kuhmilchcappuccino im Neumanns verrät. „In unserer Küche wird nicht geschrien. Unbezahlte Praktika, wie sie in so vielen gehobenen Restaurants an der Tagesordnung sind, gibt es bei uns nicht. Natürlich werde ich das System nicht von Grund auf verändern, aber doch einen Beitrag dazu leisten.“

Dazu gehört auch die ganz und gar unglaubliche Tatsache, dass Ember nur einmal pro Woche stattfindet. Die Mitarbeitenden – aktuell sind es drei Festangestellte plus drei bis vier Servicekräfte an den Event-Tagen – sollen nicht nur einen Job, sondern auch ein Leben haben. Wie das finanziell hinhaut? Durch private Veranstaltungen und Firmenevents, wobei der Wirtschaftswissenschaftler da schon recht genau selektiert, also „keine Weihnachtsfeier für zweihundert Leute“. Was er ebenfalls nicht anstrebt, ist ein richtiges Restaurant. „Das Tolle an Ember ist, dass es in einen Truck passt.“ Passenderweise hat er kürzlich den LKW-Führerschein gemacht. Und der will genutzt werden: Im Mai geht es erst mal nach Südtirol und in die Pfalz zum Weingut Odinstal, bevor der Grill im Hochsommer dann wieder in Berlin angeworfen wird. Gut so. Mit einer Sache müssen die Gäste allerdings klarkommen: Dass ihre Kleider hinterher ein wenig nach Rauch riechen.

Weitere Informationen unter: https://ember-ofc.com

Reservierungeninfo@ember-ofc.com

Instagram: @ember_ofc


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