Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Bundesregierung ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen. Im Jahr 2031 soll die Summe getilgt werden. Außerdem hat sich Deutschland dazu verpflichtet, jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Nato bereitzustellen.
Stellt sich die Frage: Wer soll das bezahlen? Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat klargestellt, dass er die Schuldenbremse einhalten will und dass die Minister zu Haushaltskürzungen angehalten sind. Das wohl prägnanteste Beispiel liefert das Schauspiel um die Kindergrundsicherung, für die statt der benötigten zwölf Milliarden Euro plötzlich nur noch zwei Milliarden Euro zur Verfügung stehen sollen. Hinzu kommt, dass wegen der anhaltend hohen Inflation und hier insbesondere dauerhaft höherer Energiepreise die finanzielle Belastungsgrenze weiter Teile der Bevölkerung bereits erreicht sein dürfte.
Umfrage: Grünen-Klientel mit Abstand für höhere Verteidigungsausgaben
Ökonomen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin haben nun in einer repräsentativen Umfrage bundesweit unter 1800 Personen die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung getestet.
Hierfür wurden die Teilnehmer mit vier Szenarien konfrontiert: 1. der Ausbau der Truppenstärke der Bundeswehr, 2. der Aufbau einer europäischen Armee, 3. die Wiedereinführung der Wehrpflicht für alle Geschlechter und 4. die Einführung eines Raketenschutzschirms auf nationaler oder europäischer Ebene. Bei allen Möglichkeiten wurde der materielle und finanzielle Status quo der Bundeswehr, inklusive des Sondervermögens, vorausgesetzt.
Den Ergebnissen zufolge wären die Deutschen bereit, jährlich circa 11,5 Milliarden Euro an Mehrbelastungen durch zusätzliche Steuern und Abgaben zu schultern – was einem Anstieg des jährlichen Verteidigungsbudgets um rund 20 Prozent entspricht. Das Geld solle für eine Anhebung der Truppenstärke der Bundeswehr um 25 Prozent, die Gründung einer europäischen Armee und die Installation eines europäischen Schutzschirms ausgegeben werden. Für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht hingegen fand sich keine Mehrheit. Pro Haushalt entspräche die jährliche finanzielle Mehrbelastung für die Aufstockung der Bundeswehr 83 Euro, die EU-Armee sähe Zusatzausgaben von 66 Euro und der europäische Verteidigungsschirm 131 Euro vor.
Von besonderem Interesse für die Politik dürfte sein, dass in der Umfrage auch die politische Nähe zu den im Bundestag vertretenen Parteien abgefragt wurde. Zwischen den Anhängern von Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU besteht ein gewisser Konsens über die Aufstockung der Bundeswehr.
Sympathisanten der Linkspartei würden vor allem mehr Geld für eine EU-Armee und ein europäisches Raketenabwehrsystem bezahlen. AfD-Anhänger sprechen sich hingegen für eine Erhöhung der Bundeswehr-Kontingente aus und begrüßen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, finden aber auch einen europäischen Verteidigungsschild lukrativ – von einer EU-Armee wollen sie allerdings nichts wissen.
Auffallend ist, dass unter den Sympathisanten der Grünen die Zahlungsbereitschaft besonders hoch ist, im Falle eines europäischen Verteidigungsschilds sogar mit signifikantem Abstand zu den Anhängern aller übrigen Parteien.
Jürgen Trittin: Müssen Verteidigung auch mit Hinblick auf die USA stärken
Warum wollen die Grünen die Verteidigungsausgaben so drastisch steigern? Für den Grünen-Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin, Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Ordentliches Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der Nato, ist „die Zustimmung der Bevölkerung zu höheren Rüstungsausgaben Ausdruck einer tiefen Verunsicherung“. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die gesamte europäische Friedensordnung erschüttert und Defizite in der Bündnisverteidigung aufgedeckt, sagt Trittin der Berliner Zeitung. Hierauf habe die Bundesregierung mit der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie eine politische und mit dem Sondervermögen auch eine finanzielle Antwort gegeben.
Welche rüstungspolitischen Maßnahmen sollten umgesetzt werden? Für Trittin ergibt militärisch eine Vergrößerung der Bundeswehr aktuell wenig Sinn. „Erst mal will die jetzige Sollstärke erreicht werden“, stellt er klar. „Den Verteidigungsschirm gegen Luftangriffe baut die Bundesregierung auf. Eine europäische Armee ist ferne Zukunftsmusik.“ Wichtig sei es ferner, die europäische Säule in der Verteidigung zu stärken – auch mit Blick auf den nächsten Präsidenten der USA, der, wie es Donald Trump getan habe, Europa erneut „schlimmer als China“ behandeln könnte.
Wie die Mehrkosten fürs Militär gegenfinanziert werden sollen, davon hat Trittin bereits eine Vorstellung: „Kriegs- und Krisenzeiten bedürfen gerade einer ökonomischen Antwort“, sagt er.




