Analyse

China versus Russland: Das Bündnis wackelt

China und Russland verbindet eine Zweckpartnerschaft. Doch diese wackelt. Angeblich hat Lawrow einen Besuch in China abgesagt. Ist das Bündnis in Gefahr?

Xi Jinping (rechts) und Wladimir Putin (links) Anfang Februar in Peking
Xi Jinping (rechts) und Wladimir Putin (links) Anfang Februar in PekingAlexei Druzhinin/Pool Sputnik Go

In aktuellen Diskussionen über den Krieg, die Verhandlungsbereitschaft Moskaus sowie einen potentiellen Game Changer scheint China einem steinernen Gast gleichend oftmals unausgesprochen präsent zu sein. Viel zu oft wird der angeblich ausufernde Einfluss Pekings auf Moskau beschworen und dazu aufgerufen, das Machtwort Chinas zu erzwingen. Allerdings wird dabei nicht selten das ambivalente Verhalten Pekings seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine übersehen.

Infobox image
Prokofief Foto
Zum Autor
Dr. Alexander Dubowy ist Politik- und Risikoanalyst sowie Forscher zu internationalen Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und den GUS-Raum. Er ist Mitarbeiter der Berliner Zeitung am Wochenende.

China und Russland als moderne „Entente cordiale“

In manchen Bereichen sind die Interessen Russlands und Chinas unzweifelhaft deckungsgleich. So verfolgen beide beispielsweise auf globaler Ebene das strategische Ziel, die internationale Dominanz des Westens, vor allem der USA, zu überwinden, um auf diese Weise den eigenen weltweiten Einfluss zu vergrößern. Das bewegt zahlreiche Experten dazu, seit Jahren von einer geradezu untrennbaren, auf autoritären Werten gründenden, ihrem Wesen nach antidemokratischen Allianz der beiden Staaten zu sprechen. Die These hält einer näheren Betrachtung freilich nicht stand; gerade das Verhalten Chinas im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeugt eindrucksvoll von einer ungleich komplexeren und widersprüchlichen Realität.

Sowohl Russland als auch China agieren grundsätzlich interessen- und nicht werte- oder ideologiegeleitet. Aufgrund offensichtlicher Vorteile für beide Seiten entspricht das Verhältnis beider Staaten einer stark ausgeprägten strategischen Partnerschaft.

Dmitri Trenin, Leiter des Carnegie Center in Moskau, verglich diese Beziehung sehr treffend mit „Entente cordiale“ (dem in seiner Ambivalenz der russisch-chinesischen Zweckallianz um nichts nachstehenden französisch-britischen Bündnis nach 1904) und charakterisierte das Verhältnis mit dem Satz: „Nicht immer miteinander, aber niemals offen gegeneinander“.

Denn die wechselseitigen Abhängigkeiten schützen keinesfalls zwingend vor potentiellen Konflikten. Diese werden aber nie offen zur Schau gestellt. Die wachsende wirtschaftliche Rolle Chinas im postsowjetischen Raum hat über die vergangenen zwei Jahrzehnte die Dominanz Russlands innerhalb der Region, insbesondere in Zentralasien, untergraben.

Angesichts der konfliktären Beziehung zum Westen und mangels wirksamer Alternativen hofft Moskau, dem wachsenden Einfluss Pekings durch eine nachhaltige Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche zu entkommen. Dabei soll China die Führungsrolle bei regionalen Infrastruktur- und Investitionsprojekten übernehmen, Russland dagegen die politischen und sicherheitspolitischen Angelegenheiten der Region koordinieren. Weite Teile russischer Politeliten nehmen China nicht als ein Sicherheitsrisiko wahr, da Peking vom Aufbau militärischer Infrastruktur in der Region absieht. Letzteres könnte sich in Zukunft freilich ändern.

Peking als größter Kriegsgewinner

Die offizielle Politik Chinas zielt angesichts potentieller innerer Konflikte (Uiguren, Tibet, Honkong) national wie auch international auf den Schutz der Souveränität und territorialer Integrität ab. Die medial regelmäßig auftauchende Taiwan-Frage erscheint dagegen zweitrangig zu sein. Die Sorge Pekings vor inneren Unruhen ist der eigentliche Grund dafür, warum China den Angriff Russlands gegen die Ukraine von Beginn an rhetorisch klar verurteilt hat.

Daher ist es nur wenig wahrscheinlich, dass Peking Moskau ungeachtet russischer Bitten offen unterstützen könnte. Doch genauso wenig wie eine offene Unterstützung Moskaus sollte von Peking auch das Mittragen der westlichen Sanktionen gegen Russland nicht erwartet werden. Eine äquidistante (also: neutrale) Haltung hat sich in der Vergangenheit für China stets als erfolgreich erwiesen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die chinesische Führung alles daran setzen wird, um aus dieser globalen Krise als der eigentliche Sieger hervorzugehen.

Auch wird sich Peking die ausbleibende Unterstützung Moskaus von den USA teuer abkaufen lassen. Bereits heute scheint sich Peking als größter Gewinner dieses Krieges abzuzeichnen. Allem voran wird die Abhängigkeit Russlands von China angesichts Moskaus internationaler Isolation erheblich zunehmen; so dürfte Peking beispielsweise einen größeren Anteil am freiwerdenden russischen Markt erhalten. Auch setzt Peking seine vorsichtig distanzierte Haltung in dieser Krise gegenüber Moskau dazu ein, um das Verhältnis gegenüber Washington zu verbessern. Geopolitisch dürfte China infolge des Krieges in Europa deutlich mehr Handlungsoptionen in der pazifischen Region erhalten, werden doch die USA durch den Ukrainekrieg vom Pazifik abgelenkt und für einige Jahre stärker in Europa eingebunden sein.

Annäherung zwischen Peking und Washington

Die zunehmende internationale Isolation wird Moskau in Zukunft zur einer einseitigen Anlehnung an China zwingen und die bisherige Balance-Politik Russlands in der asiatisch-pazifischen Region erheblich erschweren. Auch aus diesem Grund wird Peking davon Abstand nehmen, die langfristigen Beziehungen dem Westen, vor allem aber den USA gegenüber, für Russlands nebulöse Ambitionen in Gefahr zu bringen. Die Ereignisse der letzten drei Tage deuten dies jedenfalls an.

Offenbar konnte Washington Peking davon überzeugen, für Moskau nicht Partei zu ergreifen und den russischen Angriffskrieg nicht zu unterstützen. So hat der Botschafter Chinas in den USA am 15. März in einem Kommentar gegenüber der Washington Post behauptet, dass Peking von russischen Invasionsplänen nichts wusste und die territoriale Integrität der Ukraine unterstütze. Diesem Kommentar ging am 14. März ein Treffen zwischen Jake Sullivan, Biden-Berater in China-Fragen, und Yang Jiechi, Mitglied des chinesischen Politbüros und USA-Experte, in Rom voraus.

Während die chinesische Medienberichterstattung des Krieges in der Ukraine bislang auf jedwede Kritik Russlands verzichtete und das russische Narrativ – jedenfalls in Grundzügen – mittrug, berichtete am 17. März das internationale chinesische Staatsmedium China Global Television Network America unter Verweis auf ukrainische Quellen, dass die Streitkräfte Russlands in Tschernihiw mindestens zehn Zivilisten, die friedlich auf Brotlieferung warteten, brutal ermordeten. Auch wenn die China-Experten zu Recht darauf hingewiesen haben, dass China Global Television Network America sich an ein US-Publikum richte und keinen adäquaten Gradmesser für die offizielle außenpolitische Position Chinas bilde, war der Bericht über ein von Russland begangenes Kriegsverbrechen bemerkenswert und eine klare Abkehr von der bisherigen medialen Leitlinie Chinas.

L‘Entente est mort?

Auch wenn Totgesagte bekanntlich länger leben, verliert das vielfach beschworene chinesisch-russische Bündnis nun die allerletzten Züge seines einstigen Glanzes und offenbart seine wahre Natur einer interessengeleiteten Zweckallianz. Aus diesem Grund bleibt es mehr als fraglich, ob Moskau auf China noch zu hören bereit ist und vor einer weiteren Konflikteskalation abzubringen sein wird. Nach Berichten von Bild habe der russische Außenminister Sergej Lawrow am 16. März sein Flugzeug auf dem Weg nach China mitten im Flug umkehren lassen, angeblich kehrte er nach Moskau zurück. Sollte dies tatsächlich stimmen, wäre das eine mehr als bloß spannende Episode.

Denn dieses Gerücht weckt die Erinnerungen an die berühmte Umkehr des russischen Premierministers Jewgenij Primakov über dem Atlantik aus dem Jahr 1999. Der U-Turn Primakovs steht seit damals sinnbildlich für die politische und ideologische Abkehr Russlands vom Westen. Zwar ist dieser sprichwörtliche U-Turn in den Beziehungen zwischen Russland und China kaum zu erwarten, doch ist er mit Blick auf eine diplomatische Lösung des Krieges alles andere als ein gutes Zeichen.

Haben Sie eine Meinung zu diesem Text? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.