Am Donnerstagabend ging die zweite Gesprächsrunde der Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu Ende. Während sich die ukrainische Seite in der ersten Verhandlungsrunde noch voraussetzungslos bereit erklärt hatte, Gespräche mit Russland zu führen, benannte Michailo Podoljak, Berater des Präsidialbüros der Ukraine, vor Beginn der zweiten Gesprächsrunde Schlüsselthemen für die Ukraine.
Neben der sofortigen Feuerpause erwarte Kiew ein Waffenstillstandsabkommen sowie humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten aus Kriegsorten. Auch wenn die zweite Verhandlungsrunde erwartungsgemäß nicht mit allen von der Ukraine geforderten Ergebnissen endete, konnten sich die Kriegsparteien zumindest auf die Entscheidung über die Errichtung humanitärer Korridore einigen.
Eine wichtige Nachricht, gerade mit Blick darauf, dass Russland bereits in den nächsten Tagen verstärkt schwere Waffen in der Ukraine einzusetzen plant. Denn im Vorfeld der Friedensverhandlungen telefonierte Wladimir Putin mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Dabei bestätigte Putin ausdrücklich, dass Russland die bedingungslose Kapitulation der Ukraine erwarte. Widrigenfalls werde Moskau die Kriegshandlungen bis zur vollständigen Besetzung der Ukraine fortsetzen.
Der Sanktionsdruck wächst
Währenddessen steigen der Sanktionsdruck und die internationale Isolation Russlands an. Nichts seit Beginn der westlichen Sanktionspolitik nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat eine derartige Sanktionseskalation vorgezeichnet. Ungeachtet anderslautender Bekundungen von russischer Seite konnte Moskau selbst im Rahmen von Extremszenarien mit derartigen internationalen Reaktionen unmöglich rechnen.
Überraschenderweise erweisen sich aktuell weniger die staatlichen Sanktionen, die eine gewisse Einwirkzeit benötigen, für die soziale und gesellschaftliche Stabilität Russlands als besonders problematisch, sondern eher die Sanktionen von nichtstaatlicher Seite. Zahlreiche Unternehmen erklären ihren freiwilligen Rückzug aus Russland. Die Auswirkungen dieser Entscheidungen können von der russischen Regierung nicht abgefedert werden, treffen direkt die Bevölkerung, tragen auf diese Weise zur Destabilisierung des gesellschaftlichen Systems bei und erhöhen den Druck auf die russische Führung, dem Krieg schnell ein Ende zu setzen.
Die russische Elite diskutiert Exit-Strategien
Mit jedem Tag wächst der Druck auf Wladimir Putin, diesen Angriffskrieg zu beenden. Von einer öffentlichen Empörungswelle von Seiten politischer Entscheidungsträger ist die Lage nach wie vor weit entfernt, die Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit wachsen aber stetig. So werden anscheinend auch innerhalb der russischen Eliten mehrere Exit-Szenarien diskutiert. So soll unter anderem innerhalb des wirtschaftsliberalen Flügels ein Angebot an die Ukraine diskutiert werden, welches ein sofortiges Ende der Kriegshandlungen sowie den Kauf von Krim und Donbass für zirka 150 Milliarden US-Dollar vorsieht.
Auch wenn Wladimir Putin nach wie vor davon überzeugt zu sein scheint, seine militärischen Ziele erreichen zu müssen und die gesamte Ukraine zu besetzen, sind die noch so schwach wahrnehmbaren Signale von Seiten russischer Eliten ein hoffnungsvolles Signal, dass der Druck zunimmt und fieberhaft über Alternativszenarien nachgedacht wird.
Doch paradoxerweise muss der Wunsch der russischen Führung nach einem schnellen Ende des Krieges nicht zwingend eine gute Nachricht bedeuten. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag kritisierte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrov in einer offenen Audiobotschaft in seinem Telegram-Kanal – in einem ungewöhnlich scharfen Ton – die aktuelle Situation an der Front, bezeichnete diese als ungut sowie ungerecht und rief Wladimir Putin dazu auf, die Augen vor dem Unentrinnbaren zu verschließen und den Einsatz aller notwendigen militärischen Mittel zuzulassen, um den Krieg innerhalb von wenigen Tagen siegreich zu beenden. Angesichts der Tatsache, dass Kadyrov über die vergangenen Monate innerhalb der russischen Eliten stark an Einfluss gewonnen hat und für das Überleben des russischen Regimes zunehmend zu einer zentralen Figur wird, steht zu befürchten, dass seine Botschaft im Kreml nicht ungehört bleibt.
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