Wohnungsbau

Das Ende des deutschen Wohnungsbaus: „Das ist Gift für den sozialen Frieden“

Wegen hoher Zinsen, Arbeitskräftemangel und strenger Effizienzvorgaben: Deutsche Bauträger verwerfen vermehrt Pläne zum Wohnungsbau. Die Wohnungsverbände sprechen sich aus.

Im Moment hätten die Baufirmen zwar noch bis ins nächste Jahr volle Auftragsbücher, sagt ein Vertreter der deutschen Bauindustrie, aber: „Es gehen keine neuen Aufträge ein, und das ist sehr besorgniserregend.“
Im Moment hätten die Baufirmen zwar noch bis ins nächste Jahr volle Auftragsbücher, sagt ein Vertreter der deutschen Bauindustrie, aber: „Es gehen keine neuen Aufträge ein, und das ist sehr besorgniserregend.“Sabine Gudath

Nicht nur die von der Abwanderung bedrohte Chemieindustrie schlägt in Deutschland Alarm. Auch die Wohnungsunternehmen berichten über den zunehmend stockenden Neubau.

„Die Aussichten für 2024/25 sind katastrophal“, sagte der Präsident des Bundesverbandes freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), Dirk Salewski, neulich in der Financial Times. „Wir sehen einen massiven Einbruch der Nachfrage nach Neuentwicklungen.“ Die Gründe sind spätestens seit dem letzten Jahr bekannt: Inflation, hohe Zinsen, Fachkräftemangel. Doch auch die neuen höheren energetischen Standards werden schnell zu einer Hürde für die Hausbauer. „Sie qualifizieren sich nur, wenn Ihr Haus die höchsten Energieeffizienzstandards erfüllt, und der Bau solcher Häuser ist 20 Prozent teurer“, kritisiert Salewski. „Wie können sich die Leute das leisten?“

Wohnungsbau: Ergeben Habecks hohe Energiestandards keinen Sinn?

Seit dem 1. Mai vergibt die staatliche Förderbank KfW für den „klimafreundlichen Neubau“ zinsvergünstigte Kredite von bis zu 150.000 Euro. Doch das zu bauende Haus darf nach einer Entscheidung des Bundeswirtschafts- und des Bundesbauministeriums maximal 40 Prozent der Energie (Energieeffizienzstandard 40) eines Standardhauses verbrauchen. „Diese neuen Standards sind sehr teuer, sodass die Baukosten viel höher ausfallen, als was die Förderung am Ende kompensiert“, erklärt der BFW-Geschäftsführer Andreas Beulich der Berliner Zeitung. Mit 31 Abrufen hätten bisher nur sehr wenige Menschen das neue Programm überhaupt in Anspruch nehmen können, kritisiert er.

Die Notwendigkeit der erhöhten Effizienzstandards hat auch Prof. Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in einer Studie infrage gestellt. Nach seinen Zahlen ist der Grenznutzen von zusätzlichen Investitionen für höhere Standards sowie beim Ausstoß von Treibhausgasemissionen bereits mit KfW Effizienzhaus 70 im Neubau sowie Effizienzhaus 115 bei der Bestandssanierung erreicht, also mit den früheren Mindeststandards. Das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Bundesregierung, auch als Heizungsgesetz bekannt, wird die höheren Standards endgültig zur Pflicht machen.

Bei kommunalen Unternehmen kämen noch hohe ordnungsrechtliche Standards und kommunale Auflagen dazu, bemängelt Beulich. Diese Auflagen würden zusätzliche Kosten von rund 180 Euro pro Quadratmeter mit sich bringen. „Die Finanzierungshürden der Banken und solche zusätzliche Kosten erschweren es der Immobilienwirtschaft, ihre Projekte zu realisieren und bezahlbares Wohnen überhaupt noch anzubieten“, so Beulich.

Wohnungsnot in Deutschland verschärft sich: „Es gehen keine neuen Aufträge ein“

Der Trend ist in der ganzen Branche unerfreulich. Im letzten Jahr wurden in Deutschland lediglich 295.300 Wohnungen gebaut. Das ist kaum mehr als 2021, vier Prozent weniger als 2020 und 104.700 Wohnungen weniger, als Olaf Scholz im Wahlkampf jährlich versprochen hatte. Im Moment hätten die Baufirmen zwar noch bis ins nächste Jahr volle Auftragsbücher, sagte auch der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, in der Financial Times. „Aber es gehen keine neuen Aufträge ein, und das ist sehr besorgniserregend.“

Die Besorgnis in der Branche wächst spätestens seit Januar, als Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia ankündigte, alle seine Neubauprojekte auf Eis zu legen. Bei Objekten, die man früher für zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter angeboten habe, müsste der Konzern jetzt eher Richtung 20 Euro gehen, um die Kosten von 5000 Euro pro Quadratmeter hereinzuholen, beklagte der Vonovia-Vorstand Daniel Riedl. Jetzt erhöht Vonovia wie die Deutsche Wohnen wieder die Mieten in den Bestandswohnungen.

Der Branchenverband der Wohnungsbaugesellschaften (GdW) rechnet inzwischen mit einem Rückgang der Wohnungsfertigstellungen auf 242.000 im Jahr 2023 (ein Minus von 18 Prozent), auf 214.000 im Jahr 2024 (ein weiteres Minus von zwölf Prozent). Zum Vergleich: Der Jahresdurchschnitt zwischen 1950 und 2022 liegt bei 405.000 neuen Wohnungen. Der Zentrale Immobilien-Ausschuss (ZIA), ein weiterer Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft, prognostiziert eine Lücke von bis zu 700.000 Wohneinheiten und 1,4 Millionen Wohnungssuchenden auch im Jahr 2025, also keine Verbesserung zum aktuellen Stand. Die Banken spüren den Einbruch bei Baufinanzierungen jetzt ebenfalls deutlich. Nach Informationen der Berliner Zeitung gibt es zunehmend Banken in Deutschland, die in diesem Jahr noch gar keine neuen Kredite für den Wohnungsbau vergeben haben und lediglich die alten bedienen.

Wohnungsunternehmen fordern: „Wir müssen wieder einfacher bauen“

„Die Wohnungsunternehmen machen ihre Hausaufgaben bei der energetischen Verbesserung der Gebäude konsequent und würden gerne noch mehr tun, aber dem stehen die massive Verschlechterung der Förderbedingungen, stark gestiegene Kosten und Zinsen im Weg“, erklärt der Branchenverband GdW gegenüber der Berliner Zeitung. „Die Politik muss auf hohe energetische Anforderungen mit einer auskömmlichen und verlässlichen Fördersystematik reagieren.“ Nur so lasse sich die soziale Spaltung bei den Energie- und Wohnkosten verhindern.

„Wir müssen eine Debatte zwischen einer guten Mischung von Energieeffizienz und Bezahlbarkeit führen“, sagt der BFW-Geschäftsführer Beulich. Man habe schon vorher Wärmepumpen in Häuser mit sehr guten energetischen Standards eingebaut, aber jetzt kämen unfassbar viele andere Regeln dazu, die die Bezahlbarkeit bedrohen würden. Um die Hausbauer zu entlasten, versucht der Verband, bei der Politik das Heruntersetzen der Grunderwerbsteuer durchzusetzen. „Es kann auch nicht sein, dass Genehmigungsverfahren oder bauplanungsrechtliche Verfahren Jahre dauern und zahlreiche kommunale Auflagen und Normen uns derart belasten“, sagt Beulich. Sein Wunsch: „Wir müssen wieder einfacher bauen.“

„Mittelfristig werden bundesweit eher 200.000 statt 400.000 Wohnungen pro Jahr entstehen und deutlich weniger als geplant energetisch modernisiert werden können“, warnt der GdW. „Das ist Gift für das bezahlbare Wohnen, das Klima und den sozialen Frieden in Deutschland.“ Der Verband, der vor allem die Interessen der großen Wohnungsunternehmen vertritt, fordert deswegen einen Mix aus einer funktionierenden staatlichen Förderung, besseren Finanzierungsbedingungen, mehr Steueranreizen und Deregulierung.

Wohnungsbau in Deutschland: 27 Prozent weniger genehmigte Wohnungen

Deutschland ist zwar nicht das einzige europäische Land, das solchen Gegenwind beim Neubau erlebt. Laut dem Verband der europäischen Bauwirtschaft FIEC werden die Bauinvestitionen in diesem Jahr in Spanien um fünf Prozent und in Italien um 5,7 Prozent zurückgehen. Auch Frankreich verzeichnete in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2022 einen Rückgang der Baubeginne um 15 Prozent und einen Rückgang der Genehmigungen für neue Wohnungen um 30 Prozent.

Das Problem: Deutschland, die einstige Lokomotive der europäischen Wirtschaft und der größte Nettozahler der EU, ist auf dem Niveau der Nettoempfänger angekommen. Laut Statistischem Bundesamt reduzierte sich die Zahl genehmigter Wohnungen bereits von Januar bis Mai 2023 um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. „Die bisherige Politik der Bundesregierung hat den Absturz nicht bremsen können“, sagte der BFW-Präsident Dirk Salewski dazu am Dienstag in Berlin. „Sowohl die Beschäftigten am Bau als auch diejenigen, die eine Wohnung suchen, spüren dieses Scheitern am eigenen Leib.“

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