Energie

Russland leitet Gas-Lieferungen nach Europa über Transgas-Pipeline um

Russland sucht offenbar Möglichkeiten, um trotz der Schwierigkeiten von Nord Stream 1 mehr Gas nach Europa zu pumpen.

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fließt, wird wegen planungsmäßiger Wartungsarbeiten für etwa zehn Tage abgeschaltet.
Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fließt, wird wegen planungsmäßiger Wartungsarbeiten für etwa zehn Tage abgeschaltet.dpa/Jens Büttner

Der russische Energiekonzern Gazprom hat nach Angaben des Pipelinebetreibers Eugas am Mittwoch deutlich mehr Kapazität bei der Transgas-Leitung durch die Slowakei gebucht als in den vergangenen Tagen. Transgas ist eine Verlängerung der Sojus-Pipeline, welche Erdgas aus Russland über die Ukraine, Tschechien und der Slowakei nach Österreich und Deutschland transportiert. Im slowakischen Grenzort Veľké Kapušany, dem Startpunkt des slowakischen Abschnitts, wurde die Durchleitung von 68,6 Millionen Kubikmeter Gas angemeldet. Am Vortag waren es 36,8 Millionen Kubikmeter.

Die Buchung deutet darauf hin, dass Gazprom die bei Nord Stream 1 ausfallenden Gaslieferungen nach Europa über die Route durch die Slowakei ausgleicht. Allerdings ist nicht klar, wohin das Gas geht: Der Guardian vermutet, dass Gazprom nach dem Stopp der Lieferungen durch die Jamal-Pipeline, die durch Polen verläuft, die Lieferungen über die Transgas-Leitung für sicherer hält.

Bundesregierung spricht von Erpressungsversuch

Die am Mittwoch zusätzlich nominierten Gasmengen entsprechen ungefähr der Drosselung durch die Pipeline Nord Stream 1, die Gazprom mit einer Reparatur einer weiteren Turbine begründet hatte. Die Bundesregierung glaubt diese Begründung nicht und spricht von einem Erpressungsversuch Russlands.

Neben der Buchung zusätzlicher Kapazität über Transgas gibt es weitere Hinweise, dass Gazprom tatsächlich mehr Gas schicken wird. Allerdings gibt es weitere Indizien dafür. So hatte sich der Betreiber des ukrainischen Pipeline-Abschnitts TSOU am Dienstag beschwert, dass der russische Gasriese dort ohne Vorwarnung den Druck in den Leitungen erhöht habe.

Das spricht dafür, dass Gazprom mehr Gas pumpt. Die Daten der Messstation Sudscha am Übergang zwischen Russland und der Ukraine liegen im Hinblick auf die dort nominierten Liefermengen von 42,2 Millionen Kubikmeter allerdings unverändert auf dem Niveau der vergangenen Tage.

Italien hat russisches Gas durch algerisches ersetzt

Das italienische Energieunternehmen ENI sagte, man sei von Gazprom informiert worden, dass ENI am Mittwoch 27 Millionen Kubikmeter Gas erhalten würde, was einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber den 34 Millionen entspricht, die es in den letzten Tagen erhalten hatte.

Italien hat seine Abhängigkeit von russischem Gas in den vergangenen Monaten laut der Financial Times (FT) von etwa 40 Prozent seiner gesamten Gasimporte auf fast 25 Prozent reduziert. Der Marktanteil wurde im wesentlichen von Algerien übernommen, das heute Italiens größter Einzellieferant ist.

Mario Draghi sagte letzte Woche vor seinem Rücktritt als Ministerpräsident, er hoffe, dass Italien in der Lage sein werde, Gasimporte aus Russland innerhalb der nächsten 18 Monate vollständig einzustellen.

Verschlechterung der Situation weiter möglich

Die Bundesnetzagentur hat ihre Einschätzung der Gaslage in Deutschland nach der neuerlichen Reduktion der Gasliefermenge aus Russland nicht wesentlich geändert. „Die Lage ist angespannt und eine weitere Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden“, hieß es auch am Mittwoch im täglichen Lagebericht der Behörde. Die Gasversorgung in Deutschland sei im Moment stabil. „Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist derzeit weiter gewährleistet.“

Nach der angekündigten Reduzierung der Liefermenge lägen die Gasflüsse aus der Ostseepipeline Nord Stream 1 bei 19,5 Prozent der Maximalleistung. Von der Reduktion sei die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen.

Bislang werde noch Gas eingespeichert. Am Montag waren die deutschen Speicher zu 66,8 Prozent gefüllt. „Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin auf diesem niedrigen Niveau verharren, ist ein Speicherstand von 95 Prozent bis November kaum ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, betonte die Behörde. Die Bundesregierung will in einer Verordnung festschreiben, dass die deutschen Speicher am 1. November zu 95 Prozent gefüllt sein müssen.

BASF wird wohl weiter produzieren können

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF rechnet auch im ungünstigen Fall mit genügend Erdgas für den Weiterbetrieb des Stammwerks in Ludwigshafen – zumindest im eingeschränkten Umfang. „Sollte die Bundesregierung die dritte und letzte Notstandsstufe ausrufen, gehen wir derzeit davon aus, dass BASF noch ausreichend Erdgas erhalten würde, um den Betrieb am Standort Ludwigshafen mit reduzierter Last aufrechtzuerhalten“, sagte Konzernchef Martin Brudermüller am Mittwoch anlässlich der Vorlage detaillierter Zahlen zum zweiten Quartal.

Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF, geht davon aus, dass das Unternehmen den Betrieb aufrecht erhalten kann.
Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF, geht davon aus, dass das Unternehmen den Betrieb aufrecht erhalten kann.dpa/Uwe Anspach

BASF spielt nach seinen Worten eine wichtige Rolle als Lieferant für alle möglichen Ausgangsstoffe für Industrie und Landwirtschaft und geht davon aus, dass dies berücksichtigt wird. Er könne aber nicht sagen, was in Extremfällen am Standort Ludwigshafen passiere. „Wir gehen aber davon aus, dass wir es schaffen und dass wir nicht in die Abstellung kommen, aber garantieren kann es keiner“, sagte der BASF-Manager. Ende April hatte er bereits gesagt, dass der Betrieb in Ludwigshafen notfalls heruntergefahren werden muss. Hintergrund sind die gedrosselten Erdgaslieferungen aus Russland.

„Wenn die Erdgasversorgung nicht unter etwa die Hälfte unseres maximalen Bedarfs fällt, können wir den Verbund in Ludwigshafen mit reduzierter Last weiterbetreiben“, sagte Brudermüller und bezeichnete den Standort als „größten Erdgasverbraucher in Deutschland“. Zuversichtlich sei er mit Blick auf Schwarzheide. Der Standort in Brandenburg ist der zweitgrößte des Konzerns in Deutschland. Dort könnte das Unternehmen den kompletten Strom- und Dampfbedarf mit Heizöl erzeugen. In Ludwigshafen ließen sich durch den Einsatz von Heizöl etwa 15 Prozent der dafür benötigten Erdgasmenge einsparen.

Darüber hinaus hat BASF laut Brudermüller bereits einige Maßnahmen ergriffen, um das Risiko zu minimieren. Bei Anlagen, die große Mengen von Erdgas benötigen – beispielsweise für die Herstellung von Ammoniak – sei die Produktion gedrosselt worden. In Ludwigshafen wurde bislang etwa ein Viertel des als Rohstoff verwendeten Erdgases für die Herstellung dieser Stickstoffverbindung verwendet, die beispielsweise für die Herstellung von Dünger benötigt wird. Bei Ammoniak ist auch der Zukauf von außen möglich.

Konzern kann beim Umsatz sogar zulegen

Der zuversichtliche Grundton wird auch von den neuen Geschäftszahlen beeinflusst. Zwar setzen dem Chemieriesen die rasant gestiegenen Energiekosten und Einschränkungen durch erneute Lockdowns in China zu, doch war er in der Lage, diese Kostensteigerungen in Form höherer Preise an die Kunden weiterzugeben. Die Ziele für 2022 hob das Dax-Unternehmen an. Für 2022 rechnet es nun mit einem Zuwachs beim Umsatz auf 86 bis 89 Milliarden Euro. Zuvor war der Konzern von einem Rückgang auf 74 bis 77 Milliarden ausgegangen, nach 78,6 Milliarden Euro im Jahr 2021.

Beim operativen Ergebnis hob BASF das untere Ende der Prognosespanne an und peilt nun mindestens 6,8 Milliarden Euro an anstatt zuvor 6,6 Milliarden. Das obere Ende des Gewinnziels bestätigte das Unternehmen mit 7,2 Milliarden Euro. 2021 hatte BASF einen um Sondereffekte bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 7,8 Milliarden Euro ausgewiesen. Dabei geht BASF für das zweite Halbjahr von einer allmählichen Abkühlung der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit aus.

Den konjunkturellen Risiken will BASF mit Kostensenkungen begegnen. Genannt wurden dabei die zeitliche Streckung von Investitionen, Einstellungen und Infrastrukturmaßnahmen wie Renovierungen. (mit dpa)