9/11-Spezial

Peter Tauber: „Der Einsatz war ein Erfolg, nur die Politik ist gescheitert“

War der deutsche Einsatz in Afghanistan sinnvoll? Peter Tauber, ehemaliger Staatsekretär der CDU im Bundesverteidigungsministerium, sagt: „Ja.“

Deutsche Bundeswehrsoldaten bei einem Appel 2012 in Nord-Afghanistan.
Deutsche Bundeswehrsoldaten bei einem Appel 2012 in Nord-Afghanistan.imago

Berlin-War der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nach 9/11 wirklich sinnvoll? Wir haben zweit Autoren gefragt, sich in einem Pro-und-Contra darüber auszutauschen. Hier lesen das Pro von Peter Tauber.

Es ist ein bisschen wie im Fußball oder zu Beginn der Pandemie: Auf einmal haben alle nicht nur eine Meinung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, sondern wissen auch noch genau, warum der Einsatz gescheitert ist. Da geht’s schon los: Die Politik mag gescheitert sein, dort eine Ordnung zu etablieren, die vielleicht nicht westeuropäischen Standards entspricht, die uns aber doch in Zukunft ruhig schlafen lässt, wenn wir an das Land im Hindukusch denken. Aber der Einsatz der Bundeswehr war aus meiner Sicht ein Erfolg. Was meine ich damit?

Infobox image
Berliner Verlag
Die Wochenendausgabe
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Samstag am Kiosk oder hier im Abo. Jetzt auch das neue Probe-Abo testen – 4 Wochen gratis

Am 4./5. September 2021 im Blatt: 
Die Wende: Der 11. September 2001 und sein Dominoeffekt für die ganze Welt. Ein 9/11-Spezial

Vergessen SPD und Grüne die Berliner Außenbezirke? Wir haben uns umgehört

War der Afghanistan-Einsatz sinnlos? Peter Tauber und Gregor Gysi streiten

Christiane Arp, Odély Teboul, Isabel Vollrath: Die Fashion Week ist weiblich!

Heinz Strunk im Interview: „Toxische Männlichkeit habe ich nicht mehr nötig“

„Ich dachte, ich sterbe jetzt“: Alexander Osang und Anja Reich über ihr 9/11 und ihren neuen Podcast

https://berliner-zeitung.de/wochenendausgabe

Entgegen des jetzt immer wieder zu hörenden und vorschnellen Urteils war der Einsatz von Streitkräften eben doch eine Lösung, wenn auch nur vorübergehend. Es war die Politik, die aus dem militärischen Erfolg nichts gemacht hat. Weder die Truppen der Nato noch die der Bundeswehr haben zu irgendeinem Zeitpunkt behauptet, den Afghanistan-Konflikt bewältigen zu können. Es war immer klar, dass das eine Aufgabe der Diplomatie war. Das Militär konnte nur die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Politik wieder zum Zuge kam in diesem von Krieg geschundenen Land.

Die Politik hat es nicht geschafft, in Afghanistan eine Ordnung zu etablieren

Es ist falsch, den Einsatz vom Ende zu bewerten. Was war der Ausgangspunkt? Nach den Terroranschlägen des 11. September war eine Reaktion unumgänglich. Glaubt jemand ernsthaft, dass Terroristen am Dialog, am Austausch von Positionen und am Ringen um einen Kompromiss interessiert sind? Die Sprache der Gewalt kann man mit nicht mit Wattebällchen und Stuhlkreisen beantworten.

Deshalb war nicht nur die militärische Reaktion der USA richtig, sondern genauso richtig war es, dass die Nato den Bündnisfall erklärt hat. Keine Frage: Die Entscheidung der Bundesregierung, in diesem Falle den Bündnisverpflichtungen nachzukommen, war ebenfalls richtig. Trotzdem wird jetzt vorschnell gerade von links immer wieder gesagt, dass Militär eben keine Lösung sei. Deswegen sei der Einsatz falsch gewesen. Das ist mit Verlaub gesagt intellektuelle Tieffliegerei.

Infobox image
Berliner Verlag
Der Podcast „Wo warst Du?“
Anja Reich und Alexander Osang leben am 11. September 2001 mit ihren Kindern in New York. Der Tag beginnt wie jeder andere. Dann schlagen die Flugzeuge ins Word Trade Center. Osang, Reporter beim Spiegel, rennt zu den brennenden Türmen, Reich bleibt bei den Kindern. Bald brechen alle Verbindungen ab…

Erst Jahre später erzählen sie einander, was sie am Tag des Terrors erlebt haben. Daraus wird ein Buch, das es nun als Hörbuch gibt, gelesen von den Autoren: 9/11 - Ein Paar, zwei Erzählungen. Sechs Folgen - ab 6. September 2021 auf allen Podcast-Portalen und auf www.berliner-zeitung.de/podcast

Eine Produktion von Berliner Zeitung, Der Spiegel und radioeins.

Richtig ist: Die Politik hat es nicht geschafft, in Afghanistan eine Ordnung zu etablieren, die dauerhaft auch ohne die Präsenz der Streitkräfte der Nato funktioniert. Insofern ist das Urteil, dass der Einsatz politisch gescheitert ist, wie gesagt nicht ganz falsch. Die eigentliche Erkenntnis traut sich aber niemand auszusprechen, weil man dann mit einer linken Lebenslüge aufräumen müsste: Eine Zivilgesellschaft kann noch so stark sein, eine ganze Generation kann mit neuen Freiheitsrechten und neuen Möglichkeiten groß werden, der Zugang zu Bildung für Männer und Frauen kann gleichermaßen ermöglicht werden, doch das nützt alles nichts.

Es fehlte moralische Unterstützung

Am Ende braucht es eine militärische Kraft, die stark genug ist, um diese Rechte und Normen zu sichern und gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen. In dem Moment, wo die afghanische Armee sich über Nacht faktisch aufgelöst hat, war auch die Zivilgesellschaft ohne jede Chance gegen die Taliban. Natürlich hatte die afghanische Armee nicht die Kampfkraft der Nato-Truppen. Es ist dennoch darauf hinzuweisen, dass sie es war, die in den letzten Jahren den Kampf mit den Taliban geführt hat.

Die Bundeswehr hatte sich gemäß des Auftrags auf Beratung und Ausbildung zurückgezogen. Und selbst dies fand durch die Pandemie nur noch sehr eingeschränkt statt. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: Es hat gereicht, dass die Bundeswehr da war, um der afghanischen Armee die notwendige Kampfkraft zu geben, den Taliban entgegenzutreten.

Kaum waren die letzten Nato-Soldaten aus dem Land, war es, als hätte man der afghanischen Armee das Rückgrat gebrochen. Und vielleicht ist das eine Erklärung für das schnelle Ende. Die afghanische Armee hat sich von ihren Ausbildern und Partnern im Stich gelassen gefühlt. Es war nicht die fehlende Unterstützung im Kampf, sondern die moralische Unterstützung, die auf einmal fehlte. Und ohne Moral kann keine Armee kämpfen. Die politische Entscheidung, abzuziehen, war zumindest zu diesem Zeitpunkt falsch.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war ein Kriegseinsatz

Solange die Nato-Truppen im Land waren, konnten die afghanische Regierung und die Armee den Taliban also halbwegs Paroli bieten. Solange die Nato-Truppen im Land waren, hätte die Politik an einer Lösung arbeiten können. Wir lernen also: Militär ist zwar nicht die Lösung, aber ohne Militär war keine Lösung in unserem Sinne möglich – zumindest in Afghanistan.

Fakt ist: Das vorrangige Kriegsziel der Nato ist erreicht worden. Osama bin Laden ist tot. Derzeit ist nicht absehbar, dass von Afghanistan aus wieder Terror in die Demokratien des Westens getragen wird. Mission accomplished? Zugegeben, so einfach ist es natürlich nicht. Hier war der erste Fehler der deutschen Politik. Viel zu spät hat man den Konflikt in Afghanistan und den Einsatz der Bundeswehr als das bezeichnet, was er war: ein Kriegseinsatz.

Vom alten Moltke wissen wir: „Der Fehler im Aufmarschplan zieht sich durch die ganze Schlacht.“ Hätte die deutsche Politik mal ihren Moltke gelesen. Viel zu lange hat man sich vor einer klaren Sprache und der dadurch absehbaren Debatte gedrückt. In den Krieg hat man die Soldaten trotzdem geschickt. Geredet hat man über Brunnen und Schulen.

Nicht die Bundeswehr, die Politik ist gescheitert

Während man der deutschen Außenpolitik kein gutes Zeugnis ausstellen mag, so ist das mit Blick auf die Bundeswehr aber dezidiert anders. Es ist auffällig, dass gerade diejenigen, die sonst immer das Primat der Politik betonen, nun darüber reden, der Einsatz der Bundeswehr sei gescheitert. Worte sind verräterisch. Noch mal: Nicht die Bundeswehr, die Politik ist gescheitert. Der Einsatz der Bundeswehr für sich genommen war hingegen erfolgreich.

Infobox image
imago
Zur Person
Dr. Peter Tauber wurde in Frankfurt am Main geboren, lebt in Gelnhausen, ist promovierter Historiker und war von 2009 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der ehemalige Generalsekretär der CDU war von 2018 bis 2021 außerdem Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung. Derzeit arbeitet der Hauptmann d.R. an seiner Habilitation zu einem militärhistorischen Thema. Ehrenamtlich engagiert er sich u.a. als Vizepräsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) und ist im Vorstand der Konrad Adenauer-Stiftung.

Erstens hat die Bundeswehr 20 Jahre lang diesen Einsatz „gestemmt“. Die Armee hat jeden Auftrag, den die Politik vorgegeben hat, erfolgreich umgesetzt. Den Inhalt des Auftrags schreibt sich die Armee nicht selbst. Das ist Aufgabe der Politik. Kein einziges Mal hat das Militär melden müssen: „Sorry, das können wir nicht.“ Oft ging dabei die Einsatzbereitschaft zulasten der Streitkräfte in der Heimat, aber es bleibt dabei: Die Bundeswehr hat jeden Auftrag, den Bundesregierung und Bundestag formuliert haben, erfüllt. Für eine Armee, in der deutschen Medien zufolge angeblich nichts schwimmt, fliegt und schießt, ist das ein enormer Erfolg. Da haben die Männer und Frauen im Einsatz viel geleistet. Sie können auf sich selbst stolz sein. Und wir sollten es auch.

Die Fürsorge für die Veteranen ist jetzt enorm wichtig

Zweitens hat die Bundeswehr in den Anfangsjahren des Einsatzes bewiesen, dass sie das ist, was sie sein soll: eine Streitmacht. Sie hat gekämpft, geblutet und auch – sprechen wir es aus –, wenn notwendig, getötet. Dabei hat die Bundeswehr sich nicht nur behauptet, sondern war siegreich, hat Räume erobert und an die afghanische Armee übergeben, die diese bis vor kurzem gehalten hat.

Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie einsatzbereite Spezialkräfte mit dem Kommando in Calw besitzt, die am Hindukusch ebenfalls erfolgreich im Einsatz waren. Wenn man nicht bereit ist, diesen Wesenszweck von Streitkräften klar zu benennen, dann sollte man darauf verzichten, welche zu unterhalten. Die Bundeswehr war eben nicht in diesem Land, um Brunnen zu bohren oder Schulen zu errichten. Schon Clausewitz hat richtig formuliert: „Allem, wozu Streitkräfte gebraucht werden, liegt die Idee des Gefechts zu Grunde; denn sonst würde man ja keine Streitkräfte gebrauchen.“

Drittens hat die Bundeswehr für sich selbst viel gelernt. Natürlich sind Fehler gemacht worden. Das ist nicht nur aufgrund des „Nebels des Krieges“ – schon wieder Clausewitz – fast unvermeidbar. Die Armee musste sich der öffentlichen und parlamentarischen Kritik stellen und hat daraus gelernt. Und gerade im Bereich der Fürsorge ist die Bundeswehr heute so aufgestellt, dass Soldaten und Soldaten mit sowohl körperlichen als auch seelischen Verwundungen einen Beistand erfahren, der zu Beginn des Einsatzes nicht denkbar war. Für künftige Einsätze und Konflikte gehört beides untrennbar zusammen: die Fähigkeit und Bereitschaft zum Kampf und die Fürsorge für Veteranen und Einsatzgeschädigte.

Machen wir es uns nicht so leicht mit dem Stempel „gescheitert“

Viertens hat die Bundeswehr unserer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten: Sie selbst hat mit dem Ehrenmal, aber auch mit Initiativen aus dem Reservistenverband wie dem Marsch zum Gedenken eine Erinnerungskultur entwickelt, die dem hohen Preis, den dieser Einsatz gefordert hat, dem Tod von fast 60 Soldaten in diesem Krieg, Rechnung trägt. Es wäre wünschenswert, wenn diese Bereitschaft, seinen soldatischen Eid zu erfüllen, von uns allen mehr Anerkennung und Würdigung erführe.

Eine Gesellschaft, die fragt, ob dieser Tod sinnlos gewesen sei, offenbart dabei, dass sie zu einer Gesellschaft verkommen ist, in der ein Einsatz nur sinnvoll ist, wenn er sich sozusagen betriebswirtschaftlich rechnen lässt. Das würde ja bedeuten, dass der Tod der Soldaten nur im Falle eines politischen Erfolges in Afghanistan hinnehmbar gewesen wäre. Das finde ich zynisch. Wenn man die Sinnfrage überhaupt stellen mag, dann gilt es anzuerkennen, dass allein die Bereitschaft, das eigene Leben in den Dienst unserer Republik zu stellen, ein Wert an sich ist, den man nicht hinterfragen kann. Denn wir verlangen genau das auch künftig vor allem von unseren Soldatinnen und Soldaten. Auch deswegen ist ihr Andenken zu ehren und ihr Tod nicht umsonst.

Nutzen wir also die Chancen und beschäftigen wir uns endlich einmal intensiver nicht nur mit dem Land Afghanistan und seinen komplexen Gesellschaftsstrukturen, sondern schauen wir dabei auch auf uns selbst. Machen wir es uns nicht so leicht mit dem Stempel „gescheitert“, sondern analysieren wir ehrlich, damit wir künftig alle Optionen – die militärische ist nur eine – klug nutzen.

Wenn die von Abgeordneten des Deutschen Bundestages geforderte Evaluation des Einsatzes mehr sein soll als das Zusammentragen der ja in Wahrheit längst vorliegenden Statistiken, Übersichten, Zahlenwerke und Analysen der letzten 20 Jahre, wenn es um Schlussfolgerungen für die Zukunft geht, dann ist diese Forderung nach einer Evaluation jetzt berechtigt. Was haben wir gelernt? Was war erfolgreich? Und vor allem: Bewahren wir die Erkenntnis, dass unsere Bundeswehr in der Lage ist, auch schwierige Aufträge zu erfüllen. Das ist eine gute Botschaft an unsere Freunde und Verbündeten für künftige Krisen und eine gute Nachricht für unser Land.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.