Berlin – New York: Die Verbindung steht. Samstagnachmittag 17 Uhr nach Berliner Zeit, auf der anderen Seite des Atlantiks ist es elf Uhr morgens. Erkan Emre wirkt ausgeschlafen und wie jemand, der sehr auf sich achtet: Die Rasur ist perfekt, das sympathische Lächeln würde jede Zahnpastawerbung veredeln. Zur weißen Apple Watch trägt er ein dunkelblaues Shirt mit einem Dönerspieß-Print darauf. Sein Zoom-Hintergrund zeigt die Brooklyn Bridge, davor ist das Logo seines Unternehmens Kotti Döner https://kottidoner.com zu sehen. Emres Vita klingt wie der Inbegriff des American Dream: 1976 in Berlin-Kreuzberg geboren, hat er das inoffizielle Signature Dish seines Kiezes nach New York importiert, oder um es mit seinen eigenen Worten zu formulieren: „Now you can enjoy a taste of Berlin without the jet lag. No passport required!“ – Jetzt können Sie den Geschmack von Berlin ganz ohne Jetlag genießen. Sie brauchen nicht mal einen Pass!
Herr Emre, Sie sind von Berlin nach Brooklyn gezogen. Wie kam es dazu?
Nach dem Abitur ging es für mich in die USA auf Backpacking-Tour. In New York habe ich mich direkt wie zu Hause gefühlt, die Menschen hier sind sehr offen, das hat mich an Berlin erinnert. 1997 habe ich dann mit meinem Architekturstudium begonnen und anschließend als Architekt gearbeitet. Nach zwölf Jahren habe ich umgesattelt auf Finanzwesen, in Form eines entsprechenden Studiums in Harvard. Was immer blieb, war der Heißhunger auf das Essen meiner deutsch-türkischen Heimat. Aber verrückterweise blieb meine Suche nach einem authentischen Döner ergebnislos. Dabei ist so ein Döner doch das perfekte Quick Service Food, das die Amis so gerne mögen. Okay, dachte ich, wenn das keiner macht, mache ich das eben.
Emre öffnet eine Bildschirmpräsentation mit sehr vielen Folien. Die ersten Fotos zeigen ihn in seiner privaten Küche mit einem Mini-Dönerspieß, beim Dürüm rollen. Ein weiteres Bild zeigt Menschen mit Dönersandwiches in der Hand, die Fragebögen ausfüllen.
Was sehen wir auf diesem Foto? Was für Fragebögen füllen die Leute darauf aus?
2015 habe ich für die Nachbarschaft ein Gratis-Döner-Event veranstaltet. Anschließend sollten die Gäste notieren, was sie mochten, was nicht, und welche Verbesserungsvorschläge sie haben. Auf Basis dessen habe ich gemeinsam mit meinem Geschäftspartner Michael Stark die Idee für Kotti Döner entwickelt.
Stimmt es, dass Stark bis dahin noch nie einen Döner gegessen hatte?
Stimmt genau. Aufgewachsen ist er in Heilbronn, 1995 ist er nach New York ausgewandert. Scheinbar gelangte der Döner in den Achtzigern und Neunzigern aber nicht bis nach Süddeutschland. Ich bin dann erst mal mit ihm nach Berlin geflogen, für eine zwölfstündige Dönertour, mit dem Ziel, uns einen Überblick über das Angebot in der deutschen Hauptstadt zu verschaffen Als Nächstes haben wir ein Testessen für 500 Leute veranstaltet und wurden daraufhin 2016 zum Foodfestival Smorgasburg eingeladen. Das ist ein in mehreren amerikanischen Städten stattfindender Open-Air-Foodmarkt, die New York Times nennt ihn „The Woodstock of Eating“. Dann ging alles sehr schnell: Ich habe meinen Job als Immobilienentwickler gekündigt und innerhalb eines Jahres meine beiden ersten Restaurants eröffnet, in der Dekalb Market Hall in Downtown Brooklyn und in der Industry City, einem Freizeitareal im Stadtteil Sunset Park, ebenfalls in Brooklyn. Ende 2020 kam eine dritte Location in der Lower East Side dazu, 2021 folgte dann die vierte in Midtown. Von Anfang an habe ich mich gefragt, wie wir Standards optimieren können: 28 Sekunden brauchen wir für einen Döner mittlerweile von der Bestellung bis zum fertigen Produkt.
Auf Ihrer Website heißt es, der Döner sei am Kottbusser Tor erfunden worden. Nicht zuletzt der Verband Türkischer Dönerhersteller geht aber davon aus, dass es der 2013 verstorbene türkische Gastronom Kadir Nurman war, der Berlin mit der Idee des Fleischsandwiches-To-Go beglückte, und zwar bereits Anfang der Siebziger am Berliner Bahnhof Zoo.
Ach, dieser blöde Wettbewerb. Wer kann das schon genau wissen? Für mich kommt der Döner aus Kreuzberg, da bin ich Patriot.
Patriot hin oder her, seit 24 Jahren sind die Vereinigten Staaten Ihre neue Heimat, Sie leben mit Ihrer Familie in Brooklyn.
Ja, meine Kinder sind mittlerweile sieben und elf Jahre alt und wachsen hier dreisprachig auf: Englisch, Deutsch, Türkisch. Dass meine Frau mir nach sieben Jahren Fernbeziehung in die USA gefolgt ist, war ein großes Glück. Wir kennen uns seit dem Gymnasium. Ob Sie’s glauben oder nicht: Bei unserem ersten Date haben wir am Kotti Döner gegessen.

In New York wäre das wohl schon ein teures Date für Schüler: 14 Dollar kostet bei Ihnen ein Döner. Das ist alles andere als günstig. Wer sind Ihre Gäste?
Banker, Hedgefond-Manager, junge Familien ... Viele davon betrachten einen Döner-Lunch bei uns als Teil ihres Lifestyles.
Stichwort Lifestyle: Sie wenden sich mit Ihrem Angebot an ein „gesundheitsbewusstes Publikum, das gesundes und nachhaltiges Essen verlangt, das ebenso gut für sie selbst ist wie für den Planeten“. Nun steht so ein Döner ja nicht gerade im Verdacht, besonders gesundheitsfördernd zu sein.
Ich weiß, dass er den Ruf eines nächtlichen „Drunk Food“ hat. Das trifft auf uns schon deswegen nicht zu, weil wir um 22 Uhr schließen. Abgesehen davon sind alle Zutaten frisch und hausgemacht, vom marinierten Rotkohl bis hin zu den Saucen. Das Brot für unseren Döner wird in einer Bäckerei in New Jersey gebacken, das aus Pennsylvania stammende Hühnerfleisch verfeinern wir mit fünfzehn verschiedenen Gewürzen. Zweimal am Tag wird es aufgespießt. Bei uns kommt nichts aus der Tiefkühltruhe.
Ihr Fleisch ist halal, antibiotika- und hormonfrei, bio-zertifiziert ist es aber nicht, oder?
„Organic“ ist unser Fleisch nicht, aber alle anderen Eigenschaften stimmen. Ich bin mir sicher, dass die Landwirte das entsprechende Siegel bekämen, wenn sie es beantragen würden.
Was bieten Sie für Kunden an, die keinen Döner mögen?
Alternativ servieren wir einen Kebap Taco, eine Keto Salad Bowl und eine glutenfreie Reis-Bowl. Dann natürlich eine vegetarische Version mit Tofu und Feta und eine vegane, mit einer auf Kokosmilch basierenden Sauce, die aber nicht nach Kokos schmeckt. Wir haben auch mit Laugenbrötchen experimentiert und entwickeln derzeit einen veganen Dönerspieß. Aber der klassische Döner macht immer noch rund 70 Prozent unseres Umsatzes aus.

Was trinkt man in NY zum Döner?
Für diejenigen, die auf eine gesunde Lebensweise achten, gibt es einfach Wasser. Wir bieten aber auch deutsche und österreichische Weine an sowie Biere, derzeit Schöfferhofer und Radeberger Pilsner. Leute, die schon mal in Berlin waren, trinken aus Authentizitätsgründen Club Mate. Nur das mit dem Ayran hat leider nicht funktioniert. Vielleicht starten wir aber noch mal einen Versuch mit Kirsch- oder Mangogeschmack.
Inzwischen betreiben Sie vier Filialen, wobei Sie zwei während der Pandemie eröffnet haben.
Ja, und wir beschäftigen sogar mehr Leute als vorher, aktuell um die vierzig. Für mich ist diese Zeit eine der großen Herausforderungen, aber auch wichtig und schön, weil viele Menschen während der Pandemie um ihre Existenz gekämpft haben und weil man nun die Chance hat, etwas zurückzugeben. So haben wir beispielsweise 3000 Dönerteller an New Yorker Krankenhausmitarbeiter geliefert. Wir wollten den Menschen eine Freude machen in diesen harten Zeiten.
Gleiches gilt wohl für jenen amerikanischen Blogger, der befand, Ihr nach Hause geliefertes Döner Meal Kit (85 Dollar für sechs Personen) fühle sich an wie Weihnachten und erwecke erst recht den Wunsch, endlich mal nach Berlin zu fliegen.
Ja, auch das ist dem Lockdown geschuldet. Wir liefern in neun verschiedene Bundesstaaten, geplant ist die Ausweitung auf die ganzen USA.
Was haben Sie für Pläne? In einem Interview sprachen Sie davon, eine Kette gründen zu wollen und dass Sie davon träumen, Ihren Döner an jede amerikanische Universität zu bringen.
Ganz so groß sind unsere Pläne derzeit nicht, aber schon diesen August eröffnen wir einen weiteren Standort. Dann schauen wir weiter.
Wenn nicht gerade eine weltweite Pandemie wütet: Wie oft im Jahr besuchen Sie Ihre alte Heimat?
Aufgrund der Reisebeschränkungen war ich seit drei Jahren nicht mehr da. Normalerweise ein- bis zweimal pro Jahr.
Und dann erst mal einen Döner?
Tatsächlich ja, direkt nach Ankunft. Allerdings nicht am Kotti, sondern am liebsten bei Hisar am S-Bahnhof Yorkstraße.
