Die Besucherführerin Violeta D. Salama sitzt an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg. Da kommt eine SMS: Zwei Teilnehmer ihrer Tour verspäten sich, ihr Zug sei ausgefallen. Genau deshalb komme Salama immer eine halbe Stunde früher zum Treffpunkt. „Ich lebe zwei Stunden außerhalb von Berlin“, sagt sie, „ich verlasse mich nie zu sehr auf die Öffentlichen Verkehrsbetriebe.“ Außerdem kann sie dann in Ruhe noch einen Kaffee trinken, bevor die Gäste kommen. Es ist ein windiger Sonnabend im Februar, 10.30 Uhr, im Radio laufen Sturmwarnungen. Salama sagt, dass es schon deshalb eine besondere Tour werden wird.
Normalerweise sind es ungefähr acht bis elf Personen, in ihre Führungen buchen. Heute rechnet sie nur mit fünf Teilnehmern - wegen der Corona-Einschränkungen, wegen der Februarkälte. Die Hochsaison für Touristen kommt ohnehin erst noch. Ab April wird man sie häufiger sehen, diese Touren, die in großen Gruppen Klassiker der Berliner Küche probieren. In den letzten Jahren ist diese Art von Sightseeing immer beliebter geworden: Essen, trinken, Stadt anschauen. Ein Blick ins Internet zeigt mehrere Touren: „Berlin Food Tour“, „With Locals“ , „Secret Food Tours Berlin“ oder „Adventure World Tours“, das sind nur ein paar der Alternativen.

Violeta D. Salama ist Guide für die Firma Fork & Walk. Sie führt Berlin-Besucher durch verschiedene Restaurants, Cafés, Bars. Salama fasst das Konzept für diese Tour kurz zusammen: „Wir hängen gemeinsam ab“, sagt sie kurz und dann etwas genauer: „Wir trinken Bier, wir essen, wir reden über alles.“ Sie erklärt Touristen die Stadt und die Geschichten der verschiedenen Kieze, weiß, wo man auch nach Mitternacht noch Menschen treffen kann und wo es den besten Flat White in der Stadt gibt. Der Name der Tour: „Trends & Classics“. Kurz nach 11 sind alle da, es kann losgehen.
Vor dem Essen erklärt Violeta D. Salama zunächst auf Englisch, wie dieser Kiez entstanden ist, welche Orte diesen Stadtteil so besonders machen, wie es während der DDR-Zeit eine Gegend für Künstler war, warum alle Gebäude gleichhoch sind, wo sich die Bürgerrechtler trafen und warum heute die Mieten so teuer sind. Sie läuft dabei an der Gethsemanekirche vorbei, weiter auf die Stargarder Straße bis zur Dunckerstrasse.
Dort betritt sie das Café Bekarei. Drinnen ist es vor allem gemütlich, die Wände sind holzvertäfelt, trotz der Kälte stehen auch draußen ein paar Tische und Stühle, damit die Gäste noch in Corona-Zeiten eine Pause von dem Alltag genießen können. Salama bestellt für alle Kaffee und Pastel de Nata, eine süße Spezialität aus Portugal. Die Gruppe beginnt sich kennenzulernen. Die Stimmung der Teilnehmer ist noch ein bisschen zurückhaltend.

Da ist ein Paar aus Ungarn in dicken Wintermänteln, das seit Januar in Berlin wohnt. Da sind zwei Schottinnen dabei, die übers Wochenende in Berlin sind. Sie tragen kurze Socken und Sneakers, über den Sturm können sie nur lächeln: „Wir sind schlimmeres Wetter gewöhnt.“ Und da ist auch ein älterer Deutscher, der unter anderem lange in Paris und London gelebt hat, aber kurz vor der Pandemie nach Berlin kam. Unter seiner Jacke trägt er nur ein T-Shirt, er wird sich oft über die Kälte beschweren. „Berlin ist Rock 'n' Roll“, sagt er, aber er wolle seine neue Heimat noch besser kennen lernen.
„Der soziale Aspekt ist sehr wichtig bei diesen Touren“, sagt Violeta D. Salama. Die Teilnehmer dieser Touren seien am meist sehr offen dafür, neue Menschen kennen zu lernen. „Die Touren bringen oft Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammen“, sagt sie, „das macht es so interessant, Guide zu sein.“ Sie selbst wurde in Bulgarien geboren, wuchs auf in Ägypten, studierte später in der Schweiz und lebt seit ein paar Jahren in Deutschland.
Der nächste Food-„Trend“ liegt in der gleichen Straße, nur ein paar Minuten entfernt. In dem Fusionsladen Häppies ist auf der grauen Wand alles voll von Zeichnungen; Sie zeigen Smileys beim Surfen, auf dem Segelboot und beim Tanzen. Auf der Speisekarte stehen Gerichte, die alle nach echten Personen benannt sind: Gigi, Bärbel, Mathias, Isa, Netti.

Die Gründerin Uli Marschner hat lange Zeit im Marketing gearbeitet. Als dieser Job ihr zu langweilig wurde, erinnerte sie sich an Reisen mit ihren Eltern nach Österreich. Besonders das Gericht Germknödel löste in ihr starke Gefühle aus. „Ich war als Kind verliebt in diese Knödel.“ Dann kam ihr die Idee: Sie wollte diesem Gericht einen Platz in Berlin widmen. „Aber nur süß ist etwas platt, und so hatte ich die Idee, ein Mix zwischen österreichischen Knödeln und der asiatischen Teigtasche herzustellen.“ Sie erzählt über die Vorgeschichten der Gerichten, die unter anderem nach ihren Familienmitgliedern, Freunden und alten Kollegen genannt sind.
Die Stimmung in der Gruppe ist etwas gelöster. Salama grüßt die Inhaberin, die selbst gerade Besuch von ihren Eltern hat. Sie alle werden der Gruppe vorgestellt, und Salama bestellt vier „Häppies“: einer mit Ziegenkäse, einer asiatisch-scharf, ein dritter osteuropäisch gewürzt und der vierte ist der klassische Germknödel mit Mohn und Vanillesoße. Die Gruppe ist vor allem froh, vor dem Wind für einen Augenblick geschützt zu sein.
Der Tour geht in die Danziger Straße weiter. Unterwegs sieht die Gruppe viele Berliner, die vor kleinen Cafés sitzen, und Kinder auf dem Spielplatz. Im Restaurant Zweistrom Land sind die Wände rot, die Decke ist golden geschmückt. Hosain Hassan hat vor sechs Jahren den Laden eröffnet. „Der Name des Restaurants kommt von meinem Heimatland Irak“, sagt er, „und den Flüssen Euphrat und Tigris.“ Die Pandemie sei schwierig für ihn. „Überlebt haben wir vor allem wegen der Stammkunden hier aus dem Kiez.“

Violeta D. Salama bestellt in fließendem Arabisch einen Mixteller für die Gruppe: Falafel, Hummus, Tabbouleh, Couscous, verschiedene Fleischsorten und Saucen kommen auf den Tisch. Eine der Schottinnen hat noch nie Falafel probiert, aber die meisten anderen Teilnehmer kennen die Küche des Nahen Osten.
Das ist der Teil der Tour, wo klar wird, warum sie „Trends & Classics“ heißt. Die anderen beiden Orte, an denen die Gruppe Häppchen probiert, sind für Berliner eher bekannt: Konnopke’s verkauft seit 92 Jahren seine Currywurst im Prenzlauer Berg und seit 1930 einer der berühmtesten in Berlin - und „Zeit für Brot“ hat sich als „Hipster-Bäcker“ in ganz Berlin inzwischen etabliert. Übrigens: Als die Brotmanufaktur in Frankfurt am Main öffnete, hatten sie dort keinen Erfolg, erst in Berlin fanden die teuren Teilchen ihr Publikum.
Sobald die Würste und Zimtschnecken aufgegessen sind, ist die Tour vorbei. Einige Teilnehmer verschwinden fast sofort zum Zug: Der erste ist selbstverständlich der älterer deutscher mit nur einem T-Shirt unter dem Mantel an, er hat fast die ganze Zeit vor Kälte gezittert. Violeta D. Salama, die es gewohnt ist, bei solchem Wetter Touren zu veranstalten, sagt: „Am besten trag immer doppelt so viel Kleidung, wie du denkst, dass du brauchst.“

Die Schottinnen Megan McGhee und Laura Moos sind zumindest zufrieden mit dem Food-Spaziergang. „Wir hätten die Plätze sonst vielleicht nie besucht“, sagt McGhee. Nach der Tour gehen sie erst einmal spazieren, um noch mehr von Berlin zu sehen. Auf die Frage, ob sie noch einmal so eine Tour machen würden, sagt Moos: „Wir sind in zwei Wochen in Prag, dort machen wir das wahrscheinlich wieder.“
Violeta D. Salama sagt, dass die Tour heute alles andere als Standard gewesen sei. Sie mussten oft draußen bleiben, es war windig, und ein paar Restaurants hatten geschlossen. „Wir haben ein bisschen improvisiert.“ Sie selbst isst selten bei der Tour mit. „Danach esse ich meist bei einem Inder hier um die Ecke und lese allein einen Fantasyroman.“ Nur nicht heute. „Jetzt rufe ich ein paar Freunde an und wir tun das, was die Prenzlauer Berger am besten können: im Café rumhängen.“
