Noch vor zwei Jahren reisten viele hochrangige Vertreter der führenden Weltwirtschaften zum internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, oder zum „russischen Davos“, wie man das Forum früher nannte. 2013 war selbst die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem wiedergewählten Präsidenten Putin dabei. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich Russland von der westlichen Welt weitgehend isoliert, so dass Vertreter aus nur 15 Entwicklungsländern zu Putin gereist sind, darunter der Präsident von Algerien Abdelmadjid Tebboune, der Premierminister von Kuba Manuel Marrero Cruz, der Premierminister von Kirgisistan Akylbek Japarov und der Präsident von Armenien Nikol Paschinjan.
Am 16. Juni hat sich auch der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Muhammad bin Zayid Al Nahyan, mit Putin getroffen, um die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder zu besprechen. Jedoch wollte der arabische Machthaber „aus terminlichen Gründen“ nicht mit Putin auftreten – also ging Putin zusammen mit dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune auf die Bühne.
Putin auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Alles tipptopp mit der Wirtschaft?
Der russische Präsident sprach lange über die tatsächlichen und vermeintlichen Erfolge der russischen Wirtschaft „trotz der westlichen Sanktionen“. Der Grund dieser Sanktionen wurde von Putin allerdings nicht thematisiert. Die russische Wirtschaft könnte zum Jahresende um 1,5 Prozent wachsen, freute sich Putin und berief sich dabei auf ungenannte russische Experten. Der Internationale Währungsfonds hatte im April allerdings ein Wachstum der russischen Wirtschaft von lediglich 0,7 Prozent prognostiziert. Im Januar war die Prognose der Institution mit 0,3 Prozent niedriger. Zum Vergleich: In Deutschland geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung davon aus, dass die Wirtschaft 2023 um 0,2 Prozent schrumpfen wird. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Deutschland dieses Jahr in der Rezession. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde voraussichtlich um 0,1 Prozent schrumpfen, heißt es in der April-Prognose.
Darüber hinaus freute sich Putin über die Erhöhung der Einnahmen außerhalb des Öl- und Gassektors. Diese seien von Januar bis Mai um 9,1 Prozent gewachsen, was „deutlich über den Prognosen“ liege. Putin nannte dies einen „wichtigen Indikator“ dafür, dass sich der reale Sektor der russischen Wirtschaft, die produzierenden Unternehmen, der Handel und die Dienstleistungen des Landes weniger „an der Öl- und Gasnadel hängen“. Auch freute sich Putin über die aktuelle Inflationsrate von angeblich nur noch 2,9 Prozent. Das sei viel niedriger, als in vielen westlichen Ländern, behauptete der Kreml-Chef. Auch die Arbeitslosigkeit in Russland liege mit 3,3 Prozent „auf einem historisch niedrigen Niveau“. Die russische Zentralbank hatte im Januar allerdings eine Inflation von bis zu sieben Prozent zum Ende des Jahres prognostiziert und hält daran fest. Gefühlt liegen die Preissteigerungen im Verbrauchersektor in Russland weit darüber. Im letzten Jahr lag die offizielle Inflationsrate in Russland bei 12 Prozent.
Putin: „Hässliches neokoloniales System“ ist tot, es lebe „die multipolare Welt“
Immer wieder betonte Putin, wie gut es der russischen Wirtschaft angeblich gehe – und wie die russischen Unternehmen die Nischen der ausgewanderten westlichen Unternehmen gefüllt hätten. „Niemals lassen Sie diese wieder rein“, scherzte der 70-Jährige, ab und zu vom äußerst loyalen Publikum reichlich beklatscht. Aber nein, wenn die Unternehmen irgendwann wieder nach Russland wollen, werden für sie „die notwendigen Bedingungen“ geschafft. Es gehe hier aber über die souveräne Wirtschaft, die sich auch selbst verpflegen könne.
Nicht zuletzt pflegte Putin auch das westliche Feindbild. „Das hässliche neokoloniale System“ habe aufgehört zu existieren, urteilte er. Stattdessen werde die „multipolare Ordnung“ in der Welt gestärkt. Russland habe sich „trotz aller Schwierigkeiten des vergangenen Jahres“ nicht vollkommen isoliert, im Gegenteil, man haben die Kontakte „zu zuverlässigen Partnern“ ausgebaut in den Regionen, die „heute als Lokomotiven und Treiber der Weltwirtschaft fungieren“.
Damit meinte Putin vor allem China, mit dem Russland im letzten Jahr in der Tat einen Rekord im bilateralen Handel erzielte. Die chinesischen Warenexporte nach Russland stiegen um 12,8 Prozent auf 76,1 Milliarden US-Dollar, während die russischen Exporte nach China aus Russland um 43,4 Prozent auf 114,1 Milliarden US-Dollar stiegen. Was Putin jedoch nicht erwähnt hat: Die russische Wirtschaft wird dabei vor allem bei den Technologien immer mehr von China abhängiger, und die Exporte nach China sind vor allem bei den Ölprodukten und anderen Rohstoffen gewachsen.



