Österreich

Österreich nun wohl zu 89 Prozent von russischem Gas abhängig – Regierung entspannt

Alarmstufe des Notfallplans Gas ausrufen? Bevölkerung zum Sparen beschwören? Putin eine klare Kante zeigen? Was in Österreich so alles anders läuft als hier.

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)dpa/Dragan Tatic

Die österreichische Regierung hat – anders als die deutsche Bundesregierung – noch gar keine Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen und gibt sich kaum alarmistisch. Die frischen Daten der Außenhandelsstatistik (Montag) zeigen jedoch, dass die Abhängigkeit des deutschen Nachbarn von russischem Gas seit Beginn des Ukraine-Krieges zu Ende Mai sogar gestiegen ist – laut einer Berechnung der Parteiakademie der österreichischen neuen Liberalen Neos (Neos Lab) von 80 Prozent vor dem Krieg auf 89 Prozent, gemessen an den physischen Mengen. Ein Widerspruch?

Die neue Außenhandelsstatistik wird zwar etwas verspätet übermittelt, zeigt jedoch, dass das österreichische Ministerkabinett in den ersten Kriegsmonaten so gut wie keine Bemühungen unternommen hatte, um diese Abhängigkeit abzubauen. Ganz im Gegenteil: Kanzler Karl Nehammer war sogar als einziger westlicher Politiker im April nach Moskau gereist, um den Dialog mit dem Kremlchef Wladimir Putin aufrechtzuhalten. Seitdem hat Gazprom aber die Gaslieferungen nach Europa sowohl über Nord Stream 1 als auch über die Ukraine gedrosselt.

Der österreichische Energiekonzern OMV plant seitdem zwar, die Abhängigkeit von Russland dank neuer strategischer Reserven auf unter 50 Prozent zu senken. Aber das ist alles eher ein Plan als Realität.

„Das ist noch Zukunftsmusik für die kommende Heizsaison ab Oktober. Es ist noch nichts realisiert“, erklärt der Ökonom und Direktor von Neos Lab, Lukas Sustala, der sich unter anderem mit der Energieabhängigkeit Österreichs von Russland befasst. „Fakt ist, dass Österreich Gas erst seit Ende Mai sonst irgendwo kauft“, sagt er weiter. „Wie auf der Börse in den Niederlanden gerade zu einem Preis von bis zu 200 Euro pro Megawattstunde.“

Österreich steht bei Gasspeichern besser da

Den Notfallplan Gas lässt die Regierung jedoch trotz der noch vorhandenen großen Abhängigkeit ruhen. Dabei ist der Gasverbrauch in Österreich laut der Überwachungsbehörde E-Control im ersten Halbjahr 2022 nur um 6,4 Prozent gesunken, was wiederum heißt: Die Österreicher sparen weniger Gas als die Deutschen – trotz der rasant steigenden Preise.

Woher kommt diese vermeintliche Unbekümmertheit der Österreicher? Lukas Sustala sieht die vermeintlich entspannte Haltung der österreichischen Bundesregierung kritisch, verweist aber auch auf deren mögliche Gründe. Erstens ist Österreich weniger auf Nord Stream 1 und mehr auf die russischen Gasflüsse über die Ukraine angewiesen. Mit dem Wegfall des Eingangspunkts in der Ostukraine liefert Gazprom derzeit noch rund 40 Prozent der vertraglich vereinbarten maximalen Mengen. Ein Teil davon, wenn auch viel weniger als früher, landet nach wie vor in Österreich. Dazu habe der österreichische Gasimporteur OMV, sagt Sustala, anders als der deutsche Uniper, ein Monopol über die Ölraffinerien in Österreich und könne die Gasprobleme mit Geschäften in anderen Bereichen eher ausgleichen als Uniper.

Doch vielmehr liege der Vorteil, erklärt Sustala, an österreichischen Gasspeichern, die pro Kopf und im Verhältnis zum österreichischen Verbrauch viel größer sind als die deutschen. „Österreich kann da Gas ungefähr für ein ganzes Jahr einspeichern und Deutschland nur für zwei bis drei kalte Wintermonate.“ Deswegen seien aktuell 56 Prozent Füllstand bei österreichischen Speichern pro Kopf nicht gleich weniger, als 73 Prozent bei den deutschen Speichern. Gemessen an den maximalen Speicherkapazitäten sind in Österreich derzeit rund 54 Terawattstunden (TWh) Gas eingespeichert oder 68 Milliarden Kilowattstunden. In Deutschland dagegen 175 TWh, aber dafür leben in Deutschland auch neunmal so viele Menschen wie in Österreich.

Allerdings lagert in den österreichischen Speichern nicht nur der OMV, sondern auch Uniper Gas gegen Gebühren. Anfang Juli waren es 7,7 Terawattstunden. Das Energieministerium hat im Juli die strategische staatliche Gasreserve um weitere 12,3 Terrawattstunden (TWh) Gas erweitert. Im Mai wurden erstmals rund 7,7 Terawattstunden Gas für knapp eine Milliarde Euro eingekauft, teilweise offenbar auch wieder aus Russland.

Österreichisches Energieministerium kontert

Das österreichische Energieministerium bestreitet die teilweise russische Herkunft von Gas in den staatlichen Reserven zwar nicht, stellt aber die Berechnung von Lukas Sustala infrage. „Es ist selbst aufgrund der Außenhandelsstatistik sehr schwer, die Herkunft von Gas, das der OMV auf dem europäischen Gasmarkt für Österreich kauft, zu definieren“, sagt der Sprecher Florian Berger der Berliner Zeitung. Schon im Mai habe Österreich weniger russisches Gas über die Ukraine bekommen, und zwar wegen des Streits um eine Verdichterstation in der Ostukraine. Andererseits komme nicht unbedingt russisches Gas aus der Nord Stream 1 über Deutschland nach Österreich, sondern eine Mischung aus unterschiedlichen Quellen, darunter aus Norwegen. Deswegen hält Berger nichts von der Behauptung, Österreich wäre allzu sehr von russischem Gas abhängig. Wenigstens ab Oktober soll es nicht mehr der Fall sein, so Berger, denn der OMV habe bereits Mitte Juli 40 Terawattstunden nicht-russisches Gas für die kommende Heizsaison gebucht. Der österreichische Gesamtverbraucht beträgt dabei jährlich 90 Terawattstunden.

Der Ökonom Lukas Sustala bleibt jedoch bei seiner Einschätzung: Die österreichische Regierung tue zu wenig, um die Gas-Abhängigkeit von Russland abzubauen – und mache nur die wenigen Daten publik, was intransparent sei. „Auch wenn die österreichische Bundesregierung sich bei der Gasversorgung entspannter zeigt als die deutsche, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass Österreich im Vergleich noch abhängiger von Russland ist und auch noch mehr einsparen wird müssen, um im wirklich extremen Fall eines vollständigen Gaslieferstopps eine wirtschaftliche ‚Vollbremsung‘ zu vermeiden“, sagt Sustala. Bis dahin gilt in manchen österreichischen Medien die unausgesprochene Regel, Putin nicht allzu sehr wegen der Kriegshandlungen in der Ukraine anzuprangern – damit er den Gashahn halt nicht komplett zudreht.

Transparenzhinweis: Die ursprüngliche Version des Artikels hat keinen Statement der österreichischen Regierung erhalten. Der Text wurde um einen Kommentar des Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie ergänzt.