Russland

E-Visum auch für Deutsche: Warum erleichtert Russland plötzlich die Einreiseregeln?

Die EU hat das Visaerleichterungsabkommen mit Russland ausgesetzt, Deutschland lehnt Anträge der Russen mit umstrittenen Argumenten ab. Russland macht es anders: Was steckt dahinter?

Moskau: Blick auf den Roten Platz mit dem Kreml. Seit dem 1. August können europäische Touristen mit einem E-Visum nach Russland: Wie geht das?
Moskau: Blick auf den Roten Platz mit dem Kreml. Seit dem 1. August können europäische Touristen mit einem E-Visum nach Russland: Wie geht das?Oliver Vogler/imago

Viele Russen berichten seit Monaten, dass die Einreise in die EU oder konkret nach Deutschland nach dem Aussetzen des Visaerleichterungsabkommens durch die EU fast unmöglich geworden sei.

Es werden keine Mehrfachvisa für mehr als eine Reise erteilt, die Gebühr ist von 35 auf 80 Euro gestiegen, die persönliche Präsenz im Generalkonsulat in Moskau ist erforderlich, und die Haupthürde: Ein Konto bei einer russischen Bank reicht nicht mehr, man braucht stattdessen ein Konto bei einer in der EU tätigen Bank. Stimmen die Papiere, kann es trotzdem zu einer Ablehnung kommen mit der Begründung, man sei als Russe „potenziell von der Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte bedroht“. Die Behörden vermuten dabei, dass der Reisende in Deutschland bleiben möchte, wie die Berliner Zeitung zuvor berichtete

Russland führt E-Visum ein: Was kann man damit anfangen?

Die Einreise nach Russland hat sich mit dem Wegfall des Visaerleichterungsabkommens entsprechend erschwert. Zum Jahresende wird die Visabeantragung noch schwieriger werden, wenn vier von fünf russischen Generalkonsulaten in Deutschland schließen müssen. Dennoch überraschte Moskau neulich mit der Nachricht: Bürger der EU – sowie anderer Länder wie China, Japan, Indien, Südkorea, Indonesien oder Iran; die USA und Großbritannien sind nicht auf der Liste – können seit dem 1. August zu privaten, geschäftlichen oder touristischen Zwecken für maximal 16 Tage nach Russland auf deutlich einfachere Weise einreisen. Sie müssen dafür spätestens vier Tage vor der Abreise ein sogenanntes E-Visum, also ein elektronisches Visum auf der speziellen Website des russischen Außenministeriums beantragen. 

Für das E-Visum seien keine Einladung oder Bestätigung des Reisezwecks erforderlich, betont die russische Botschaft in Berlin, keine Buchung und keine Flugtickets, keine Termine, sondern nur ein Reisepass, ein Foto und eine Reiseversicherung. Die Visumgebühr beträgt nach Angaben des russischen Außenministeriums zusammen mit allen möglichen Transaktionsgebühren maximal 52 US-Dollar oder rund 47 Euro. Ein ähnliches Verfahren galt vor der Corona-Pandemie etwa für Kaliningrad, St. Petersburg und Wladiwostok, aber nicht für ganz Russland. Doch wie können ausländische Antragsteller die Gebühr zahlen, wenn Russland vom Zahlungssystem Swift ausgeschlossen wurde? Wie die russische Botschaft in Berlin auf Anfrage versichert, könne man die Bezahlung auch mit deutschen Visa- oder Mastercard-Karten durchführen.

Trotz Ukraine-Krieg: Mehr EU-Bürger reisen jetzt offenbar nach Russland

Man könnte allerdings schmunzeln und sich fragen: Wer hat angesichts des russischen Krieges in der Ukraine und der zugenommenen Repressionen des Staates gegen die eigene Bevölkerung noch Interesse an touristischen Reisen nach Russland? Das Auswärtige Amt hat für Russland eine Teilreisewarnung formuliert, für die an die Ukraine grenzenden Gebiete gilt sogar eine Reisewarnung.

Die Kommentare zu den entsprechenden Info-Posts der russischen Botschaften in den sozialen Netzwerken zeigen jedoch, dass es trotz vieler Vorbehalte noch genug Russland-Freunde und Interessenten gibt, die ein E-Visum seriös in Betracht ziehen. Zudem haben Staatsbürger vor allem aus Finnland, Estland und Deutschland im ersten Halbjahr 2023 nach russischen Angaben 42 Prozent mehr Reisen nach Russland aus privaten oder geschäftlichen Gründen unternommen als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Touristen kamen demnach aus Deutschland.

Der Verband der russischen Reisebranche erklärt die Zunahme der Reisen mit humanitären und geschäftlichen Beziehungen der Ausländer in Russland sowie mit deren Verwandten in Russland. Der Verband der Reiseveranstalter Russlands beobachtet seinerseits keinen tatsächlichen Touristenstrom aus Deutschland und verweist auf zahlreiche Russlanddeutsche mit deutschen Pässen, die ein Jahr nach Kriegsbeginn ihre Verwandten in Russland öfter besuchen würden.

E-Visum für Russland: Politische Motive und Probleme der Tourismusbranche

Hinter dem neuen Verfahren steht ein entsprechender Erlass des Präsidenten Wladimir Putin. Es dürften vor allem geopolitische Motive sein, weswegen Russland sich plötzlich so offen für Touristen präsentiert. Die russischen Behörden hätten eine politische Entscheidung getroffen, alle Länder der EU auf die Liste der zugelassenen Staaten zu setzen, erklärt die Konsularabteilung des russischen Außenministeriums. „Normale europäische Bürger, die Russland gegenüber freundlich eingestellt sind, sollten die Möglichkeit haben, unser wunderbares Land zu besuchen und die russische Gastfreundschaft zu genießen“, sagte der Abteilungsteiler Alexej Klimow.

Ein Kenner der Lage verweist im Gespräch mit der Berliner Zeitung auch auf wirtschaftliche Gründe: Die russische Tourismusbranche brauche Geld, denn die Zunahme der Reisen nach Russland in diesem Jahr spiegele nicht die dramatische Situation im Vorjahr wider, als die Touristenzahl sich im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 um 96 Prozent verringerte. Touristen mit einem E-Visum können laut unserem Gesprächspartner deswegen davon ausgehen, dass ihre Ein- und Ausreise „mehr oder weniger unproblematisch“ verlaufen werde. Der Berliner Zeitung sind jedoch auch Fälle bekannt, in denen deutsche Staatsbürger mit von Moskau als „verdächtig“ wahrgenommen Berufen – etwa Journalisten – von Grenzbeamten länger nach ihren „tatsächlichen“ Zielen in Russland befragt, danach aber durchgelassen wurden. 

Wann wird ein E-Visum für Deutschland möglich?

Das Auswärtige Amt wollte auf Anfrage der Berliner Zeitung das russische E-Visum-Verfahren nicht kommentieren. Was hält man in Deutschland aber von der Technologie selbst? Allein schon die Möglichkeit, ein Touristenvisum ohne Präsenz online zu beantragen, wird von vielen Reiselustigen als deutliche Erleichterung des Prozesses wahrgenommen. Auch nationale Visa könnten so schneller erteilt werden. 

„Das Auswärtige Amt arbeitet an der umfassenden Digitalisierung des Visumverfahrens für nationale Visa“, kommentierte eine Sprecherin der Behörde. Seit Juni 2022 könnten hoch qualifizierte Fachkräfte bei inzwischen 13 Auslandsvertretungen die sogenannte Blaue Karte EU online beantragen. Was die Touristen angeht: Am 13. Juni 2023 wurde die politische Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament über die Digitalisierung des Schengenvisumverfahrens erreicht. Schengenvisa sollten künftig ebenfalls über eine Onlineplattform beantragt werden können, verweist die Sprecherin.

Die Einigung sieht allerdings eine Übergangsfrist von sieben Jahren für Mitgliedstaaten vor. „Die Onlineplattform für das Schengenvisumverfahren soll ab 2026 zur Verfügung stehen.“ Das Auswärtige Amt begleite den Aufbau der Plattform, um ein modernes digitales Visumverfahren zur Verfügung zu stellen. Als Ergebnis werde man auch ein E-Visum für Deutschland erhalten können, heißt es.

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