Die China-Strategie zeigt das ganze Dilemma, in das sich Deutschland gebracht hat: Einerseits versucht die Bundesregierung, China gegenüber weiter freundlich zu sein, um den größten Handelspartner nicht zu verprellen. Zum anderen werden einige Menschrechtsthemen angeschnitten, um den transatlantischen Freunden gerecht zu werden. Beide Anliegen sind gescheitert, Partner und Rivalen schütteln den Kopf über die Orientierungslosigkeit von Bundeskanzler Olaf Scholz.
Chinas Reaktion, nachzulesen in den chinesischen Staatsmedien, zeigt, dass Peking sich nicht für dumm verkaufen lassen will. Einhellig stellen chinesische Analysten und Experten fest, dass die vermeintlich feinsinnige Unterscheidung zwischen „de-risking“ und „de-coupling“ eine Wortklauberei ist. Das offizielle Peking reagierte auf das Papier mit einem diplomatischen Stoßseufzer: Man hoffe, dass Berlin seine Beziehungen zu China auf der Grundlage einer rationalen Politik gestalten werde.
Für die Transatlantiker ergriff Norbert Röttgen das Wort und warf dem Bundeskanzler Olaf Scholz „mangelnden Realismus“ im Hinblick auf das wahre Gesicht Chinas vor. Trotz der ausdrücklichen Nennung von konkreten Menschenrechtsverstößen wie etwa gegen die Uiguren in dem Papier zog Röttgen in der FAZ ein vernichtendes Fazit: „Die Bundesregierung knickt vor China ein.“ Konkret dürfte das Papier daher vor allem eines sein: eine Bestätigung des bisherigen Kurses des Lavierens der Bundesrepublik zwischen den Großmächten. Ist das der richtige Weg?
Das Verhältnis zwischen China und den USA hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert. Auch nach den jüngsten Besuchen der amerikanischen Minister Antony Blinken und Janet Yellen in Peking ist nicht zu erkennen, wie sich die Beziehung künftig gestalten wird. Doch China und die USA werden immer Wege finden, um ihre jeweiligen wirtschaftlichen Interessen abzugleichen. Vor allem werden beide Großmächte keine Gelegenheit auslassen, um sich auf Kosten Dritter Vorteile zu verschaffen. Sie vertreten ihre Interessen – notfalls mit militärischer Gewalt, jedenfalls aber ohne Skrupel.
Das zeigt sich deutlich am für Deutschland wichtigsten Wirtschaftssektor, der Automobilindustrie. Um den riesigen chinesischen Markt für Elektroautos ist ein globaler Wettbewerb entbrannt. Die deutschen Autohersteller haben schlechte Karten – nicht zuletzt, weil sie in den vergangenen Jahren durch die Betrügereien bei den Abgastests die Fokussierung verloren haben. Während sich VW und andere mit Gerichten und Strafzahlungen herumschlagen mussten, entwickelte Tesla seine Technologie unter dem Radar weiter und baute schließlich direkt vor der Nase der deutschen Hersteller eine „Gigafactory“ in Grünheide. In den vergangenen Jahren ging bei allen ausländischen Herstellern der Verkauf in China zurück – außer bei Tesla. China setzt auf seine eigenen Produzenten: Unter den zehn erfolgreichsten Verkäufern von Elektroautos in China fanden sich in den ersten fünf Monaten laut den Zahlen des chinesischen Automobilverbandes acht chinesische Unternehmen. Tesla konnte mithalten und erreichte den zweiten Platz. VW ist der einzige deutsche Konzern, der es in die Top Ten schaffte – die Wolfsburger landeten jedoch abgeschlagen auf Platz acht. Und die Chinesen wollen weitermarschieren: Man strebe an, innerhalb der nächsten zehn Jahre zu den ersten drei in Europa zu gehören, wenn möglich sogar Marktführer zu werden, sagte Michael Shu, der Europachef des führenden chinesischen Herstellers BYD, in der Financial Times. Um diesen Vormarsch abzusichern, scheut die Regierung in Peking auch vor drastischen Maßnahmen nicht zurück: Vor allem die Exportbeschränkungen für die Rohstoffe Gallium und Germanium verschaffen den chinesischen Autoherstellern einen klaren Startvorteil.


